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Rezept für eine lebenswerte Stadt

Für eine lebenswerte Stadt brauchen wir eine Reihe an unverzichtbaren Zutaten. Eine Gesundheitsversorgung für alle, gute Schulen, Parks, Öffis und und und. Wie das bei Rezepten nun mal ist, müssen wir mit manchen Zutaten sparsam sein. Geht es um lebenswerte Städte, dann ist diese Zutat der Autoverkehr.

Wir Menschen sind bemerkenswert gut darin, uns an Dinge zu gewöhnen. Es erscheint uns normal, dass selbst Altstädte von breiten Straßen durchschnitten sind. Wir nehmen es hin, dass Gehwege oft nur schulterbreite Streifen sind. Und wir akzeptieren, dass wir mit geschlossenen Fenstern schlafen und Kinder nur auf eingezäunten Spielplätzen spielen können. An dieses Stadtrezept unserer Eltern und Großeltern haben wir uns so gewöhnt, dass wir vergessen, dass wir die Zutaten auch ändern können.

Denn der Autoverkehr in unseren Städten ist kein Naturgesetz. Er ist die Konsequenz von Entscheidungen, die Generationen vor uns getroffen haben. Es liegt aber in unserer Hand, wie wir unsere Städte heute planen. Wir können die Zutat „Autoverkehr“ so weit reduzieren, dass alle ein besseres Leben haben. Denn vieles, das die Lebensqualität in Städten drückt, kommt von übermäßigem Autoverkehr.

Weniger Autos bedeutet mehr Platz für Menschen

Autos brauchen Platz – mehr, als uns bewusst ist. Straßen, Kreuzungen, Kreisverkehr und Parkplätze verbrauchen riesige Flächen. In vielen Städten sind 50 bis 60 Prozent des öffentlichen Raums für den Autoverkehr blockiert. Bahn, Bus und Fahrrad können ein Vielfaches an Menschen auf viel weniger Raum transportieren.

Würden wir in Zukunft konsequent auf diese Fortbewegungsmittel setzen, würden große Flächen frei werden. Und die könnten wir gut gebrauchen. Viele Städter:innen leben in kleinen Wohnungen und haben keinen Garten. Die Plätze, Parks und Gassen der Stadt sind ihr erweitertes Wohnzimmer.  Für sie wäre der freigewordene öffentliche Raum ein enormer Gewinn.

Mehr Platz für Bäume und Hecken, die nicht nur das Stadtbild verschönern, sondern auch das Mikroklima verbessern. Mehr Sportgeräte, Spielplätze und Sitzbänke, wo alle Generationen ihre Freizeit verbringen können. Mehr Hundezonen, mehr Liegeflächen, mehr Blumenbeete. Biotope. Brunnen. Picknickplätze. Das Potenzial ist riesig. Die Flächen der Stadt sollten uns gehören, nicht den Autos.

Das Beispiel Ljubljana zeigt, was mit Mut und guter Planung möglich ist. Seit 2007 hat die slowenische Hauptstadt ihre Fußgängerzonen um 620 Prozent erweitert. Heute prägen Plätze, Brunnen und Bäume das Stadtbild. Anfangs war der Widerstand groß, mittlerweile unterstützen aber 97 Prozent der Einwohner:innen das Vorhaben.

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Weniger Autos bedeutet mehr Ruhe

Wer Ruhe will, der muss am Land wohnen? Von wegen. Vielerorts ist nicht die Stadt selbst laut, sondern es sind die vielen Autos. Leider ist Verkehrslärm eine Belastung, der Städter:innen kaum entgehen können. Denn Augen können wir schließen, aber unsere Ohren nicht.

Die Folge: Stress. Lärm lässt den Körper Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol ausschütten und kann auf Dauer Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Angststörungen verursachen.

Zwei Millionen Österreicher:innen wohnen an Orten, an denen der Verkehrslärm mehr als 55 Dezibel beträgt. Zum Vergleich: Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Lärm bereits ab 53 Dezibel gesundheitsschädlich. Menschen, die an Hauptverkehrsstraßen wohnen, müssen noch viel mehr Lärm ertragen. Oft sind es 65 bis 75 Dezibel.

Fest steht: Eine leisere Stadt ist eine lebenswertere. Damit das gelingt, müssen wir Autos nicht vollständig verbannen. Maßnahmen wie Tempo-30-Zonen und mehr Begrünung können den Verkehrslärm schon erheblich reduzieren. Offizielle Lärmkarten zeigen, wie groß die positiven Effekte von Verkehrsberuhigung sind.

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Ein Vorbild in Sachen Verkehrsberuhigung ist die spanische Stadt Barcelona mit ihrem Konzept der „Superblocks“. In diesen verkehrsberuhigten Quartieren wird der Durchgangsverkehr ausgesperrt. Damit konnte die Stadtverwaltung den Lärmpegel innerhalb der Blocks massiv senken. So entstehen nicht nur ruhigere, sondern auch sicherere Stadträume, die zugleich den sozialen Zusammenhalt stärken.

Weniger Autos bedeuten bessere Luft

Autos sind einer der Hauptgründe für schlechte Luft in Städten. Stickoxide, Rußpartikel und Reifenabrieb belasten unsere Atemluft stark. Luftverschmutzung ist laut der WHO die größte umweltbedingte Gesundheitsgefahr weltweit. Sie führt jährlich zu Millionen von Todesfällen.

Wollen wir bessere Luft in unseren Städten, dann müssen wir den Autoverkehr reduzieren. Denn in verkehrsberuhigten Zonen verbessern sich die Abgaswerte deutlich. Ein Blick nach Ljubljana verdeutlicht, wie groß die Wirkung sein kann: Auf der zentralen Hauptstraße sanken die Schadstoffwerte um 70 Prozent, nachdem der Autoverkehr dort eingeschränkt wurde.

In Städten mit guter Luft gehen chronische Atemwegserkrankungen wie Asthma und Bronchitis zurück, Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden seltener, und das allgemeine Wohlbefinden steigt. Besonders ältere Menschen, Kinder und Asthmatiker:innen profitieren von sauberer Luft, da sie am empfindlichsten auf die Schadstoffe von Autos reagieren.

Weniger Autos bedeuten weniger Verkehrstote

Eine Stadt mit weniger Autos ist auch eine sicherere Stadt. Denn weniger Autoverkehr bedeutet auch weniger schwere Verkehrsunfälle. Für Radfahrer:innen und Fußgänger:innen wird die Fortbewegung mit weniger Autos entspannter und gefahrloser.

Wenn wir den Autoverkehr konsequent reduzieren, schafft das auch Platz für breitere Gehwege und sichere Fahrradwege. Beides senkt das Risiko von schweren Unfällen weiter. Und das Ganze ist ein positiver Kreislauf: Wenn sich Menschen zu Fuß und mit dem Rad sicher fühlen, lassen sie das Auto immer öfter stehen.

Lyon zeigt, welche Wirkung bereits eine Temporeduktion haben kann. Dort wurde in den zentralen Teilen der Stadt Tempo 30 umgesetzt. Zwei Jahre nach Einführung des Tempolimits ging die Zahl der Verkehrsunfälle um 35 Prozent zurück. Besonders bemerkenswert: Die schweren Unfälle, also solche mit Schwerverletzten oder Toten, sind sogar um 39 Prozent gesunken.

Weniger Autos sind gut fürs Geschäft

Auch Geschäfte profitieren von Verkehrsberuhigung. Fertig sanierte oder umgestaltete Einkaufsstraßen werden stärker besucht. Und: Es wird mehr eingekauft. Fußgängerzonen erwirtschaften deutlich mehr Umsatz als Einkaufsstraßen mit Autoverkehr. Das belegen zahlreiche Erhebungen. 

Verkehrsberuhigte Straßen schaffen eine entspannte Atmosphäre mit weniger Lärm und Hektik. Und wir Menschen halten uns an solchen Orten einfach lieber auf.

Das Rezept für lebenswerte Städte

Wir haben uns daran gewöhnt, dass Autos eine zentrale Zutat im Stadtleben sind. Aber wir müssen das Rezept unserer Eltern und Großeltern anpassen. Dabei geht es nicht darum, Autos völlig aus den Städten zu verbannen. Manche Bewohner:innen sind unter bestimmten Umständen auf ihr Auto angewiesen. Vielmehr geht es darum, Autos nicht mehr den bestimmenden Faktor von Städten sein zu lassen. Sie sollten im Rezept nur eine kleine Rolle spielen.

Denn wir alle wollen an einem Ort leben, an dem Kinder sicher draußen spielen können. Wir wollen gute Luft atmen, ein bisschen Grün vor der Tür und die Möglichkeit, auch nachts das Fenster offenzulassen. Das ist nicht naiv, sondern möglich. Andere Städte zeigen, wie groß die positiven Auswirkungen von weniger Autos sind. Wir müssen nur den Mut haben, konsequent zu handeln und Städte für Menschen, statt für Autos zu gestalten. Das Rezept liegt vor uns, genauso die Zutaten.

Neue Daten zu Plastikmüll in Österreich

Im Herbst erhobene Zahlen von Greenpeace zeigen, dass Österreich ein handfestes Plastikproblem hat. Jeder österreichische Haushalt wirft wöchentlich rund 50 Plastikverpackungen in den Müll. Das entspricht jährlich 10,7 Milliarden Verpackungen. Warum ein Wandel dringend nötig ist – und welche Lösungen Greenpeace vorschlägt.

Im Oktober hat Greenpeace alle Österreicher:innen dazu aufgefordert, eine Woche lang ihren Plastikmüll zu zählen. Wir haben berichtet. 12.000 Menschen aus über 3.800 Haushalten sind dem Aufruf zum „Plastik-Check“ gefolgt. Ende November wurden die Ergebnisse in einem Report präsentiert.

„Pro Haushalt waren es 50 Verpackungen pro Woche.“

Rund eine Million Tonnen Plastikmüll fällt in Österreich jährlich an, ein Drittel davon sind Plastikverpackungen. Von den Verpackungen würden auch nur rund 17 Prozent recycelt, dafür über 80 Prozent verbrannt. Das zeigt die Analyse des gezählten Plastikmülls.

„Pro Haushalt waren es 50 Verpackungen pro Woche“, sagte der NGO-Sprecher Stefan Stadler. Auf ganz Österreich gerechnet somit rund 10,7 Milliarden Plastikverpackungen jährlich allein in den Haushalten.

„Wichtig wären Mehrweg-Strategien.“

Um weniger Plastikmüll zu verursachen, fordert Greenpeace ein Verbot von vermeidbaren Einwegverpackungen. Etwa bei Obst und Gemüse oder einzeln verpackten Süßigkeiten. Karin Huber-Heim, Expertin für Kreislaufwirtschaft und transformative Geschäftsmodelle an der FH des BFI Wien, unterstützt diese Forderung: „Eine Lösung wäre eine gesamtheitliche Kreislaufwirtschaft“, stattdessen denke man viel zu schnell über energieaufwendiges Recycling nach. „Wichtig wären Mehrweg-Strategien“, so die Expertin.

Vonseiten der Industrie brauche es eine Reduktion von schwer recycelbaren Mischmaterialien und den Einsatz von hochwertigen Kunststoffen, „unnötige Verpackungen gehören hingegen eliminiert, egal ob aus Plastik oder aus anderen Materialien.

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Der Herkunft nach war der Lebensmittelbereich mit zwei Dritteln des gezählten Plastikmülls dafür eindeutig führend. Ein Verbot derartiger Einwegverpackungen hätte laut Dengler noch einen weiteren Vorteil. So könne auch die Lebensmittelverschwendung reduziert werden, wenn etwa nicht mehr drei Paprikas auf einmal gekauft werden müssen.

Stadler ergänzte, dass die Plastikverpackung ohnehin nicht unbedingt die hygienischste Lösung sei. Eine Gurke sehe zwar länger frisch aus, der nicht sichtbaren Keimbildung bei längerer Lagerung setze das Plastik jedoch wenig entgegen. Der Plastikcheck habe gezeigt, wie viele vermeidbare Einwegverpackungen im Umlauf sind. Es reiche nicht, Einwegplastik zu verbieten und dann andere Materialien zum Einsatz zu bringen, sagte Dengler abschließend.

„90 Prozent achten bereits jetzt darauf, ob es das Produkt auch als Mehrweg gibt.“

An die Politik gerichtet ist die Forderung nach einer Mehrwegquote bei Getränkegebinden. Sie soll in Richtung 80 Prozent gehen – ein Niveau, das in den 1990er-Jahren schon einmal erreicht wurde.

„90 Prozent achten bereits jetzt darauf, ob es das Produkt auch als Mehrweg gibt“, nannte Stadler ein Ergebnis des „Plastik-Checks“. Bei den Materialien sollte die Recycelbarkeit an erster Stelle stehen – und auch der Plastikmüllexport aus Österreich gehöre reduziert. Noch würden 325.000 Tonnen an Plastikabfällen ins Ausland verbracht, womit pro Werktag 25 Lkw mit rund 1.000 Tonnen Plastikmüll über die Grenze rollen.

Auch global müsse die Plastikkrise bzw. -flut bekämpft werden. In diesem Zusammenhang erinnerte Greenpeace an die aktuellen UNO-Verhandlungen in Busan (Südkorea) für ein Abkommen gegen Plastikverschmutzung.

Gefordert wurden hier starke und verbindliche Maßnahmen – darunter eine 75-prozentige Reduktion der Plastikproduktion bis 2040, Mehrwegquoten und auch ein globales Verbot für unnötiges Einwegplastik.

Die Ergebnisse des „Plastik-Checks“ zeigen klar, dass wir unseren Umweg mit Plastikverpackungen ändern müssen. Mit mehr Kreislaufwirtschaft, Mehrwegsystemen und dem klaren Willen, unnötige Verpackungen aus unserem Alltag zu verbannen, können wir das Problem lösen.

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Neuer Start für Männlichkeit

Was bedeutet Männlichkeit? Was bedeutet Stärke? Geflüchtete Menschen stehen nach ihrer Ankunft in Österreich vor zahlreichen Herausforderungen – von Bürokratie bis hin zu sozialen und kulturellen Hürden. Auch Shokat Walizadeh hat diese Erfahrungen gemacht. Aus seiner eigenen Geschichte heraus gründete er den Verein „Neuer Start“, der geflüchtete Männer dabei unterstützt, ihre Rolle in der Gesellschaft neu zu definieren. 

Der Verein „Neuer Start“ ist eine Initiative, die seit ihrer Gründung im Jahr 2010 geflüchteten Menschen in Österreich Unterstützung bietet und ihnen den Einstieg in ein neues Leben erleichtert. Gegründet von Shokat Walizadeh und anderen ehemaligen Geflüchteten, hat der Verein das Ziel, nicht nur Integrationshilfe anzubieten, sondern auch eine Plattform für interkulturellen Austausch und Sensibilisierung zu schaffen. Vor allem männliche Geflüchtete und Jugendliche stehen im Mittelpunkt der Arbeit. Diese reicht von sozialer Unterstützung über Gewaltprävention bis hin zur Berufsorientierung.

„Integration kann nicht von heute auf morgen gelingen. Es muss von Anfang an ermöglicht werden“, erklärt der ehemalige Zahntechniker Shokat und unterstreicht damit die Dringlichkeit einer frühzeitigen Unterstützung. Der Verein bemüht sich, Geflüchteten von Anfang an zu helfen, um deren Motivation, in Österreich ein neues Leben zu beginnen, zu bewahren.

Gewaltprävention durch Sport

Der Verein „Neuer Start“ bietet eine Vielzahl von Aktivitäten an, die sich an die Bedürfnisse der Geflüchteten richten. Diese reichen von Sportangeboten wie Kickboxen und Fußball über kulturelle Veranstaltungen bis hin zu sozialen und pädagogischen Workshops. Das erst vor kurzem stattgefundene Integrationsfestival „Von Kabul bis Wien“ ist dabei ein besonderes Highlight, das den Austausch zwischen Österreicher:innen und Migrant:innen fördert. Zudem werden regelmäßig Workshops an Schulen durchgeführt, um das Bewusstsein für die Situation geflüchteter Menschen zu stärken.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Arbeit mit geflüchteten Männern. Gewaltprävention und der Umgang mit emotionalen Belastungen stehen hier im Mittelpunkt. Mit einem „Safe Space“ bietet der Verein einen geschützten Raum, in dem Männlichkeit und Stärke neu definiert werden – fernab von Gewalt und Vorurteilen. Wir durften einen Abend beim Kickbox-Training mit Trainer Samim Sahil dabei sein:

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Kickboxen ist bei „Neuer Start“ nicht nur ein Kampfsport, sondern ein Mittel zur Aggressionsbewältigung und Disziplinierung. Trainer Samim Sahil ist Welt- und Europameister in Kickboxen. Er lehrt den Teilnehmenden, dass Stärke und Respekt Hand in Hand gehen. Durch den Sport können die Männer Gefühlen wie Aggression, Angst oder Frust Raum geben und lernen, damit umzugehen. Viele Männer und Burschen, die regelmäßig zu Samims Training kommen, schätzen es, hier emotional sein zu dürfen. Sie lernen, dass es okay ist, als Mann Gefühle zu haben – diese aber nicht in Gewalt umzusetzen.

„Das Patriarchat schafft sich nicht von selbst ab.“

Ein besonderes Projekt des Vereins ist „BARABARI“ – ein Angebot, das sich auf interkulturelle Burschen- und Männerarbeit konzentriert. Der Begriff „Barabari“ stammt aus dem Dari und bedeutet „Gleichberechtigung“. Das Projekt wurde in Kooperation mit dem Poika-Verein für gendersensible Bubenarbeit und dem Dachverband für Männer-, Burschen- und Väterarbeit in Österreich (DMÖ) ins Leben gerufen und wird vom Sozialministerium gefördert. Ziel des Projekts ist es, Geflüchteten, die oft in prekären Verhältnissen und mit begrenztem Zugang zu Bildung aufgewachsen sind, einen geschützten Raum zu bieten.

Im Rahmen von BARABARI werden Jungen, Männer und Väter unterstützt, ihre Emotionen auszudrücken und offen über Herausforderungen zu sprechen. Sozialarbeiter:innen und Pädagog:innen bieten Begleitung und Zugang zu weiterführenden Unterstützungsangeboten. „Das Patriarchat schafft sich nicht von selbst ab“, sagt Shokat Walizadeh und verdeutlicht damit die Wichtigkeit dieses Projekts, das nicht nur den Teilnehmern hilft, sondern auch langfristig zur Gewaltprävention beiträgt.

Sensibilisierung für Österreicher:innen

Neben der direkten Unterstützung Geflüchteter sieht der Verein es als wichtig an, die österreichische Gesellschaft für die Erfahrungen und Bedürfnisse von Migrant:innen zu sensibilisieren. In Zusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen werden Schulworkshops und Vorträge angeboten. Diese fördern das interkulturelle Verständnis und tragen zur Prävention von Extremismus und Vorurteilen bei. Shokat Walizadeh und seine Kolleg:innen sind überzeugt, dass nur durch ein realistisches Verständnis füreinander Vorurteile abgebaut werden können.

Integration ist keine Einbahnstraße

Shokat sieht jedoch noch viel Handlungsbedarf in Österreich. Integration sei keine Einbahnstraße, betont er und fordert eine offenere Gesellschaft, die Geflüchteten die notwendige Zeit und Unterstützung bietet, um sich zurechtzufinden. Um seine Arbeit weiterhin erfolgreich fortführen zu können, wünscht sich der Verein mehr Unterstützung und Anerkennung. Die Förderung durch unterschiedliche Ebenen, ob durch den Staat, private Spender oder andere Organisationen, ist essenziell, um auch langfristig Geflüchteten einen neuen Start zu ermöglichen.

„Neuer Start“ ist ein Ort, an dem es nicht um Herkunft oder Religion geht – es zählt allein der Mensch. Der Verein bietet Geflüchteten nicht nur die Möglichkeit, in Österreich anzukommen, sondern auch, ihre eigene Stärke und Rolle in der Gesellschaft zu entdecken. Das Ziel bleibt klar: Ein Österreich, in dem Menschen mit und ohne Fluchterfahrung gemeinsam und respektvoll leben können.

Österreich verbessert Klimaschutz

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Ein gemischtes Bild der Fortschritte in der Energie- und Klimapolitik weltweit zeichnet der am Mittwoch bei der UNO-Klimakonferenz Cop29 in Baku veröffentlichte Klimaschutz-Index von Germanwatch und dem New Climate Institut.

Demnach hat sich der Ausbau erneuerbarer Energien massiv beschleunigt, allerdings gebe es auch heftige Widerstände gegen eine Abkehr von fossilen Energien. Österreich rückt gegenüber dem Vorjahr im Ranking von Platz 32 auf 23 vor. Wie seit Jahren üblich, ließen Germanwatch und das New Climate Institut in ihrem Gesamtranking die ersten drei Plätze leer – um deutlich zu machen, dass die Anstrengungen und Fortschritte aller Länder beim Klimaschutz noch zu gering sind. Den besten Platz belegt mit Rang vier erneut Dänemark mit einem „gut“ in der Gesamtwertung und „sehr gut“ bei erneuerbaren Energien. Es folgen die Niederlande und Großbritannien auf Platz fünf und sechs. Bei den Erneuerbaren wurden mit Norwegen und Schweden zwei weitere skandinavische Länder mit „sehr gut“ bewertet.

Österreich steigt um neun Plätze

Österreich habe zwar neun Plätze gutgemacht, liegt aber immer noch unter den Ländern mit einer mittelmäßigen Klimaschutzperformance. Damit könne man nicht zufrieden sein, so das kritische Statement von Global 2000. „Um in die Top-Liga der Klimaschutz-Performer vorzustoßen, braucht es weitere entschlossene Maßnahmen der nächsten Regierung“, so Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher der Umweltorganisation. ÖVP, SPÖ und NEOS seien bei ihren Koalitionsverhandlungen entsprechend gefordert.

Im Index wurden uns der hohe Anteil erneuerbarer Energie und der Trend der zuletzt sinkenden Treibhausgasemissionen positiv angerechnet. Hervorgehoben wurden wirksame Klimaschutzmaßnahmen der letzten Regierung. Darunter die Förderungen für den Austausch fossiler Heizkessel, die thermische Sanierung oder das Klimaticket. Kritisch hingegen werden im Bericht der nach wie vor hohe CO₂-Ausstoß pro Kopf, der hohe Energieverbrauch und das Fehlen verbindlicher Ausstiegsfristen für fossile Heizungen oder eines Klimaschutzgesetzes in Österreich aufgeführt.

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Jasmin Duregger von Greenpeace Österreich würdigte das Erreichte: „Österreich macht einen deutlichen Sprung nach vorne beim Klimaschutzranking.“ Zeit zum Ausruhen bleibe aber sicher nicht. Deshalb sieht sie ebenfalls die nächste Regierung gefordert. Nur mit einem umfassenden Klimaprogramm würden sich Klimaschutz konsequent vorantreiben und eskalierende Wetterextreme eindämmen lassen.

Deutschland rutscht leicht ab

Deutschland ist leicht auf Platz 16 abgerutscht, da in den Sektoren Verkehr und Gebäude kaum Fortschritte erkennbar seien. Kritisiert wurden zudem das Verwässern des Klimaschutzgesetzes sowie Haushaltskürzungen. Deutliche Fortschritte attestieren die Organisationen unseren Nachbarn beim Ausbau erneuerbarer Energien sowie in gewissem Maße auch bei der Senkung der Treibhausgasemissionen insgesamt.

Großbritannien unter Top 10

Einer der größten Aufsteiger ist im Klimaschutz-Index Großbritannien, das sich dank ehrgeiziger Bemühungen seiner neuen Labour-Regierung von Platz 20 auf Platz sechs verbesserte. Größte Absteiger sind die Schweiz, Finnland und Argentinien – vor allem wegen jeweils deutlich schlechterer Bewertungen ihrer Klimapolitik.

China und die USA weiterhin schlecht

Die weltweit größten Treibhausgas-Emittenten China und USA werden beide als „sehr schlecht“ bewertet. China erreicht nur Platz 55, die USA sogar nur Platz 57 – insbesondere wegen sehr hoher Emissionen sowie sehr hohem Pro-Kopf-Energieverbrauch. Beiden Ländern werden allerdings positive Entwicklungen beim Ausbau erneuerbarer Energien bescheinigt. Auch in China scheine zudem der Höhepunkt des Treibhausgasausstoßes nahezu erreicht zu sein, heißt es in dem Bericht. Notwendig bleibe aber eine klare Abkehr von fossilen Energien. Die Europäische Union erreichte insgesamt Rang 17, Schlusslichter der Gesamtskala sind Saudi-Arabien und der Iran.

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So wurde gewertet

Der Klimaschutz-Index umfasst insgesamt 63 Staaten sowie die EU. Sie zusammen sind demnach für mehr als 90 Prozent des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich. Bewertet werden Treibhausgasemissionen (40 Prozent Gewichtung für das Gesamtranking), Erneuerbare Energien (20 Prozent), Energieverbrauch (20 Prozent) und Klimapolitik (20 Prozent) nach festgelegten Kriterien. Dabei fließen neben dem jeweiligen Ist-Stand auch Trends und Perspektiven in die Wertung ein. An dem Index sind rund 450 Expertinnen und Experten beteiligt. (Red./APA)

Rechtsextremismus neu verpackt

Österreich wird rechtsextremer, aber es ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Springerstiefel, Bomberjacke und Nazi-Symbole? Fehlanzeige. Hinter der Fassade verbergen sich zwar dieselben menschenverachtenden Ideen. Aber die Neue Rechte zeigt sich nach außen zahm und modern. Dieses Auftreten und geschickte Medienarbeit machen rechtsextreme Ideen immer salonfähiger.

Mit 28,8 Prozent war die FPÖ die stärkste Partei bei der Nationalratswahl. Gleichzeitig ist die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten von 2022 auf 2023 um ein Drittel gestiegen. Und Ende des Sommers zeigten undercover gefilmte Aufnahmen des RTL-Magazins Extra eine Party in Wien, auf der Identitäre vom Völkermord an Muslim:innen fantasieren. Österreich ist rechtsextremer geworden und das zeigt sich auch im Alltag vieler Menschen.

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In einer Familie ist es der Onkel, der alle Asylanten wieder aufs Mittelmeer schicken möchte. In einer anderen die Oma, die das linkslinke Politikergesindl endlich einsperren will. Tagtäglich fallen solche Sätze an den Esstischen Österreichs. Das ist nichts Neues, aber es wird mehr. Und immer öfter sehen die anderen Menschen am Tisch über solche rechtsextremen Aussagen hinweg.

  • „Der Onkel halt.“
  • „Du weißt doch, wie die Oma ist.“
  • „Naja, irgendwo hat sie schon auch recht.“
Das Unsagbare wird sagbar

In einem Interview mit der ZEIT sagt der renommierte Politikwissenschafter Ivan Krastev, dass viele unsagbare Dinge wieder sagbar werden. Geflüchtete Menschen in den Tod zu wünschen? Sagbar. Gefängnisstrafen für politisch Andersdenkende? Auch sagbar.

Besucher:innen der Salzburger Festspiele als Inzuchtpartie bezeichnen? Auch das ist 2024 sagbar, wie wir seit Ende August wissen. Sogar für eine Person, die Bundeskanzler werden möchte: Herbert Kickl.

Politikwissenschafter Krastev sieht diese Entwicklung in vielen westlichen Ländern. Und bringt in diesem Zusammenhang die sogenannte Neue Rechte ins Spiel – ein rechtsextremes Netzwerk, das laut aktuellen Verfassungsschutzbericht auch in Österreich an Einfluss gewinnt. Verfassungsschützer:innen in ganz Europa stufen die Neue Rechte als ernste Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat ein.

Tabubruch als Strategie

Die Neue Rechte serviert rechtsextreme Ideen mitsamt passendem Vokabular an die Esstische Österreichs. Nehmen wir Remigration her. Ein Wort, das sachlich klingt, aber nichts Geringeres meint, als die Deportation von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund.

Wohlüberlegt bringt die Neue Rechte solche Worte in die öffentliche Debatte ein. Das ist Teil ihrer Metapolitik. Ein Begriff, der für die Neuen Rechten wichtig ist. Was hinter dahinter steckt, dazu kommen wir gleich.

Rechtsextremismus geht auch ohne Nazi-Symbole

Zuerst aber: Wer oder was ist dieses Netzwerk der Neuen Rechten? Der Name lässt zwar anderes vermuten, aber so neu ist die Neue Rechte nicht. Bereits in den 1960er Jahren bezeichneten sich rechtsextreme Gruppen in Frankreich und Deutschland so.

Das Neu im Namen ist damals wie heute Ausdruck dafür, dass man sich vom geschichtlichen Nationalsozialismus abgrenzen möchte. Man will rechtsextreme Politik erneuern und sie wieder salonfähig machen. Und mit Nazi-Bezügen lassen sich wenig Sympathiepunkte in der breiten Bevölkerung sammeln.

Die Neue Rechte ist dabei aber keine einzelne Gruppierung oder gar eine Partei, sondern ein informelles Netzwerk von Einzelpersonen und Organisationen. So definiert es der deutsche Inlandsgeheimdienst.

Kein:e rechtsextreme:r Poltiker:in kann also formal Mitglied der Neuen Rechten werden, sondern sich nur in ihre Kreise begeben. Zwischen anderen rechtsextremen Gruppierungen und den Neuen Rechten lassen sich also keine scharfen Grenzen ziehen.

Neue Rechte vermengen sich mit Parteipolitik

Eindeutig dem Netzwerk der Neuen Rechten zuordnen lässt sich die Identitäre Bewegung. Im österreichischen Verfassungsschutzbericht wird sie als die zentrale Gruppierung der Neuen Rechten bezeichnet. Auch sie selbst bezeichnet sich als aktivistischer Arm der Neuen Rechten.

Wie die RTL-Recherche zeigt, nehmen es die Identitären aber mit der Distanzierung zum Nationalsozialismus nicht allzu ernst. In den undercover gefilmte Aufnahmen wird nicht nur der Holocaust verherrlicht, sondern auch neonazistische Begriffe verwendet.

Und die FPÖ? Die Ideen der Neuen Rechten sind in vielen rechtsextremen Parteien deutlich sichtbar. Auch in der FPÖ, insbesondere in ihrer Jugendorganisation, der Freiheitlichen Jugend. Bernhard Weidinger, Rechtsextremismus-Forscher im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands urteilt in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk, dass die Freiheitliche Jugend aussieht, spricht und handelt wie die Identitäre Bewegung.

Er redet von einer Verschmelzung von Parteien und rechtsextremer Szene. Eine Beobachtung, die auch Verfassungsschützer:innen machen. Die Neue Rechte würden eine immer stärkere Vermengung mit der Parteipolitik anstreben, steht etwa im aktuellen Verfassungsschutzbericht.

Öffentliche Meinung beeinflussen

Jetzt aber zurück zur erwähnten Metapolitik. Dabei handelt es sich um einen philosophischen Begriff der Staatslehre. Vereinfacht gesagt heißt Metapolitik, Politik über den politischen Bereich hinausdenken.

Es geht um die strategische Beeinflussung der Öffentlichkeit. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung die eigenen Ideen verinnerlicht hat, sind sie politisch durchsetzungsfähig. Im Fall der Neuen Rechten heißt das, rechtsextreme Erzählungen zu verbreiten. Über geschickte Medienarbeit, über eigene Verlage und über die bereits erwähnte Vermengung mit der Parteipolitik.

Durch die Verbreitung von rechtsextremen Ideen und Erzählungen verschiebt die Neue Rechte die Grenzen des Sagbaren Stück für Stück zu ihren Gunsten. Das braucht seine Zeit, aber es scheint zu funktionieren. In ganz Europa rücken rechtsextreme Ideen in die Mitte der Gesellschaft vor.

Die Verschwörungserzählung des großen Austausches

Der große Austausch ist eine dieser Erzählungen. Er stammt aus der Feder der Neuen Rechten und ist mittlerweile in den Köpfen vieler Menschen verankert. Die Verschwörungserzählung besagt, dass eine nicht näher definierte Elite bewusst Menschen aus nicht-westlichen Ländern ins Land bringt, um die ursprüngliche Bevölkerung zu verdrängen.

So soll sie geschwächt und letztlich ausgetauscht werden. Der große Austausch verbreitet das Gefühl, dass die eigene Kultur und Identität bedroht sind. Und schafft damit die Rechtfertigung für rassistische und menschenfeindliche Politik.

Subtil, aber rechtsextrem

Die Neue Rechte ist rechtsextrem. Der deutsche Verfassungsschutz hebt das in seinem Bericht aus dem Jahr 2020 besonders hervor:

„Rechtsextremistische Bezüge der Neuen Rechten sind nicht immer offensichtlich. Diese ergeben sich aber aus Verstößen gegen das Menschenwürde-, Rechtstaats- und Demokratieprinzip (…).“

Und auch das Mauthausen-Komitee warnt davor, dass Rechtsextremismus sich nicht mehr so offen zeigt wie früher:

„In der rechtsextremen Szene hat seit vielen Jahren ein Wandel stattgefunden. (…) Die Kleidung wird „cooler“ – modische Accessoires und Mainstream-Produkte statt Schläger-Outfits. Mit jugendkulturellen Codes auf der Kleidung, deren Bedeutung in der Regel nur in der Szene bekannt ist, outet man sich szeneintern.“

Die Neuen Rechten wollen Rechtsextremismus normalisieren. Sie geben sich sprachlich subtiler und modern. Ihre Ideen sollen an den Esstischen des Landes nicht mehr als radikal und menschenfeindlich, sondern als ernsthafte politische Forderung durchgehen.

Mit dieser Strategie sind die Neuen Rechten beängstigend erfolgreich. Das belegt der durchschlagende Erfolg der FPÖ. Politik, Medien und die Gesellschaft müssen hier klar Stellung beziehen. Wir müssen hinter harmlose Worte blicken und menschenverachtende Politik klar als solche benennen. Rechtsextremismus bleibt Rechtsextremismus, auch wenn er in einer modernen Verpackung steckt.

Gestörter Winterschlaf

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Die Klimakrise bringt uns immer häufiger kurze und milde Winter. Darunter leiden auch unsere heimischen Tierarten. Denn die steigenden Temperaturen führen dazu, dass Winterschläfer früher aus ihrem Winterschlaf erwachen. Das führt zu Problemen.

Wenn die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen, der erste Schnee kommt und der Boden gefriert, wird es im Wald still. Die Tiere ziehen sich zum Winterschlaf zurück. Erst mit den ersten warmen Sonnenstrahlen im Frühling erwacht die Natur wieder zum Leben. So sollte es sein. Doch was, wenn es dem Murmeltier in seiner Höhle plötzlich zu warm wird? Bienen aus ihrer Winterstarre zu früh erwachen, weil draußen scheinbar die ersten Blumen in der Blüte stehen? Oder der Igel durch Wärmeperioden aus seinem Rhythmus gebracht wird? Vom ungestörten Winterschlaf ist da oft nur noch wenig übrig.

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Welche Auswirkungen haben milde Winter auf unsere heimischen Tier- und Pflanzenarten? Wie gehen sie mit der Klimawandel und den steigenden Temperaturen im Winter um? Universitätsprofessorin Claudia Bieber von der Veterinärmedizinischen Universität Wien verrät uns, wie heimische Tierarten den Winter verbringen und wie wir ihnen dabei helfen können.

Winterschlaf, Winterstarre & Winterruhe

„Tiere haben verschiedene Strategien, um den Winter zu überstehen, abhängig von ihrer Spezies, Umgebung und den verfügbaren Ressourcen“, erklärt die Professorin. Einige Vögel fliegen im Winter Richtung Süden, um die kalte Jahreszeit in warmen Regionen zu verbringen. Eine Reise in warme Gefilde ist jedoch nicht jedem Tier möglich, weshalb sich andere an die winterlichen Bedingungen anpassen, indem sie Winterschlaf, Winterruhe oder Winterstarre halten.

Winterschlaf: Beim Winterschlaf senken Tiere ihre Körpertemperatur und alle Lebensfunktionen drastisch ab. Die Herzfrequenz sinkt auf nur wenige Schläge pro Minute, die Atmung wird langsamer, und die Muskeln werden schlaff. Dadurch verbrauchen die Tiere nur noch sehr wenig Energie. Winterschläfer sind meist kleine Tiere, die nicht genug Nahrung finden, um den Winter zu überleben. Dazu gehören Fledermäuse, Siebenschläfer, Hamster, Murmeltiere und Igel.

Winterruhe: Bei der Winterruhe senken Tiere ihre Körpertemperatur nicht so stark wie bei der Winterstarre. Es ist ein Zustand, den man sich als mehrfach unterbrochenen Winterschlaf vorstellen kann, bei dem hin und wieder gefressen wird. Winterruhe halten meist größere Tiere. Dazu gehören Dachse, Eichhörnchen, Waschbären und Braunbären.

Winterstarre: Bei der Winterstarre lässt sich das Tier vollständig einfrieren. Die Körpertemperatur sinkt bis auf den Gefrierpunkt, die Atmung und die Herzfrequenz hören auf. In diesem Zustand verbrauchen die Tiere kaum noch Energie. Um sich vor Frost zu schützen, vergraben sich die Tiere häufig im Boden. Erst wenn es wieder wärmer wird, ist die Winterstarre vorbei. Das bedeutet, dass die Tiere zwischendurch nicht aufwachen können und daher auch nicht fressen. Winterstarre findet man bei wechselwarmen Tieren wie Fröschen und Schildkröten.

Neben dem Winterschlaf, der Winterruhe und -starre gibt es noch weitere Strategien, die die Tiere durch den Winter bringen. „Eichhörnchen halten beispielsweise keinen Winterschlaf. Sie legen im Herbst einen Futtervorrat an, der sie den Winter über ernährt. Andere Tiere fressen im Herbst Unmengen, um sich eine Speckschicht anzulegen. Wieder andere Säugetiere oder Vögel legen sich in der kalten Jahreszeit ein Winterfell oder ein dickes Federkleid zu“, erklärt die Professorin. Für sie haben die steigenden Temperaturen keine großen Auswirkungen. Denn ein wärmerer Winter bedeutet für sie mehr Nahrung. Für alle anderen jedoch bedeuten die höheren Temperaturen Stress und Gefahr.

Wenn es dem Bären zu warm wird, erwacht er früher aus seiner Winterruhe. Die Tiere benötigen aber diese Zeit, um zu Kräften zu kommen und gesund zu bleiben. © Adobe Stock
Wenn es dem Bären zu warm wird, erwacht er früher aus seiner Winterruhe. Die Tiere benötigen aber diese Zeit, um zu Kräften zu kommen und gesund zu bleiben. © Adobe Stock
Auswirkungen der Klimakrise auf die Winterruhe
  1. Einfluss auf Insekten: Am schwersten fällt es den Insekten, sich auf die veränderten Temperaturen einzustellen. Denn Insekten sind auf den Nektar verschiedener Pflanzen angewiesen. Durch die warmen Winter blühen viele Pflanzen frühzeitig, manchmal zu früh. Viele Insekten sind da noch nicht aktiv. Dies führt dazu, dass Bienen und andere Insekten, wenn sie fliegen, oft keine Nahrung mehr finden, da die Blüten bereits verblüht sind. Dies ist besonders für Bienen problematisch, da sie dadurch verhungern können. Ein vorgetäuschter Frühlingsbeginn kann zudem Insekten frühzeitig aus ihren sicheren Nestern locken. Bienen verlassen beispielsweise ihren Bienenstock ab zwölf Grad Celsius, suchen nach Nahrung und Wasser, räumen ihr Winterquartier auf und beginnen mit ihrer Arbeit, was viel Energie kostet. Wenn dann nur wenige Blüten verfügbar sind, erhalten einige Bienen nicht genug Nahrung und verhungern. Bei plötzlichem Kälteeinbruch während eines Ausflugs schaffen es einige Bienen möglicherweise nicht mehr rechtzeitig zurück und erfrieren. Der Verlust dieser erfrorenen Bienen kann erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Leben im Bienenstock haben.
  2. Einfluss auf Pflanzen: Die Winter werden wärmer, die Tage länger, und viele Pflanzen blühen jedes Jahr früher. Wenn dann keine Insekten für die Bestäubung bereitstehen, kann das langfristig zu weniger Früchten führen. Auch die Frosthärte von Pflanzen ist betroffen. Einige Pflanzen, die früher frostbeständig waren, sind nun anfälliger für Frostschäden, weil sie nicht mehr so gut auf Kälte vorbereitet sind. Dies kann dazu führen, dass Pflanzen erfrieren oder ihre Blätter verlieren, was ihre Gesundheit und Produktivität beeinträchtigt.
  3. Verhalten von Vögeln: Zugvögel fliegen üblicherweise im Herbst in wärmere Regionen, um zu überwintern. Bei milden Wintern entscheiden sich jedoch mehr Vögel, in der Region zu bleiben, da sie hier länger Nahrung wie Insekten finden können. Das führt zu Konkurrenz um Nahrung und Lebensraum mit Vögeln, die das ganze Jahr über in Österreich bleiben. Außerdem könnten Zugvögel, die normalerweise nach Afrika fliegen und im Frühling zurückkehren, mit besetzten Nistplätzen konfrontiert werden.
  4. Auswirkungen auf Säugetiere: Die Population von Säugetieren wie Wildschweinen und Rehen könnte aufgrund des milden Wetters ansteigen. Während sich diese Tiere anpassen können, birgt plötzlicher Frost Gefahren für Jungtiere, die erfrieren oder verhungern könnten.
  5. Problematischer Winterschlaf: Milde Winter können unterschiedliche Auswirkungen auf den Winterschlaf von Tieren haben. Winterschläfer wie Igel, Fledermäuse oder Bilche werden durch einen durchgängig milden Winter kaum gestört. Dauert die milde Phase jedoch länger an und wird dabei häufig von kurzfristigen Kälteeinbrüchen unterbrochen, wachen Winterschläfer auf und benötigen im Wachzustand wesentlich mehr Energie. Das bedeutet mehr Nahrung, welche nicht ausreichend zu finden ist. Kommt es dann erneut plötzlich zu einem Kälteeinbruch, geraten die Winterschläfer in Gefahr zu erfrieren oder zu verhungern.
  6. Auswirkungen auf die Nahrungskette: Selbst die globale Nahrungskette kann durch mildere Winter beeinträchtigt werden. Zugvögel zum Beispiel überwintern normalerweise im wärmeren Süden und dienen dort wiederum einheimischen Tieren als Nahrungsquelle. Wenn diese Zugvögel jedoch ihre Reise im Herbst nicht antreten, kann das zu Nahrungsmangel im Süden führen. Darüber hinaus stellen die höheren Temperaturen auch eine Herausforderung für einheimische Vögel dar, die auf das Aufknacken von gefrorenen Samen angewiesen sind. Gefrorene Samen sind dann Mangelware.
Vor allem kleinere Tiere können wir im Winter gut mit Schutzräumen, Futter und Wasser unterstützen.
Vor allem kleinere Tiere können wir im Winter gut mit Schutzräumen, Futter und Wasser unterstützen.
Maßnahmen zum Schutz der Tiere in milderen Wintern

Mit ein paar einfachen Tipps können wir Tieren helfen, den Winter besser zu überstehen. Professor Bieber rät zu folgenden Maßnahmen:

  • Futter bereitstellen: Stellt zusätzliche Nahrungsmittel bereit, um sicherzustellen, dass Tiere genügend Energie haben, um die kälteren Perioden zu überstehen. Dies gilt insbesondere für Wildtiere, Vögel und streunende Tiere.
  • Wasserversorgung: Sorgt dafür, dass Tiere Zugang zu sauberem Wasser haben. In milderen Wintern kann es vorkommen, dass natürliche Wasserquellen einfrieren, was die Wasserversorgung für Tiere erschwert.
  • Schutzräume: Bietet Unterschlupf- und Schutzmöglichkeiten für Tiere an. Das können Nistkästen für Vögel, Verstecke für Kleintiere oder geschützte Bereiche für Wildtiere sein.
  • Heimische Pflanzen fördern: Setzt in Gärten Pflanzen an, die in eurer Region heimisch sind und den Tieren als Nahrung dienen. Das unterstützt die örtliche Tierwelt und hilft, das Gleichgewicht in der Natur zu erhalten.
  • Waldruhe: Viele Tiere halten im Wald ihre Winterruhe. Stört sie nicht mit Lautstärke und bleibt auf Wegen und Wintersportpisten.
  • Klimaschutz unterstützen: Setzt euch für Klimaschutzmaßnahmen ein, um die Auswirkungen der Klimakrise auf die Tierwelt zu reduzieren. Zum Beispiel durch das Reduzieren des persönlichen CO₂-Fußabdrucks, das Vermeiden von Plastikmüll und das Unterstützen von Initiativen zur Förderung erneuerbarer Energien.
  • Aufklärung und Sensibilisierung: Informiert Familie, Freunde, Gemeinde über die Auswirkungen der Klimakrise auf die Tierwelt. Ermutigt sie dazu, die Natur und das Klima aktiv zu schützen.
  • Forschung fördern: Unterstützt wissenschaftliche Forschung, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Tierwelt befasst. Dies kann dazu beitragen, fundierte Maßnahmen zur Unterstützung von Tieren in milderen Wintern zu entwickeln.
  • Naturschutzgebiete schützen: Engagiert euch für den Erhalt und Ausbau von Naturschutzgebieten, um intakte Lebensräume für Tiere zu bewahren.

Renaturierungspotenzial unserer Flüsse

Frei fließende und ökologisch intakte Flüsse speichern Wasser, federn Hochwasser ab und beugen Dürreperioden vor. Den Großteil unserer Flüsse haben wir allerdings begradigt, verbaut und so verändert, dass sie in keinem natürlichen Zustand mehr sind.

„Frei fließende Flüsse“ nennt sich eine neue Studie vom technischen Büro blattfisch e.U. für den WWF. Darin wurden alle heimischen Flüsse auf ihren Verbauungsgrad analysiert. Das Ergebnis ist alarmierend. Denn nur noch 14 Prozent der österreichischen Flüsse sind in einem sehr guten ökologischen Zustand. Das Potenzial für Renaturierung ist entsprechend hoch. Rund 1.000 Flusskilometer haben ein hohes Renaturierungspotenzial.

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Schwerpunkt für Renaturierungsverordnung

Der WWF forderte daher einen Schwerpunkt auf Flüsse bei der nationalen Umsetzung der EU-Renaturierungsverordnung. Dafür brauche es einen österreichweit abgestimmten, fachlich fundierten Wiederherstellungsplan samt Finanzierung. In der Vergangenheit seien natürliche Lebensräume durch Wasserkraftwerke, Wehranlagen und Sohlschwellen, aber auch durch Uferverbauungen zerschnitten und massiv verändert worden oder seien sogar komplett verloren gegangen – mit dramatischen Folgen für die Natur und insbesondere die Artenvielfalt, warnt der WWF.

„Nur noch 14 Prozent der österreichischen Flüsse sind in ihrem natürlichen Zustand.“

„Fehlen geeignete Strukturen, verschwinden auch die Arten im und am Fluss. So sind zum Beispiel 60 Prozent der heimischen Fischarten als gefährdet eingestuft, nur noch 14 Prozent der österreichischen Flüsse sind in ihrem natürlichen Zustand.“ Grundsätzlich gelte: Je weniger Bauwerke einen Flussabschnitt einengen, desto höher ist dessen Renaturierungspotenzial. Beispiele für solche Flüsse seien Strecken, die durch Rückbau eines obsoleten Querbauwerks oder der Entfernung einer Uferbefestigung wieder zu einer frei fließenden Flussstrecke werden können. Untersucht wurden alle österreichischen Flüsse mit einem Einzugsgebiet von mehr als 100 Quadratkilometern.

Potenzial in allen Bundesländern

Flussabschnitte mit hohem Potenzial finden sich in jedem Bundesland. Beispiele sind die Aschach in Oberösterreich, die Isel in Osttirol oder die untere Mur in der Südsteiermark. „An Strecken mit hohem Potenzial würde in vielen Fällen eine bauliche Maßnahme reichen, um sie wieder frei fließen zu lassen“, sagte Studienautor Gabriel Kirchmair vom technischen Büro blattfisch e.U. „Das zeigen erfolgreiche Renaturierungen, wie zum Beispiel jene an der oberösterreichischen Maltsch.“ An anderen Abschnitten könnten Uferbausteine entfernt oder Seitenarme wieder angebunden werden.

Für Niederösterreich, das besonders vom Hochwasser im September betroffen war, sei die March ein besonderes Beispiel. Sie wurde in der Studie wegen des Verbauungsgrades zwar nur mit einem mittleren Potenzial bewertet, aber „durch die Entfernung künstlicher Uferbefestigungen und die Wiederanbindung alter Seitenarme und Mäander auf einer Länge von rund 60 Kilometern könnte hier jedoch eine Auenlandschaft von rund 200 Quadratkilometern wiederhergestellt werden“, so der WWF. Erfolgreiche Renaturierungen wurden zudem bereits an der Pielach durchgeführt. Wien nehme als Stadt zwar eine Sonderstellung ein, habe aber mit dem Liesingbach ein erfolgreiches Beispiel für Renaturierung vorzuweisen. Das Projekt bringe mehr Hochwassersicherheit, Lebensräume für Tiere und Pflanzen in der Stadt und wichtige Erholungsräume. (Red./APA)

Mit Wildblumen gegen das Artensterben

Unsere Lebensräume verarmen, viele Arten von früher gibt es heute nicht mehr. Doch Wildblumen-Expertin Karin Böhmer glaubt daran: Die allermeisten Pflanzenarten können wir wieder zurückholen. Sie kämpft gegen das Artensterben – mit einem Betrieb, der in seiner Art einzigartig ist. Wir haben sie einen Tag lang begleitet.

Ein sonniger Vormittag im südlichen Waldviertel. Naturschutzexpertin Karin Böhmer bindet sich alte Polsterüberzüge an den Gürtel, schnappt ihre Gartenschere und schon geht es zu einer ihrer Sammelflächen. Auf einem kleinen Fleckchen Wiese können über hundert Pflanzenarten wachsen – eine enorme Vielfalt im Vergleich zu anderen Flächen. Diese werden in den Sommermonaten gesammelt und später getrocknet, um sie woanders wieder aussäen zu können.

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Heimische Wildpflanzen locken Insekten, Vögel und weitere Tiere an und fördern die Artenvielfalt enorm. Das ist wichtig, denn unsere Natur steht massiv unter Druck – ein Drittel aller Pflanzen- und Tierarten sind weltweit vom Aussterben bedroht. Jedoch müsste keine weitere Art verloren gehen, wenn wir aktiver werden. Es gibt nämlich sehr viele Flächen, wo Platz für neue Vielfalt wäre. Von Straßen- und Bahnbegleitflächen über Dachbegrünungen bis hin zu Wasserrückhalteflächen und Blühflächen für Landwirt:innen ist alles möglich.

Seit über 40 Jahren sammelt Karin Böhmer gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen Wildblumensamen, um damit wieder neue Lebensräume anzulegen. Dafür gehen sie auf ökologisch wertvolle Flächen in ganz Österreich und „ernten“ die reifen Wildblumen – von rund 1000 verschiedenen Arten. Im Anschluss werden die Samen aus der Pflanze geholt, gereinigt und getrocknet, um dann für die jeweilige Region und das entsprechende Pflegeregime individuell zusammengemischt zu werden. Auch die zunehmende Wärme und Trockenheit werden bei der Zusammenstellung der Mischungen berücksichtigt. Ihre Kund:innen können also Samenmischungen bestellen, die perfekt auf den jeweiligen Standort zugeschnitten sind. So wird sichergestellt, dass die Samen nur auf Flächen kommen, auf denen sie auch wachsen können – ein wichtiger Beitrag zum Naturschutz und der Förderung regionaler Vielfalt.

Karin Böhmer mit einer Mitarbeiterin und der Journalistin Mira Dolleschka am Dachboden ihres Betriebs. Sie stehen auf Decken, auf denen Wildblumen zum Trocknen aufliegen. Im Hintergrund hängen Polsterüberzüge gefüllt mit weiteren Pflanzen, um gegen das Artensterben zu kämpfen.
Karin Böhmer mit einer ihrer Mitarbeiter:innen und der Journalistin Mira Dolleschka am Dachboden, wo die Wildblumen getrocknet werden. Foto: Julia Zander
Wir brauchen intakte Natur

Auf unseren Wiesen nimmt die Vielfalt rasant ab. Selbst früher weit verbreitete Arten wie die Margerite oder der Wiesensalbei werden immer seltener. Das liegt vor allem an Versiegelung, intensiver Bewirtschaftung und Überdüngung und bringt unsere Ökosysteme aus der Balance. Dabei ist eine intakte Natur ein wichtiger Schutz gegen die negativen Auswirkungen der Klimakrise.

Die in ganz Österreich verteilten Flächen, auf denen Karin Böhmer und ihre Mitarbeiter:innen sammeln, sind zum Großteil gepachtet. Einige sind auch öffentliche Flächen, auf denen sie sammeln dürfen; für manche haben sie eigene Nutzungsübereinkommen.

Die Wiesen sind Teil der Kulturlandschaft und müssen gepflegt werden. Denn sonst wachsen sie zu und werden früher oder später zu Wald. Die Bewirtschaftung ist jedoch oftmals mühsam und bringt wenig monetären Ertrag im Vergleich zu Futterwiesen oder Waldwirtschaft, weshalb in vielen Regionen Österreichs immer mehr Wiesen zu Monokulturen werden. Denn Landwirt:innen, die generell schon stark unter Druck stehen, haben oftmals keine Zeit für die arbeitsintensive Pflege. Viele von ihnen sind mittlerweile jedoch gute Kund:innen des Betriebs und stellen ihre Blühwiesen zur Verfügung, weil sie zu schätzen wissen, wenn wieder mehr Vielfalt in die Ackerlandschaft kommt. Durch Karin Böhmers Arbeit entstehen also nicht nur neue artenreiche Wiesen, sondern es werden auch bestehende Flächen erhalten. Sie arbeitet sehr naturnahe und beweidet die Flächen auch mit Pferden, Ziegen und Schafen.

Zu den größten in den letzten Jahren von Karin Böhmer begrünten Flächen gehören etwa die Dammbegrünungen an der March und der Donau. Die überwiegende Anzahl ihrer Kund:innen sind jedoch Privatpersonen, teilweise auch nur mit kleinen Flächen im Garten oder Dachflächen und Balkonkästchen. Ebenso gibt es Leute mit speziellen Wünschen, was einzelne Pflanzenarten anbelangt.

Ein Foto von einer grünen Wiese mit vielen Wildblumen in verschiedenen Farben. Ein Symbol für den Kampf gegen das Artensterben.
Auf einem Fleckchen Wiese können über 100 verschiedene Wildblumenarten wachsen. Foto: Julia Zander
Die Ungeduld der Menschen

Eine der größten Hindernisse bei Karin Böhmers Arbeit ist, dass es in manchen Landschaften keine oder nur mehr sehr wenige artenreiche Sammelflächen gebe. Beispielsweise im Alpenvorland.

Die eigentlich noch größere Hürde ist aber die Ungeduld der Menschen. Wildblumen wachsen oft sehr langsam und verzögert, manche sieht man tatsächlich erst nach Jahren bis Jahrzehnten nach der Aussaat. Diese Zeitspanne überfordere viele Leute. Oft bekommt Karin Böhmer Anrufe von besorgten Kund:innen, die wissen wollen, ob da etwa ein Fehler unterlaufen sei. „Wir haben verlernt, Geduld mit der Natur zu haben“, meint sie dazu.

Zusätzlich herrsche sehr viel Erklärungsbedarf. Das Wissen um die Natur und deren Vorgänge nimmt ständig ab. Selbst bei Menschen mit entsprechenden Ausbildungen. Laut Karin Böhmer sei vielen nicht bewusst, was Vielfalt überhaupt bedeute. Es würden sehr leichtfertig Flächen ruiniert werden, wo es nicht notwendig wäre – zum Beispiel bei Verkehrsflächen oder Siedlungsgebieten. Oder wenn im Garten die Blumen nicht bestehen bleiben dürfen, weil der Rasenroboter über alles hinweg fährt.

Dabei gehe es auch um eine Frage der Wahrnehmung. Sie betont: „Jede:r von uns kann etwas tun, indem wir die Vielfalt einfach ein bisschen bewusster wahrnehmen.“

Die Arbeit lohnt sich

Bereits als Jugendliche hat Karin Böhmer mitbekommen, dass die Lebensräume um sie herum verarmen. Diese Erfahrung hat sie geprägt. Später hat sie Landwirtschaft an der Universität für Bodenkultur studiert und währenddessen in der Landschaftsplanung gearbeitet. Bei der Planung von Blumenwiesen ist ihr bewusst geworden, dass es keine heimischen Blumensamen zu kaufen gibt. Zeitgleich ist sie ins Waldviertel gezogen und hat gesehen, dass rundherum lauter schöne Blumenwiesen sind. In ihrem Kopf reifte somit eine Idee heran: Die Blumensamen selbst sammeln und damit neue Wiesen anlegen.

Die Leidenschaft für das Sammeln und die Vielfalt ist im Gespräch mit Karin Böhmer sehr spürbar. Ebenso ihr Optimismus. Sie ist überzeugt davon, dass wir alle Wildblumen wieder ansiedeln könnten, sogar die ganz seltenen. Dabei sei auch sie immer wieder von der Natur überrascht worden: Selbst, wenn man nur wenige Samen an den richtigen Standort bringe und ihnen Zeit gebe, würden die Arten wiederkommen. Begeistert erzählt sie von einem besonderen Fall: „Vor 20 Jahren haben wir ein Gewerbegebiet begrünt, unter anderem mit ein paar Samen vom Kreuzenzian – eine bei uns mittlerweile wirklich seltene Art. Und jetzt haben wir einen wunderschönen kleinen Kreuzbestand dort entdeckt.“ Solche Beispiele von der erfolgreichen Wiederansiedelung von seltenen Arten geben ihr Hoffnung.

Was die Politik tun kann

Mit dem Verschwinden der landschaftlichen Vielfalt nehme gleichzeitig die Aufmerksamkeit für die Probleme wieder zu. Manche Gemeinden nehmen ihre Verpflichtung, die Biodiversität zu fördern, schon länger ernst und bestellen seit Jahren bei Karin Böhmer. Ihre Hoffnung ist, dass das Interesse der Behörden auch durch das Renaturierungsgesetz zunehmen wird. „Wenn sie das Gesetz ernst nehmen, werden sie über Gruppen wie uns nicht hinwegkommen. Wir müssen viel aktiver werden und ohne Sammeln wird es nicht gehen“, so Karin Böhmer.

Generell wünsche sie sich von politischer Seite eine bessere Zusammenarbeit. Die Politik sollte alle an einen Tisch bringen und zum Dialog anregen: die Länder, die Gemeinden, die Verwaltung, die Behörden, Betriebe wie den ihren. Aktuell laufe noch sehr viel gegeneinander, selbst innerhalb der NGOs, die sich für Naturschutz interessieren. Am Wichtigsten ist es laut Karin Böhmer, miteinander zu reden, sich abzustimmen und nicht die gleichen Schienen mehrfach zu bedienen. Dass alle Akteur:innen sich zusammensetzen, kann mühsam sein. Aber im Endeffekt sei es der einzige Weg, wie es wirklich funktionieren kann.

Handsammlung und Vermehrung am Feld

In Österreich gibt es neben Karin Böhmers Betrieb circa 30 weitere Fachbetriebe, die ähnliche Arbeit leisten. Zusammen bilden sie das REWISA-Netzwerk für Naturnahes Grün. Der Großteil der anderen Betriebe sammelt jedoch nicht selbst, sondern kauft das Saatgut zu und vermehrt dieses dann am Feld. Der Vorteil von dieser Vermehrungsart ist, dass man schneller sehr große Mengen erzielen kann. Das ist vor allem für bestimmte Mengenarten wichtig, die in einer Wiese tausendfach vorkommen, denn dabei könne der Bedarf schwer mit der Handsammlung gedeckt werden.

Der Nachteil dabei: Diese Vermehrungsart sei meist nicht biologisch, da jede Monokultur betreuungsintensiv ist und Herbizide eingesetzt werden müssen. Außerdem lassen sich nicht alle Arten feldmäßig vermehren. Es wäre also sehr wichtig, dass noch mehr Leute mit der Hand sammeln würden.

Selbst aktiv werden

Im Laufe der Jahre hat Karin Böhmer ihr Sortiment immer mehr erweitert und neue Sammelregionen hinzugenommen. Dennoch betont sie im Gespräch, dass es unbedingt noch mehr Sammler:innen brauche. Es gibt viele Regionen, wo Karin Böhmer und ihre Mitarbeiter:innen nicht hinkommen – weil sie zu weit weg sind oder ihnen schlichtweg die Kapazitäten fehlen. Zum Beispiel in den südlichen Alpenvorländern, also Steiermark und Südburgenland. Oder für die westlichen Kalkalpen und die Zentralalpen. Ein wichtiger Teil von Karin Böhmers Arbeit ist also auch die Ausbildung weiterer Sammler:innen.

Das Sammeln kann jede:r bei ihr lernen und dann in der eigenen Region umsetzen. Die Tätigkeit sei an sich nicht schwierig. Man muss die Fläche finden, wo die Pflanzen wachsen, diese sammeln und wieder auf geeignete neue Fläche bringen. Das sind alles einfache Vorgänge, für die man laut Karin Böhmer kein besonderes Wissen oder spezielle Ausstattung brauche – außer ein paar alten Polsterüberzügen, einer Schere und natürlich Geduld. Das Ganze zahle sich laut Karin Böhmer auch finanziell aus.

Die vielfältigsten Lebensräume unserer Landschaften

Als Wildpflanzen werden jene Pflanzen definiert, die bereits vor der Entdeckung Amerikas bei uns gewachsen sind, beziehungsweise alle natürlich auftretenden, im Gegensatz zu den Kulturpflanzen nicht durch menschliche Pflanzenzüchtung genetisch veränderten Pflanzenarten.

Wildblumenwiesen sind die vielfältigsten Lebensräume unserer Landschaften. Es handelt sich dabei um sehr alte Ökosysteme, die teilweise seit über 1000 Jahren bestehen. Der Boden unter solchen Wiesen ist sehr dicht und tief bewurzelt, was auch zum Erosionsschutz sowie der Reinigung und Speicherung von Wasser beiträgt. Die Wiesen haben sich mit der menschlichen Bewirtschaftung mitentwickelt und sind durch ihre Vielzahl an Pflanzenarten sehr robust gegenüber Klimaschwankungen. So sind in einem feuchten Jahr bestimmte Arten stärker, in einem trockenen Jahr wieder andere. Der Bestand bleibt jedoch insgesamt stabil. Denn die allermeisten der Pflanzen sind ausdauernde Arten, die auch bei schlechten Bedingungen erhalten bleiben. So bekommt Karin Böhmer von ihren Sammelflächen zwar nie das Gleiche in der gleichen Menge, aber dennoch immer genug.

Endlich Umdenken

Vielfalt ist eine Voraussetzung dafür, dass unsere Ökosysteme funktionieren. Dabei geht es um so viele Faktoren – Luft- und Wasserreinhaltung, Bodengesundheit, Lebensmittelsicherheit, Vielfalt von anderen Lebewesen, Erosionsschutz, grüner Erholungsraum.

„Wir brauchen einfach viel Leben um uns herum. Wildpflanzen spielen eine wichtige Rolle für die gesunde Erhaltung unserer Ökosysteme. Das ist entscheidend für uns Menschen – am Land, aber auch in den Städten“, fasst Karin Böhmer zusammen.

Im Hinblick auf die vielen Krisen unserer Zeit fühlen sich viele oft machtlos. Ohne Wildblumen bleiben die Insekten aus, der Anbau von Obst und Gemüse wird zunehmend schwieriger. Viele Gegenden haben bereits keine Blumen mehr. Doch Karin Böhmer zeigt, dass wir alle etwas tun können. Sei es, bei der Pflege von Flächen mitzuhelfen, die eigene Wiese ein bisschen mehr wachsen zu lassen oder sogar selbst zu sammeln, auch im kleinen Umfang. Jede:r kann etwas bewirken und sich für ein Umdenken einsetzen – für Naturschutz und mehr Vielfalt auf unseren Wiesen.

Wie stark verändern wir unseren Planeten?

Beeinflussen wir Menschen unseren Planeten so stark, dass diese Veränderungen ein eigenes Erdzeitalter bestimmen? Offiziell wurde die Anerkennung des Anthropozäns bisher abgelehnt, doch das „Menschenzeitalter“ ist nicht mehr zu leugnen.

Zu tiefgreifend hat der Mensch den Planeten und das Erdsystem insgesamt bereits verändert. Fragt sich, ob dies nur von kurzer Dauer ist und sich die Erde bald erholt? Nein, meint die Wissenschaft: „Das Anthropozän ist gekommen, um zu bleiben, auch in geologischen Dimensionen“, sagt Michael Wagreich von der Uni Wien. Der Geologe gehört zu einem Forschungsteam um Colin Summerhayes von der Universität Cambridge. Die Wissenschafter:innen haben in einer Überblicksarbeit im Fachjournal „Global and Planetary Change“ das künftige Ausmaß und die Dauer des angenommenen Anthropozäns analysiert. Konzentriert haben sie sich dabei auf den Klimawandel und die Rolle der Ozeane sowie die Auswirkungen der globalen Erwärmung unter anderem auf das Meereis, Eisschilde, das Albedo der Erde, die Versauerung der Ozeane und die Artenvielfalt.

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Erde gewinnt mehr Wärme, als sie verliert

In der Arbeit werden ausführlich die massive Zunahme der Treibhausgase, der Anstieg der globalen Temperatur und des Meeresspiegels, die Rolle der Ozeane sowie der Eisverlust und dessen Folgen dokumentiert. Der daraus resultierende Unterschied zwischen den stabilen Klimabedingungen des Holozäns, in dem die menschliche Zivilisation mehr als 11.000 Jahre gedeihen konnte, und jenen des angenommenen Anthropozäns, sei „erheblich und in vielen Aspekten unumkehrbar“, erklärte Wagreich.

„Das Anthropozän ist gekommen, um zu bleiben.“

Durch den sprunghaften Anstieg der Treibhausgasemissionen seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre heute höher als je zuvor in den vergangenen drei Millionen Jahren. Beziehe man die Wirkung der Methanemissionen ein, müsse man sogar 15 Millionen Jahre zurückgehen. Daraus resultiert ein Ungleichgewicht des Energiehaushalts der Erde. Unser Planet gewinnt mehr Wärme, als er verliert. Der Wert dafür liegt derzeit bei 1,36 Watt pro Quadratmeter.

„Selbst wenn die Treibhausgaskonzentrationen stabilisiert würden und die Nettoemissionsrate auf Null sinkt, also zusätzliche CO₂-Emissionen durch Entnahme aus der Atmosphäre ausgeglichen würden, wäre die Energiebilanz an der Erdoberfläche immer noch nicht im Gleichgewicht“, heißt es in der Arbeit. Diese gespeicherte Erwärmung würde so lange anhalten, bis das Energiegleichgewicht zwischen der Atmosphäre und den Weltmeeren, einer massiven Wärmequelle, über viele Jahrtausende hinweg wiederhergestellt wäre.

„Modelliert man das gestörte Erdklima in die ferne Zukunft, zeigt sich, dass die nächste Eiszeit noch mindestens 50.000 Jahre auf sich warten lässt. Bei weiteren Treibhausgasemissionen wird es aber mindestens eine halbe Million Jahre dauern“, betonte Wagreich.

Mensch verändert das Erdsystem

Für die Wissenschafter:innen stellt das Anthropozän eine dauerhaftere und wesentlichere Veränderung des Erdsystems dar als das nur 11.700 Jahre dauernde Holozän. Das war „ein kurzes Intervall, in dem komplexe, sesshafte menschliche Gesellschaften mit einem stabilen Erdsystem koexistierten, dieses aber nicht überforderten“. Die Menschheit müsse sich an die neuen Bedingungen anpassen und sich auf eine lange Zeitspanne vorbereiten.

Anthropozän

Aufgrund des beispiellosen Einflusses des Menschen auf die Erde plädieren seit einigen Jahren Experten dafür, das gegenwärtige Erdzeitalter „Anthropozän“ zu nennen. Der Begriff wird zwar bereits verwendet, aber bisher ist die Epoche nicht offiziell von den dafür zuständigen wissenschaftlichen Kommissionen und Organisationen anerkannt. (Red./APA)

Viele Gefahren für Europas Wasser

Ein neuer Bericht der Europäischen Umweltagentur warnt, dass Europas Wasser gleich von mehreren Seiten bedroht ist. Um unsere Gewässer und unser Trinkwasser zu schützen, müssen wir mit Wasser anders umgehen. Was zu tun ist.

Die europäischen Gewässer geben ein trübes Bild ab. Nur rund vier von zehn sogenannten Oberflächenwasserkörpern – also etwa Seen oder Flüsse – befinden sich in gutem oder sehr gutem Zustand. Obwohl das Problem bekannt ist, hat sich diese Zahl seit 2015 kaum verändert, warnen die Autor:innen des neuen Berichts. Veröffentlicht wurde er von der Europäischen Umweltagentur (kurz EEA), einer EU-Behörde mit Sitz in Kopenhagen.

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„Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um die Gesundheit unserer Gewässer sicherzustellen.“

EEA-Direktorin Leena Ylä-Mononen lässt bei der Vorstellung des Berichts mit einem Appell aufhorchen. „Unsere Gewässer stehen vor noch nie dagewesenen Herausforderungen, die die Wassersicherheit Europas bedrohen. Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln, um die Gesundheit unserer wertvollen Flüsse, Seen, Küstengewässer und anderen Gewässer wiederherzustellen und sicherzustellen, dass diese lebenswichtige Ressource für künftige Generationen widerstandsfähig und sicher ist.“

Landwirtschaft großes Problem

Die größte Gefahr des Oberflächen- und Grundwassers geht von der Landwirtschaft aus. Schuld ist vor allem der intensive Einsatz von Nährstoffen und Pestiziden. Besonders viele Schwierigkeiten bereiten die sogenannten Ewigkeitschemikalien. Sie verbleiben jahrzehntelang in der Umwelt, weil sie sich nicht oder kaum natürlich abbauen. Sie gelangen in Böden und Gewässer und in weiterer Folge in unsere Nahrungskette. Nahezu 100 Prozent aller Grundwasserkörper seien zum Beispiel mit der Ewigkeitschemikalie TFA verunreinigt, warnt Umweltchemiker Helmut Burtscher-Schaden von Global 2000. Der Umgang mit diesen Chemikalien stellt eine der großen Herausforderungen im Wasserschutz dar.

Was sich ändern müsste

Abhilfe schaffen könnten etwa Änderungen der landwirtschaftlichen Praktiken und neue Technologien, schreibt die EEA. Der Einsatz von Pestizid-Alternativen wie biologischen Schädlingsbekämpfungsmitteln etwa. Aber auch moderne Technik wie die Präzisionslandwirtschaft könnte den Pestizidverbrauch reduzieren. Hierbei werden Daten genutzt, um genau festzulegen, wo und wann Pestizide notwendig sind, wodurch der Eintrag in Böden und Gewässer verringert wird. Als Vorbild könnte zum Beispiel ein großer landwirtschaftlicher Betrieb in Niederösterreich dienen. Dort arbeitet man schon seit Jahrzehnten ohne chemische Dünger und Pestizide.

Aber auch bei einem weiteren Problem der zukünftigen Wasserversorgung spielt die Landwirtschaft eine unrühmliche Rolle. Sie ist der bei weitem größte Netto-Wasserverbraucher in Europa. Und ohne Änderungen der Praktiken wird der Bedarf der Bewässerungslandwirtschaft mit der Klimakrise wahrscheinlich steigen, so der Bericht.

„Ein Drittel aller EU-Bürger:innen ist von Wasserstress betroffen.“

Immer öfter Wasserknappheit in Europa

Auch Wasserstress ist eine wachsende Sorge in Europa. Auf dem ganzen Kontinent werden Dürreperioden häufiger und stärker, insbesondere im Süden Europas führen sie immer öfter zu Wasserknappheit. Dies wirke sich auf die öffentliche Wasserversorgung sowie auf Landwirtschaft und Industrie aus, wird im Bericht angeführt. Bereits heute sind ein Drittel aller EU-Bürger von Wasserstress betroffen. Zahlen, die laut EEA-Bericht in Zukunft aufgrund der Klimakrise wahrscheinlich noch steigen werden. Von Wasserstress wird gesprochen, wenn mehr als 20 Prozent des verfügbaren Wassers vom Menschen genutzt wird.

Weniger Wasser verbrauchen

Dagegen hilft ein geringerer Wasserverbrauch. „Die Reduzierung von Lecks, die Verwendung wassersparender Geräte und Prozesse und die Erhöhung der Wasserwiederverwendung würden die Effizienz verbessern“, sagt die EEA. Auch der Wasserpreis spiele eine Rolle: Er könne unter anderem eine wichtige Triebkraft für die Verringerung des Verbrauchs sein.

Mehr Starkregen

Auch „zu viel“ Wasser wird zu einem immer größeren Problem. Intensive Regenfälle haben in Teilen Europas bereits zugenommen, was zu Überschwemmungen und wachsenden Hochwasserrisiken führe. Mit dem Klimawandel in Europa werde ein erschwingliches und nachhaltiges Hochwasserrisikomanagement immer wichtiger, mahnt der Bericht.

EU-Wasserrahmenrichtlinie nicht umgesetzt

Die EU-Wasserrahmenrichtlinie stellt einen wichtigen gesetzlichen Rahmen zum Schutz der europäischen Gewässer dar. Sie wurde bereits im Jahr 2000 verabschiedet und verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten eigentlich, die Gesundheit ihrer Gewässer zu verbessern und zu bewahren. Der jüngste Bericht der EEA zeigt jedoch, dass viele Länder die Richtlinie auch nach fast 25 Jahren nicht erfüllen.

Um das Wasser in Europa langfristig zu schützen, fordert die EEA daher verstärkte Anstrengungen bei der Umsetzung der Richtlinie, insbesondere angesichts des steigenden Drucks durch Klimakrise, Verschmutzung und landwirtschaftliche Übernutzung.

Europas Wasser ist in Gefahr

Der Bericht der Europäischen Umweltagentur zeigt klar, dass Europas Wasser in Gefahr ist. Diese Warnungen sollten wir ernst nehmen. Der Bericht ist die umfangreichste Bewertung des Zustands der europäischen Gewässer, die je durchgeführt wurden. Mehr als 120.000 Oberflächengewässer und 3,8 Millionen Kilometer Grundwasserfläche in der Europäischen Union und Norwegen haben sich Expert:innen dafür angesehen. Sie wissen also, wovon sie sprechen, wenn sie uns vor den Gefahren der zukünftigen Wasserversorgung warnen.

Endlich handeln

Wir müssen dringend handeln. Europa braucht strengere Regulierungen in der Landwirtschaft, was den Einsatz von Pestiziden angeht. Gleichzeitig sollten wir Techniken fördern, die weniger Wasser und Chemikalien erfordern. Auch Renaturierung ist ein ganz wichtiger Teil von Wasserschutz. Moore und Wälder sind ein natürlicher Wasserschutz und können Wasser aufnehmen. Bei versiegelten Böden fließt das Wasser aus der Region ab. Nur eine ganzheitliche Strategie, von der Reduktion des Wasserverbrauchs bis hin zum Hochwasserschutz, kann auch in Zukunft unserer Gewässer und unser Trinkwasser schützen. (Red./APA)