Schule der Hoffnung

Zahra Hashimi wollte sich nicht damit abfinden, dass Mädchen und junge Frauen in Afghanistan nicht mehr in die Schule dürfen. Sie hat die Omid Online School gegründet – und gibt gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen 600 Schülerinnen Hoffnung.

Es gibt traurige Geschichten. Die will Zahra Hashimi aber nicht erzählen. Sie erzählt lieber jene, die Hoffnung machen. Zum Beispiel die von einer jungen Frau, die sich bis vor kurzem nicht vor einer Gruppe sprechen traute und jetzt Lehrerin ist. Oder die von zwei Schwestern, die nicht wussten, wie man ein Handy einschaltet und jetzt zu den besten in ihrer Klasse gehören. Klassenbeste in der Online-Schule von Zahra. Denn sie leben in Afghanistan. Dort haben die Taliban Mädchen und jungen Frauen verboten, zur Schule zu gehen.

Etwas bewirken wollen

Zahra hat die Machtübernahme der Taliban im August 2021 von Österreich aus beobachtet. Hier lebt sie seit 2015. „Als ich gesehen habe, dass die Schülerinnen vor dem geschlossenen Schultor stehen, mit Uniform, mit Büchern, aber nicht hineindurften, habe ich mir gedacht, ich muss etwas tun“, sagt Zahra. Sie hat Demos organisiert, war mehrmals im Parlament. Gebracht hat das nichts. Sie wollte aber etwas bewirken.

Am Anfang war eine Instagram-Story

Also hat Zahra eine Story auf Instagram gepostet: Sie zahlt 50 afghanischen Mädchen den Internetzugang und unterrichtet sie in Mathematik. In Afghanistan hat sie an der pädagogischen Hochschule studiert. Gemeldet haben sich 300 Schülerinnen. Und nicht nur das: Auch Studentinnen und Lehrerinnen haben Kontakt aufgenommen. Sie wollten mit ihr gemeinsam eine Schule aufbauen. „In weniger als zehn Tagen haben wir eine Schule gegründet. Unser Ziel war, einfach bei den Schülerinnen zu sein. Wir haben gar nicht gedacht, dass das so groß wird“, hält Zahra fest. Im April 2022 ging die Omid Online School online.

Hoffnung für 600 Schülerinnen

Omid – das heißt Hoffnung. Und die Online-Schule bedeutet genau das für rund 600 Schülerinnen. Sie sind motiviert – und das, obwohl sie kein offizielles Abschlusszertifikat bekommen. Denn das afghanische Bildungsministerium hat die Omid Online School nicht anerkannt. Probiert habe man das schon, sagt Zahra. Aber die Taliban wollten dafür die Daten aller Schülerinnen und Lehrerinnen. Und sie wollten, dass Zahra sämtliche Inhalte von Social Media und anderen Medien entfernt. „Das Einzige, was ich gehört habe, ist, ich bin zu westlich, als dass ich ein Vorbild für Mädchen in Afghanistan sein kann“, erzählt sie.

„Diese Motivation motiviert mich immer.“

Die Schülerinnen kommen trotzdem in ihre Online-Klassen. Denn sie wollen lernen. Sie nutzen jede Chance, die sie bekommen können. „Wenn ich diese Mädchen sehe, sage ich: oh wow. Sie wissen schon, dass sie keine Zukunft haben, was Arbeit und Bildung betrifft, aber sie sind trotzdem so motiviert und wollen weiterlernen“, betont Zahra. „Diese Motivation motiviert mich immer.“ Sie erzählt die Geschichte von einem Mädchen, dessen Eltern nicht wollen, dass sie in der Omid Online School lernt. Sie sehen darin, wie auch die Taliban, ein westliches Projekt. Man könne nicht wissen, was die Tochter lernt. Sie gibt aber nicht auf. Von ihrem Bruder will sie sich Internet holen, um zumindest ihre Hausübungen zu machen.

Sicherheit geht vor

Der Unterricht findet über Google Meet statt. Die Kameras sind aus – sicher ist sicher. Wenn eine Lehrerin die Kamera trotzdem einschalten muss, dann sollte sie eine Maske tragen. „Anfang des Jahres hatten wir 1.400 Schülerinnen. Wir wissen nicht, ob unter denen jemand von der Regierung ist“, beschreibt Zahra das Sicherheitsrisiko. 95 Prozent der Lehrerinnen leben in Afghanistan. Wenn die Taliban eine von ihnen finden, finden sie alle, ist sich Zahra sicher. Vorsicht ist daher das oberste Gebot. Bisher ist alles gut gegangen.

Lernen nach afghanischem Lehrplan, aber für internationale Stipendien

Der Schwerpunkt liegt auf den Hauptfächern wie Mathematik und Englisch. Drei- bis viermal pro Woche werden die Schülerinnen in diesen Fächern unterrichtet. „Wir suchen nach Online-Stipendien bei internationalen Universitäten und wir wollen, dass die Schülerinnen vorbereitet sind“, lässt Zahra wissen. Nebenfächer wie Geografie oder islamische Geschichte werden in Form von Seminaren ein-, zweimal im Monat unterrichtet. Man hält sich an den afghanischen Lehrplan. Im ersten Jahr hatten sie die Hoffnung, dass die Schulen wieder für Mädchen öffnen. Das ist nicht passiert. Für die 12. Klasse hat das Bildungsministerium aber eine Abschlussprüfung angeboten. Die Schülerinnen der Omid Online School haben diese Prüfung geschafft und ein Abschlusszertifikat bekommen.

Schule braucht Spenden

Zahra unterrichtet nicht mehr selbst, sie leitet die Omid Online School. Nebenbei hat sie bisher als Community- und Content-Managerin bei Fremde werden Freunde gearbeitet, jenem Verein, zu dem auch die Omid Online School gehört. Nun ist sie in Bildungskarenz. Wie auch die 35 Lehrerinnen arbeitet sie ehrenamtlich. Den Lehrerinnen wird aber der Internetzugang bezahlt. Pro Monat sind das 500 Euro, die allein über Spenden finanziert werden. Denn Förderungen gibt es für die Omid Online School keine. Und für die Schülerinnen ist sie kostenlos. Spenden ist daher der einfachste Weg, um die Omid Online School und die Mädchen und jungen Frauen in Afghanistan zu unterstützen. Man kann aber auch Zeit spenden und administrative Aufgaben übernehmen, wenn man helfen möchte.

Hoffnung auf Veränderung

Für Zahra bleibt die Hoffnung. Nicht, dass die Taliban ihre Politik ändern. Aber, dass die Frauen in Afghanistan etwas verändern. Es wird lange dauern, sagt sie. „Aber dann sind wir da.“

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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