Rechtsextremismus neu verpackt

Österreich wird rechtsextremer, aber es ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Springerstiefel, Bomberjacke und Nazi-Symbole? Fehlanzeige. Hinter der Fassade verbergen sich zwar dieselben menschenverachtenden Ideen. Aber die Neue Rechte zeigt sich nach außen zahm und modern. Dieses Auftreten und geschickte Medienarbeit machen rechtsextreme Ideen immer salonfähiger.

Mit 28,8 Prozent war die FPÖ die stärkste Partei bei der Nationalratswahl. Gleichzeitig ist die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten von 2022 auf 2023 um ein Drittel gestiegen. Und Ende des Sommers zeigten undercover gefilmte Aufnahmen des RTL-Magazins Extra eine Party in Wien, auf der Identitäre vom Völkermord an Muslim:innen fantasieren. Österreich ist rechtsextremer geworden und das zeigt sich auch im Alltag vieler Menschen.

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In einer Familie ist es der Onkel, der alle Asylanten wieder aufs Mittelmeer schicken möchte. In einer anderen die Oma, die das linkslinke Politikergesindl endlich einsperren will. Tagtäglich fallen solche Sätze an den Esstischen Österreichs. Das ist nichts Neues, aber es wird mehr. Und immer öfter sehen die anderen Menschen am Tisch über solche rechtsextremen Aussagen hinweg.

  • „Der Onkel halt.“
  • „Du weißt doch, wie die Oma ist.“
  • „Naja, irgendwo hat sie schon auch recht.“
Das Unsagbare wird sagbar

In einem Interview mit der ZEIT sagt der renommierte Politikwissenschafter Ivan Krastev, dass viele unsagbare Dinge wieder sagbar werden. Geflüchtete Menschen in den Tod zu wünschen? Sagbar. Gefängnisstrafen für politisch Andersdenkende? Auch sagbar.

Besucher:innen der Salzburger Festspiele als Inzuchtpartie bezeichnen? Auch das ist 2024 sagbar, wie wir seit Ende August wissen. Sogar für eine Person, die Bundeskanzler werden möchte: Herbert Kickl.

Politikwissenschafter Krastev sieht diese Entwicklung in vielen westlichen Ländern. Und bringt in diesem Zusammenhang die sogenannte Neue Rechte ins Spiel – ein rechtsextremes Netzwerk, das laut aktuellen Verfassungsschutzbericht auch in Österreich an Einfluss gewinnt. Verfassungsschützer:innen in ganz Europa stufen die Neue Rechte als ernste Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat ein.

Tabubruch als Strategie

Die Neue Rechte serviert rechtsextreme Ideen mitsamt passendem Vokabular an die Esstische Österreichs. Nehmen wir Remigration her. Ein Wort, das sachlich klingt, aber nichts Geringeres meint, als die Deportation von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund.

Wohlüberlegt bringt die Neue Rechte solche Worte in die öffentliche Debatte ein. Das ist Teil ihrer Metapolitik. Ein Begriff, der für die Neuen Rechten wichtig ist. Was hinter dahinter steckt, dazu kommen wir gleich.

Rechtsextremismus geht auch ohne Nazi-Symbole

Zuerst aber: Wer oder was ist dieses Netzwerk der Neuen Rechten? Der Name lässt zwar anderes vermuten, aber so neu ist die Neue Rechte nicht. Bereits in den 1960er Jahren bezeichneten sich rechtsextreme Gruppen in Frankreich und Deutschland so.

Das Neu im Namen ist damals wie heute Ausdruck dafür, dass man sich vom geschichtlichen Nationalsozialismus abgrenzen möchte. Man will rechtsextreme Politik erneuern und sie wieder salonfähig machen. Und mit Nazi-Bezügen lassen sich wenig Sympathiepunkte in der breiten Bevölkerung sammeln.

Die Neue Rechte ist dabei aber keine einzelne Gruppierung oder gar eine Partei, sondern ein informelles Netzwerk von Einzelpersonen und Organisationen. So definiert es der deutsche Inlandsgeheimdienst.

Kein:e rechtsextreme:r Poltiker:in kann also formal Mitglied der Neuen Rechten werden, sondern sich nur in ihre Kreise begeben. Zwischen anderen rechtsextremen Gruppierungen und den Neuen Rechten lassen sich also keine scharfen Grenzen ziehen.

Neue Rechte vermengen sich mit Parteipolitik

Eindeutig dem Netzwerk der Neuen Rechten zuordnen lässt sich die Identitäre Bewegung. Im österreichischen Verfassungsschutzbericht wird sie als die zentrale Gruppierung der Neuen Rechten bezeichnet. Auch sie selbst bezeichnet sich als aktivistischer Arm der Neuen Rechten.

Wie die RTL-Recherche zeigt, nehmen es die Identitären aber mit der Distanzierung zum Nationalsozialismus nicht allzu ernst. In den undercover gefilmte Aufnahmen wird nicht nur der Holocaust verherrlicht, sondern auch neonazistische Begriffe verwendet.

Und die FPÖ? Die Ideen der Neuen Rechten sind in vielen rechtsextremen Parteien deutlich sichtbar. Auch in der FPÖ, insbesondere in ihrer Jugendorganisation, der Freiheitlichen Jugend. Bernhard Weidinger, Rechtsextremismus-Forscher im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands urteilt in einem Interview mit dem Bayrischen Rundfunk, dass die Freiheitliche Jugend aussieht, spricht und handelt wie die Identitäre Bewegung.

Er redet von einer Verschmelzung von Parteien und rechtsextremer Szene. Eine Beobachtung, die auch Verfassungsschützer:innen machen. Die Neue Rechte würden eine immer stärkere Vermengung mit der Parteipolitik anstreben, steht etwa im aktuellen Verfassungsschutzbericht.

Öffentliche Meinung beeinflussen

Jetzt aber zurück zur erwähnten Metapolitik. Dabei handelt es sich um einen philosophischen Begriff der Staatslehre. Vereinfacht gesagt heißt Metapolitik, Politik über den politischen Bereich hinausdenken.

Es geht um die strategische Beeinflussung der Öffentlichkeit. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung die eigenen Ideen verinnerlicht hat, sind sie politisch durchsetzungsfähig. Im Fall der Neuen Rechten heißt das, rechtsextreme Erzählungen zu verbreiten. Über geschickte Medienarbeit, über eigene Verlage und über die bereits erwähnte Vermengung mit der Parteipolitik.

Durch die Verbreitung von rechtsextremen Ideen und Erzählungen verschiebt die Neue Rechte die Grenzen des Sagbaren Stück für Stück zu ihren Gunsten. Das braucht seine Zeit, aber es scheint zu funktionieren. In ganz Europa rücken rechtsextreme Ideen in die Mitte der Gesellschaft vor.

Die Verschwörungserzählung des großen Austausches

Der große Austausch ist eine dieser Erzählungen. Er stammt aus der Feder der Neuen Rechten und ist mittlerweile in den Köpfen vieler Menschen verankert. Die Verschwörungserzählung besagt, dass eine nicht näher definierte Elite bewusst Menschen aus nicht-westlichen Ländern ins Land bringt, um die ursprüngliche Bevölkerung zu verdrängen.

So soll sie geschwächt und letztlich ausgetauscht werden. Der große Austausch verbreitet das Gefühl, dass die eigene Kultur und Identität bedroht sind. Und schafft damit die Rechtfertigung für rassistische und menschenfeindliche Politik.

Subtil, aber rechtsextrem

Die Neue Rechte ist rechtsextrem. Der deutsche Verfassungsschutz hebt das in seinem Bericht aus dem Jahr 2020 besonders hervor:

„Rechtsextremistische Bezüge der Neuen Rechten sind nicht immer offensichtlich. Diese ergeben sich aber aus Verstößen gegen das Menschenwürde-, Rechtstaats- und Demokratieprinzip (…).“

Und auch das Mauthausen-Komitee warnt davor, dass Rechtsextremismus sich nicht mehr so offen zeigt wie früher:

„In der rechtsextremen Szene hat seit vielen Jahren ein Wandel stattgefunden. (…) Die Kleidung wird „cooler“ – modische Accessoires und Mainstream-Produkte statt Schläger-Outfits. Mit jugendkulturellen Codes auf der Kleidung, deren Bedeutung in der Regel nur in der Szene bekannt ist, outet man sich szeneintern.“

Die Neuen Rechten wollen Rechtsextremismus normalisieren. Sie geben sich sprachlich subtiler und modern. Ihre Ideen sollen an den Esstischen des Landes nicht mehr als radikal und menschenfeindlich, sondern als ernsthafte politische Forderung durchgehen.

Mit dieser Strategie sind die Neuen Rechten beängstigend erfolgreich. Das belegt der durchschlagende Erfolg der FPÖ. Politik, Medien und die Gesellschaft müssen hier klar Stellung beziehen. Wir müssen hinter harmlose Worte blicken und menschenverachtende Politik klar als solche benennen. Rechtsextremismus bleibt Rechtsextremismus, auch wenn er in einer modernen Verpackung steckt.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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