Start Blog Seite 18

Fixes Einkommen für die Pflegeausbildung

Wer in die Pflege will, musste bisher eine unbezahlte Ausbildung machen. Das soll sich mit der neuen Pflegelehre ändern. Damit bekommen Nachwuchs-Pflegekräfte ab dem ersten Tag ein fixes Einkommen.

In Österreich geht bekanntlich alles ein bisserl langsamer – aber beim Altern können wir auch mit unserer Gemütlichkeit nichts entschleunigen. Österreichs Bevölkerung wird unaufhaltsam älter. Jede:r fünfte Österreicher:in ist über 65 Jahre, zeigen die Zahlen der Statistik Austria. Und diese Menschen haben ein Recht darauf, würdevoll betreut und gepflegt zu werden, wenn sie es benötigen. Dafür brauchen wir aber viele ausgebildete Pflegekräfte im Land.

Bis zum Jahr 2030 benötigt Österreich 76.000 zusätzliche Pflegekräfte.

Aber wie viel Pflegekräfte braucht Österreich zukünftig? Das Sozialministerium hat 2019 eine Studie in Auftrag gegeben, die sich genau dieser Frage widmet. Das Ergebnis: Bis zum Jahr 2030 benötigt der Pflegesektor 76.000 zusätzliche Fachkräfte. Dafür hat zwei Gründe. Einerseits gibt es bis dahin mehr Menschen, die Pflege brauchen. Das bringt eine alternde Bevölkerung mit sich. Andererseits werden natürlich auch die Menschen im Pflegebereich selbst älter und gehen in Pension. Für jede pensionierte Pflegekraft muss eine junge nachrücken. Die Studie aus 2019 kam aber zu dem Entschluss, dass das nicht der Fall ist. Die Absolvent:innen der derzeitigen Pflegeausbildungen reichen nicht aus – und das zeigt sich schon jetzt. Im Jänner 2023 sind 7.500 Stellen im Gesundheits- und Pflegebereich offen.

Ohne den Menschen in der Pflege würde Österreich nicht funktionieren. Mit ihrer Arbeit tragen sie tagtäglich dazu bei, dass Menschen mit Pflegebedarf würdevoll versorgt werden. © Adobe Stock
Mit der Lehre in die Pflege

Deswegen hat die Bundesregierung im Zuge der Pflegereform besonderes Augenmerk auf den Ausbildungsbereich gelegt. Und dabei auf Altbewährtes gesetzt: die Lehre. Sie hat in Österreich eine lange Tradition. Nur in die Pflege nicht. Denn bisher konnten junge Menschen nur über Ausbildungen an Fachhochschulen oder an Schulen für Gesundheits- und Krankenpflege in den Pflegeberuf einstiegen. Und die haben einen entscheidenden Nachteil zur Lehre.

Fixes Einkommen während der Ausbildung

Sie sind nicht bezahlt. In der Pflegelehre hingegen erhalten alle ab dem ersten Tag ein Lehrlingseinkommen. Das ermöglicht auch Jugendlichen eine Ausbildung in der Pflege, deren Eltern sich eine finanzielle Unterstützung nicht leisten können – etwa während eines FH-Studiums. Lehrlinge im vierten Lehrjahr wird ein Mindesteinkommen von 1.500 Euro pro Monat garantiert. Pflegeeinrichtungen und Pflegeheime, die eine Pflegelehre anbieten, erhalten die betriebliche Lehrstellenförderung, wie das auch bei jeder anderen Lehrausbildung üblich ist.

Viel Praxis in der Lehre

Ein weiterer Vorteil der Lehre: die Praxisnähe. So möchte die Regierung für all jene Menschen den Pflegeberuf zugänglich machen, die lieber im praktischen Umfeld lernen. Lehrlinge können sich zwischen der Lehre zur Pflegefachassistenz (vierjährig) und der Lehre zur Pflegeassistenz (dreijährig) entscheiden. Der Gesetzesentwurf für die Pflegelehre ging Mitte Februar in Begutachtung, Stellungnahmen können noch bis 28. März eingebracht werden. Damit hat die Regierung alle gesetzlichen Vorkehrungen getroffen. Die Umsetzung der Lehre liegt bei den Bundesländern. Vorarlberg, Oberösterreich und Niederösterreich planen bereits ab Herbst 2023 mit Pilotprojekten zu starten.

Jeder vierte Jugendliche findet Pflegeberufe attraktiv.

Junge Menschen möchten anders arbeiten, die Generationen vor ihnen. Sie suchen Jobs mit Sinn und wollen etwas zur Gesellschaft beitragen. Daher verwundert es nicht, dass Pflegeberufe bei jungen Menschen durchaus Interesse wecken. So sagen bei einer Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS 27 Prozent, dass sie den Pflegeberuf sehr oder eher attraktiv finden. Befragt wurden junge Oberösterreicher:innen zwischen 14 und 25 Jahren.

Das zeigt eindeutig: Österreich mangelt es nicht an potenziellem Pflegenachwuchs. Wichtig ist vielmehr, den Weg in den Pflegeberuf reizvoller zu machen. Mit der Pflegelehre gibt es jetzt eine neue Facette in der Ausbildung. Sie spricht all jene an, die auf ein fixes Einkommen in der Ausbildungszeit angewiesen sind und Praxisnähe schätzen.

Kärntens Energiewende braucht Sonne und Wind

Kärnten hat die besten Voraussetzungen, wenn es darum geht, sich gänzlich mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Wasserkraft und Biomasse sei Dank! Die aktuelle Produktion reicht allerdings nicht aus, um den Bedarf das ganze Jahr über zu decken. Deshalb braucht es auch Solar- und Windenergie, um einen Energiemix zu schaffen.

Herrliche Berg- und Seelandschaften und nahezu das ganze Jahr Sonnenschein: Kärnten, ein Paradies nicht nur für Naturliebhaber:innern, sondern auch für erneuerbare Energien. Dank einer Vielzahl an natürlichen Ressourcen ist das Bundesland der ideale Ort für die Nutzung erneuerbarer Energieträger wie Solarenergie. Seit Jahren wird bei der Energiegewinnung deshalb der Fokus auch auf alternative, erneuerbare und nachhaltige Technologien gelegt. Mit Erfolg: Der Anteil erneuerbarer Energien liegt mittlerweile bei 58,8 Prozent, österreichweit liegt er lediglich bei 36,5 Prozent. Zu verdanken ist diese Vorreiterrolle auch dem 2014 entworfenem Energiemasterplan, der als Hauptziel die Klimaneutralität Kärntens bis 2040 hat. Um das Ziel noch rechtzeitig zu erreichen, braucht es laut Olga Voglauer, Landessprecherin der Kärntner Grünen sowie Sprecherin für Land- und Forstwirtschaft, noch weitere Maßnahmen – vor allem im Ausbau von Photovoltaikanlagen und Windrädern.

Aktuelle Stromproduktion aus fossilen und erneuerbaren Energieträgern in Kärnten. Quelle: Global 2000

Deswegen hat Kärnten so viel Potenzial:

Wie bereits erwähnt, ist Kärnten ein wahres Naturjuwel, dank dessen Seen und Flüssen, Gebirgsketten und Wäldern jede Menge erneuerbare Energie produziert werden kann. Das geht so weit, dass Kärnten theoretisch seinen gesamten Energiebedarf mit grüner Energie decken könnte. Zu verdanken ist das vor allem der Wasserkraft und Bioenergie:

  • Erneuerbarer Strom durch Wasserkraft

Kärnten produziert mehr erneuerbare Energie aus Wasser als jedes andere Bundesland. Das liegt daran, dass Kärnten das wasserreichste Bundesland Österreichs ist. Die Geschichte der Wasserkraftwerke ist daher auch schon sehr alt. Das erste Kraftwerk hat es bereits 1894 in der Nähe von Spittal an der Drau gegeben: Ein kleines Kraftwerk, dass die nahe gelegene Papierfabrik mit Strom versorgte. Mittlerweile gibt es rund 540 Wasserkraftanlagen, die etwa 90 Prozent des Gesamtstrombedarfs des Bundeslandes decken.

  • Holz hält Kärnten warm

Wenn es um die Wärme in Kärntens Haushalte geht, spielt Biomasse eine wichtige Rolle. Das liegt vor allem daran, dass mehr als die Hälfte des Bundeslandes bewaldet ist. Holz gehört deshalb zu den wichtigsten erneuerbaren Ressourcen. Holzabfällen wie Waldhackgut oder Sägenebenprodukte nutzt man, um Biomasse herzustellen. Diese dient anschließend als Brennstoff, um Strom und Wärme zu erzeugen. Mittlerweile werden so bereits 55 Prozent aller Kärntner Haushalte durch die Energie aus Biomasse warmgehalten.

Warum braucht es einen Energiemix?

Klingt nicht nur gut, ist es auch. Für die autarke Versorgung aus erneuerbaren Quellen ist es allerdings bei Weitem nicht ausreichend. Denn die bestehenden erneuerbaren Energieträger sind großen Schwankungen unterworfen: Jede dieser Technologien produziert einmal mehr und einmal weniger Energie. Wasserkraft beispielsweise kann sehr unberechenbar sein: Während im Sommer manchmal so viel Wasser fließt, dass Kärnten seinen überschüssigen Strom sogar in die Nachbarländer exportieren kann, ist die Stromproduktion im Winter zu gering. Dürreperioden oder andere Extremwetterereignissen wirken sich im Sommer ebenfalls negativ auf die Energieversorgung aus.

Ähnlich ist es auch mit Biomasse. Der Klimawandel bedroht die Wälder in Kärnten durch zunehmende Trockenheit, höhere Temperaturen und vermehrte Schädlingsbefall. Dies kann zu einem Anstieg von Waldbränden, Waldsterben und einem Rückgang der Artenvielfalt führen. Man sollte sich daher nicht ausschließlich auf Biomasse als erneuerbare Energiequelle verlassen, da die Nutzung von Holz aus Wäldern das Waldsterben und die Abholzung verstärken kann. Zudem ist Holz viel zu schade, um es nur für Biomasse zu nutzen.

Damit sich das Bundesland das gesamte Jahr, zu jedem Zeitpunkt und zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie versorgen kann, braucht es daher einen Energiemix: Als sonnenreichstes Bundesland liegt der Fokus vor allem auf PV-Anlagen für die sonnigen Monate, kombiniert mit Windrädern für die sonnenarme Jahreszeit. Für einen raschen Ausbau bedarf es hier allerdings einer deutlichen Verbesserung der Rahmenbedingungen.

Einfamilienhaus mit Photovoltaikanlage. © Adobe Stock
Einfamilienhaus mit Photovoltaikanlage. © Adobe Stock
PV-Anlagen am Vormarsch

Kärnten hat eine gute geografische Lage und ist dank der vielen Sonnentage für die Nutzung von Solarenergie besonders attraktiv. Genutzt wird das Potenzial bisher kaum. Das liegt vor allem daran, dass im Land heftig diskutiert wird, wo PV-Anlagen überhaupt gebaut und aufgestellt werden dürfen.

„Kärnten ist Österreichs Sonnenland Nummer 1. Wir müssen das endlich nutzen.“

Denn obwohl PV-Anlagen sowohl auf Dächern, Fassaden als auch frei stehend auf dem Boden sehr gut funktionieren, genehmigt das Land Freiflächenanlagen nur in Ausnahmefällen. Während die Kärntner Grünen dies kritisieren, befürchtet Umweltlandesrätin Sara Schaar, dass dadurch wertvolle Grün- und Agrarflächen zugebaut werden. Dabei gibt es in Kärnten viele ungenützte Brachflächen, triste Parkplatzwüsten oder zubetonierte Böden entlang der Autobahnen oder Zugstrecken, die ideal für PV-Anlagen wären.

Laut einer Studie des Kärntner Umweltanwalts hat Kärnten das Potenzial, bis zu acht Terawattstunden Strom pro Jahr durch Photovoltaik zu produzieren. Das entspricht rund 50 Prozent des gesamten Strombedarfs des Bundeslands. Möglich soll das nun auch das angepasste Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz des Bundes machen. 2022 hat die Regierung das Gesetz speziell an den Ausbau von PV-Anlagen angepasst und mit Fördermaßnahmen erweitert. Den eigenen Strom und die eigene Wärme dezentral und vor Ort zu erzeugen, wird seitdem für viele Privatpersonen wie Betriebe viel einfacher. „Kärnten ist Österreichs Sonnenland Nummer 1. Wir müssen das endlich nutzen.“, sagt Olga Voglauer von den Grünen. „Wichtig ist es, das EAG voranzutreiben, damit keine Fläche ungenutzt bleibt und triste Parkplatzwüsten vor Supermärkten zu Energiequelle für Sonnenstrom werden.“ Das gilt auch für den Bau von Windrädern.

Sauber, heimisch, günstig: Windenergie

„Windräder in Kärnten? Gibt’s nicht, brauch ma nicht!“ Bisher war das die Meinung vieler Kärntner Landespolitiker:innen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es im ganzen Bundesland nur zwei Windräder gibt. Dabei zählt Kärnten zu den wichtigsten Bundesländern, wenn es um die Energiegewinnung aus Windkraft geht. Vor allem im Winter wäre Windenergie ein großer Segen. Denn im Winter kommt es aufgrund des hohen Stromverbrauchs immer wieder zu Strom-Engpässen. Windenergie könnte dieses Defizit ausgleichen. Zudem ist Windenergie für leistbare Strompreise und den raschen Ersatz von Erdgas die kostengünstigste Alternative.

Dennoch gibt es vonseiten der Politik als auch von Bürgerinitiativen Widerstand. So sehen viele, wie auch Harald Trettenbrein, FPÖ-Abgeordneter aus Lavanttal, im Bau von Windrädern einen brutalen Eingriff in die weitgehend unberührte Natur- und Bergwelt. Ein Ausbau sei laut ihm sinnlos, wenn man dadurch Natur und Almwirtschaft zerstört. Im Vergleich zu anderen Technologien wie Biomasseanlagen oder PV-Anlagen verursachen Windkraftanlagen keine schädlichen Emissionen wie Smog oder Treibhausgase. Windräder haben auch einen langen Lebenszyklus, durchschnittlich etwa 20 Jahre. Ist dieser abgelaufen, kann das Windrad rasch und umweltverträglich wieder abgebaut werden. Dadurch entsteht am Standort der Anlage auch kein dauerhafter Schaden.

Naturschützer:innen fordern aber, dass Windanlagen weder in Naturschutzgebieten errichtet werden, noch an Rastplätzen von Zugvögeln, um die Tiere nicht zu gefährden. Um diese Forderungen auch die der Anrainer:innen beim Bau miteinzubeziehen, gibt es die Windkraft-Standort-Räumeverordnung.

  • Windkraftstandort-Räumeverordnung sorgt für Wandel

Die Windkraftstandort-Räumeverordnung besagt: Die Anliegen der Anrainer:innen sowie landschaftliche, touristische und ökologische Aspekte müssen bei der Standortauswahl und beim Bau berücksichtigt werden. Dann kann der Bau losgehen.

„Um die Energiewende zu schaffen, benötigt Kärnten 150 Windräder.“

Mit der Verordnungsnovelle ist es gelungen, allen Ansprüchen gerecht zu werden – sie ermöglicht einerseits einen Ausbau der Windkraft und gleichzeitig schützt sie wertvolle Naturräume. Und die Verordnung wirkt: mittlerweile sind in Kärnten drei Standorte freigegeben worden: Koralpe, Soboth und Kuchalm, an denen bereits 22 Anlagen genehmigt sind. Insgesamt will man 50 Anlagen errichten. „Um die Energiewende zu schaffen, benötigt Kärnten 150 Windräder. Deshalb braucht es beim Ausbau mehr Tempo. Gleichzeitig muss auf die Natur- und den Artenschutz sowie die Interessen von Anwohner:innen geachtet werden“, erklärt Voglauer. Dem steht jedoch eine Sichtbarkeitsverordnung im Weg: Windräder dürfen aus 25 Kilometern Entfernung nicht mehr sichtbar sein. Das macht den Ausbau um einiges komplizierter, aber nicht unmöglich.

Fazit: Spitzenreiter mit Platz nach oben

Auch wenn Kärnten österreichweit große Erfolge in der nachhaltigen Energiegewinnung aufweisen kann, muss noch viel getan werden. Einige Aspekte, die bisher möglicherweise verabsäumt wurden, könnten sein:

  • Bürger:innen an der Energiewende beteiligen: Um die Energiewende voranzutreiben, ist es wichtig, dass möglichst viele Bürger:innen beteiligt sind und auch davon profitieren. Deshalb will Voglauer Bürger:innen-Projekte bei Wind- und Solarparks fördern und Gemeinden an den Einnahmen aus den Erneuerbaren-Anlagen beteiligen.
  • Förderungen anbieten und kombinieren: Damit der Tausch von Ölheizungen auf nachhaltige Systeme erfolgt, sollte laut den Kärntner Grünen mehr gefördert werden. In Kärnten gibt es beispielsweise seit 2022 das Impulsprogramm „Raus aus fossilen Brennstoffen“, das finanzielle Zuschüsse bis zu 6.000 Euro anbietet. Bundesweit gibt es das Förderprogramm „Raus aus Öl und Gas“, das Bürger:innen bis zu 5.000 Euro unterstützt. Antragsteller:innen können beiden Förderungen auch kombinieren.
  • Ans Kärntner Stromnetz anschließen: Erneuerbare Energien unterliegen natürlichen Schwankungen und können unvorhersehbar sein. Um eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sollte man die erzeugte Energie in das Stromnetz integrieren. Eine stärkere Anbindung an das überregionale Stromnetz und der Einsatz von Speichertechnologien könnten hier helfen.
  • Aufklären, um Bewusstsein zu schaffen: „Aufklärung ist wichtig, deshalb wollen wir Beratungsangebote für erneuerbare Energiegemeinschaften und Bürger:innen-Energiegemeinschaften schaffen“, so Voglauer.
  • Nein zur Energieverschwendung: Die sauberste, günstigste und beste Energie ist jene, die wir nicht verbrauchen. Das heißt, Energiesparen so gut es geht. Beispielsweise könnte man die Straßenbeleuchtung flächendeckend auf LED umgestellt oder nachts reduzieren.

Kurz gesagt, damit wir die Klimaziele noch schaffen, müssen wir jetzt handeln. Wichtig dabei ist vor allem, dass Bundesland, Bund und Bevölkerung am gleichen Strang ziehen.

Buchtipp: Wir und die Flüchtlinge

0

Es ist eine schonungslose Analyse der aktuellen EU-Flüchtlingspolitik. Der Migrationsexperte Gerald Knaus zeigt in seinem Buch „Wir und die Flüchtlinge“, wieso die EU-Außengrenze die tödlichste der Welt ist, warum Staatsorgane Flüchtlinge misshandeln und wie eine andere, humane Politik möglich ist. 

17 Stunden lang haben die Staats- und Regierungschef:innen der 27 EU-Staaten beim Sondergipfel in Brüssel diskutiert. Nicht nur, aber auch über das Thema Flucht und Flüchtlinge.  Am Ende steht nun ein Kompromiss, der sich vermutlich schwer politisch umsetzen lässt. Im Grunde ist es die alte Leier: den Kampf gegen irreguläre Migration verschärfen, stärker gegen Schlepper:innen vorgehen und den Druck auf Drittländer bei Rückführungen erhöhen. Es hätte wohl nicht geschadet, wenn so manch ein:e Teilnehmer:in als Vorbereitung auf den Gipfel in Brüssel „Wir und die Flüchtlinge“ von Gerald Knaus gelesen hätte. Der Migrationsexperte entwirft darin eine „realistische Utopie“, wie die europäische Asyl- und Migrationspolitik ohne Gewalt und unter Einhaltung der Grund- und Menschenrechte funktionieren kann.

Tägliche Gewalt

Doch bevor Knaus zu seiner Utopie kommt, liefert er eine schonungslose Analyse der aktuellen Politik. An den EU-Außengrenzen wird täglich das Recht von Flüchtlingen gebrochen und Gewalt gegen sie angewendet. Menschen ertrinken im Mittelmeer und werden an den Grenzen von Staatsorganen wie Polizist:innen und Soldat:innen misshandelt. Sie werden als politische Waffen instrumentalisiert – vom belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko, um die EU zu destabilisieren und von europäischen Populist:innen, um Angst vor einer „unkontrollierten Massenmigration“ zu schüren. Das geschieht vor unseren Augen. Journalist:innen werden nicht müde, diese Missstände aufzuzeigen. Doch die EU-Regierungen äußern kaum noch Kritik daran, dass Gewalt gegen Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen angewendet wird. Das untermauert Knaus mit Zitaten von Politiker:innen europäischer Länder. Und die Bürger:innen der EU gewöhnen sich immer mehr an diese Schreckensnachrichten.

Buchtipp Wir und die Flüchtlinge
© Markus Englisch/Cover: Brandstätter Verlag
Widersprüche zwischen Wahrnehmung und Realität

Wahrnehmung und Realität stimmen nicht immer überein. Auch das lernt man, wenn man „Wir und die Flüchtlinge“ liest. Ein Beispiel ist Österreich, das zwischen 2018 und 2021 nach Griechenland die meisten Flüchtlinge anerkannt hat. In Zahlen: 56.000. Und das, obwohl der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz mit geschlossenen Grenzen null illegale Migration noch Europa erreichen wollte. Knaus erklärt in seinem Buch, wie dieser Widerspruch möglich ist und gerade das Beispiel Österreich eine „ermutigende Botschaft“ sein kann.

Es braucht eine neue Diskussion

Beim Lesen drängen sich viele Fragen auf. Zum Beispiel, was es mit Demokratien macht, wenn zum Bruch von Menschenrechten und Misshandlungen von Flüchtlingen durch Staatsorgane geschwiegen wird. Oder was es braucht, damit die Politik die Gewalt an den EU-Außengrenzen nicht mehr länger akzeptiert. Die Antwort darauf ist Knaus‘ „realistische Utopie“. Dafür braucht es eine andere Diskussion. Eine Diskussion, in der es nicht nur um die Flüchtlinge und ihre Herkunftsländer geht, sondern auch um uns als europäische Gesellschaft. Denn es ist unsere Rechtsstaatlichkeit, die sich in der Krise befindet. Und es geht um die Grund- und Menschenrechte aller, die auf dem Spiel stehen. Die Mitgliedsstaaten der EU sowie die Drittstaaten, aus denen die Menschen nach Europa flüchten, müssen ebenso Teil der Diskussion sein wie die Einstellung der europäischen Gesellschaft zu Flucht und Flüchtlingen, Abschiebungen bei negativen Bescheiden und legale Mobilität.

Es muss sich jetzt etwas ändern

Knaus‘ Analyse endet in einem Plädoyer für eine humane Asyl- und Migrationspolitik. Damit die europäische Außengrenze nicht mehr länger die tödlichste Grenze der Welt ist. Und trotz all der Grausamkeit, die Knaus in seinem Buch zusammengetragen hat, bleibt am Ende ein bisschen Mut. Mut, dass sich etwas ändern kann. Denn er zeigt auf, wie das möglich ist. Er gibt den Politiker:innen im Grunde eine Handlungsanleitung. „Jede entwickelte Demokratie verkraftet es, im Jahr 1.500 Flüchtlinge pro eine Million Einwohnerinnen und Einwohner aufzunehmen, wenn dies organisiert und kontrolliert verläuft. Das zu erreichen, ist eine realistische Utopie“, ist sich Knaus sicher.  Doch dafür muss die Politik jetzt damit beginnen, etwas zu ändern.

„Wir und die Flüchtlinge“ von Gerald Knaus ist 2022 im Brandstätter Verlag erschienen.

Schichtwechsel in der Arbeitswelt

Junge Menschen wollen anders arbeiten als die Generationen vor ihnen. Was sie von ihren Vorgesetzten fordern, nutzt aber allen.

Wir sind in einem typischen Großraumbüro in Österreich. Die Luft ist abgestanden, das Licht ist grell und irgendwo gurgelt eine Kaffeemaschine. Gleichmäßig im Raum verteilt sitzen Mitarbeiter:innen auf ihren zu Inseln zusammengeschobenen Schreibtischen. Eine dieser Inseln gehört Elias und Silvia – vierzig Stunden sitzen sie sich jede Woche gegenüber. In diesem Artikel werden uns beide mehrfach begegnen. Sie sind frei erfunden, stehen aber stellvertretend für ihre Generation.

Einstellung zur Arbeit ändert sich

Wie wir zu unserer Arbeit stehen, hängt stark davon ab, wann wir geboren sind. Silvia ist Mitte fünfzig und gehört damit zu den Babyboomern. Als typische Vertreterin dieser Generation hat sie eine hohe Arbeitsmoral, ist gut strukturiert und hält lange Arbeitszeiten unerlässlich für Erfolg. Für sie steht Arbeit im Mittelpunkt ihres Lebens. Mit Fleiß und Disziplin hat sie sich ein Haus gekauft und sich die meisten ihrer materiellen Wünsche erfüllt.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches sieht es mit den Werten völlig anders aus. Elias ist Anfang 30 und damit ein Millennial. Seine Generation legt viel Wert auf Selbstverwirklichung und sucht Sinn in der Arbeit. Wichtig ist ihm außerdem, genügend Zeit für Hobbys, Freunde und Familie zu haben. Elias wünscht sich deswegen flexible Arbeitszeiten und überlegt auf Teilzeit zu reduzieren. Irgendwann mal Eigentum zu besitzen, ist kein wichtiges Ziel seiner Generation mehr.

Natürlich sind alle Menschen unterschiedlich und weichen von den Stereotypen ihrer Generation ab. Trotzdem beobachten Expert:innen Muster, wenn sie den Arbeitsmarkt als Ganzes betrachten. Eine von ihnen ist Lena Marie Glaser. Im Interview spricht sie mit uns über den Wandel am Arbeitsplatz. Junge Fachkräfte stünden Arbeit völlig anders gegenüber, sagt sie – und darin sieht sie eine Chance. Im Buch „Arbeit auf Augenhöhe“ zeigt sie auf, wie die nachrückende Generation unsere Arbeitswelt zum Positiven verändern kann.

Mit New Work rückt der Mensch ins Zentrum

Glaser ist Expertin für New Work und hat 2017 ein Labor für die Arbeit der Zukunft gegründet. Dort erforscht sie Trends und Innovationen am Arbeitsmarkt und berät Unternehmen, wie sie für Menschen wie Elias attraktive Jobs schaffen.

„Es geht um gesunde Arbeitsbedingungen, um Fairness und Wertschätzung“

„New Work ist ein Begriff, der oft missverstanden wird“, erzählt uns Glaser. Eigentlich rückt mit New Work der Mensch mit seinen Bedürfnissen ins Zentrum. „Es geht um gesunde Arbeitsbedingungen, um Fairness und Wertschätzung“, schildert sie. Dinge, die jungen Fachkräften wichtig sind. Aber einige Unternehmen würden in New Work ein Managementtool zur Produktivitätssteigerung sehen.

 Viele Österreicher:innen haben Stress im Job

Das gehört zur alten Denkschule, bei der es nur um Leistung geht. Diese Arbeitskultur überfordert aber viele Menschen und belastet sie psychisch. Zahlen einer Befragung des Jobportals karriere.at zeigen, wie viele Menschen in Österreich das betrifft. Von 1.000 Befragten gab 24 Prozent an, sehr oft mit Stress und Überlastung im Job konfrontiert zu sein, weitere 42 Prozent zumindest regelmäßig oder zumindest manchmal. Wozu das führt, zeigen die Zahlen einer weiteren Befragung. Ein Viertel aller Arbeitnehmer:innen wollen mittlerweile Job wechseln, sagt der österreichische Arbeitsklima-Index. Am größten ist der Wunsch zum Wechsel im Unterrichtswesen (25 Prozent), im Sozialbereich (25 Prozent) und im Tourismus (41 Prozent).

Für Unternehmen in Gastro&Tourismus wird es immer schwerer werden junge Fachkräfte zu finden, wenn sie die Arbeitsbedingungen nicht verbessern. © AdobeStock

Menschen, die keinen klassischen Bürojob ausüben, fühlen sich von New Work-Konzepten oft nicht angesprochen. Zum Beispiel Lehr- und Pflegekräfte oder Menschen in der Gastro und im Tourismus. „Wenn man in New Work nur auf Home-Office und 4-Tage-Woche reduziert, dann stimmt das ja“, hält Glaser fest. Aber das Thema ist ja viel größer. Gerade diese Branchen brauchen eine neue Arbeitskultur am meisten. Die Bewegung, die es hier für Veränderung braucht, kommt gerade von den Jungen.

Fairen Arbeitsbedingungen als Wettbewerbsvorteil

Jedes Jahr strömen neue Menschen von der Ausbildung auf den Arbeitsmarkt. Sie denken tendenziell mehr wie Elias und weniger wie Silvia. Darauf müssen Unternehmen reagieren. Schon jetzt ist es viel schwerer Fachkräfte zu finden als früher. Vier von fünf Unternehmen haben Probleme damit, Fachstellen zu besetzen. Das haben sie bei einer Studie im Juli 2022 angegeben. Wollen Sie weiter wirtschaftlich erfolgreich sein, müssen sie Jobs schaffen, die junge Menschen ansprechen.

„Gute Fachkräfte können sich selbstbewusst aussuchen, für wen sie arbeiten wollen.“

„Die Machtverhältnisse haben sich in den letzten Jahren verschoben“, fasst es Glaser zusammen. „Gute Fachkräfte können sich selbstbewusst aussuchen, für wen sie arbeiten wollen.“ Daher sollten Unternehmen nicht erwarten, dass sie sich an althergebrachte Arbeitsweisen anpassen.  Vielmehr liegt es an den Unternehmen, sich an den Wünschen der jungen Fachkräfte anzupassen. Und: Es gehe aber nicht nur um die Neuen, meint Glaser. „Unternehmen müssen auch schauen, wie sie bestehende Mitarbeiter:innen mit fairen und gesunden Arbeitsbedingungen halten können.“ Jene Unternehmen, die das schaffen, würden zukünftig die erfolgreichsten sein. Davon ist Lena Marie Glaser überzeugt.

Von den Forderungen der Jungen haben alle was

Junge Leute seien ja nur faul und hätten unrealistische Luxusforderungen. Das bekommt Lena Marie Glaser oft zu hören. Meist sind es ältere Menschen aus der Generation von Silvia. „Was junge Fachkräfte fordern, ist sehr vernünftig“ findet Glaser. Sie wollen in einem Unternehmen arbeiten, in dem sie respektiert und gefördert werden. Sie wollen eine Arbeitskultur, in der sie sich mit Ideen einbringen können und gehört werden. Und sie fordern Arbeitsbedingungen, die nicht ihr Wohlbefinden belasten. „Das sind keine Luxusforderungen für mich“, sagt Glaser.

Die nachkommende Generation will einen Job, der mit ihrem Privatleben vereinbar ist. Manche suchen sich Teilzeitjobs und leben sparsamer. Andere arbeiten zwar Vollzeit, sind aber nicht mehr bereit, Unmengen an Überstunden zu leisten. Politische Forderungen, die Teilzeit unattraktiver machen sollen, werden das nicht ändern können. Junge Fachkräfte wollen anders arbeiten. Und dadurch bringen sie etwas ins Rollen, von dem alle profitieren.

Silvia und Elias haben zwar unterschiedliche Einstellungen zur Arbeit. Sie sind aber keine Gegenspieler:innen. Sie teilen sich nicht nur eine Schreibtisch-Insel, sondern auch den Wunsch nach Fairness und guten Arbeitsbedingungen. Diese Bedürfnisse sind generationenübergreifend.

Energiewende am Bauernhof

0

Landwirt:innen versorgen die Bevölkerung mit Lebensmitteln. Nun sollen sie auf ihren Höfen auch Energie produzieren, um sich unabhängig von Gas und Erdöl mit Strom und Wärme zu versorgen. Die Bundesregierung unterstützt sie am Weg zum energieautarken Bauernhof mit insgesamt 100 Millionen Euro. 

Photovoltaik-Anlagen am Dach des Schweinestalls, ein Auto mit Elektroantrieb und ein Biomassekessel zum Heizen. So könnte ein Bauernhof in Zukunft aussehen. Die Landwirt:innen werden auf ihrem Hof selbst Energie erzeugen und sind nicht mehr länger von fossilen Energieträgern wie Gas und Erdöl abhängig. Energiekrisen haben einen geringeren Einfluss auf die landwirtschaftliche Produktion, die Versorgung mit Lebensmitteln wird dadurch sicherer.

Bauernhöfe sollen energieautark werden

Einzelne Landwirt:innen haben auf ihren Betrieben bereits Maßnahmen gesetzt, um den benötigten Strom vor Ort zu produzieren und energieautark zu wirtschaften. In Zukunft sollen das aber noch viel mehr werden. In ganz Österreich gibt es mehr als 110.000 landwirtschaftliche Betriebe. Das Potenzial ist daher groß. Die Bundesregierung will die Energiewende am Bauernhof daher nun mit dem Förderprogramm „Versorgungssicherheit im ländlichen Raum – Energieautarke Bauernhöfe“ vorantreiben. „Wir befinden uns in einer Zeit der massiven Energieverknappung, die zu hohen Energiekosten führt. Das spüren nicht nur große industrielle Unternehmen, sondern auch Land- und Forstwirtschaftsbetriebe. Wir unterstützen Land- und Forstwirt:innen auf ihrem Weg in Richtung energieautarke Bauernhöfe“, sagt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.

Fördergelder stammen aus ökosozialer Steuerreform

Bis 2025 stehen insgesamt 100 Millionen Euro zur Verfügung. Jede:r Landwirt:in mit einem förderbaren Projekt erhält bis zu 250.000 Euro. Finanziert wird das Förderprogramm über die ökosoziale Steuerreform. Klimaschädigendes CO2 hat dadurch einen Preis bekommen. Das bedeutet, dass zum Beispiel Benzin und Diesel teurer geworden sind. Mit den Steuereinnahmen werden unter anderem Projekte finanziert, die Österreich zu einem klimaneutralen Land machen sollen.

Vier verschiedene Förderkategorien

Die Landwirt:innen können die Anträge seit Mitte Februar beim Klima- und Energiefonds stellen. Das Förderprogramm läuft in mehreren Modulen ab:

  • Modul A: Gefördert werden Einzelmaßnahmen wie die Errichtung von Photovoltaik-Anlagen und der Umstieg auf LED-Beleuchtung. Voraussetzung ist, dass sich diese Maßnahmen rasch umsetzen lassen.
  • Modul B: Gefördert wird die Erstellung eines Gesamtenergiekonzepts. Durch diese Maßnahmen soll dafür gesorgt werden, dass sich die land- und forstwirtschaftlichen Betriebe besser selbst mit Energie versorgen können.
  • Modul C: Gefördert werden kombinierte Maßnahmen. Landwirt:innen können Maßnahmen aus den Bereichen Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Energiespeicherung, E-Mobilität und Energiemanagement kombinieren.
  • Modul D: Gefördert werden Sofortmaßnahmen wie zum Beispiel Vorkehrungen am Zählerkasten.

Mit Ausnahme von Modul D muss der Förderantrag gestellt werden, bevor die Maßnahmen umgesetzt werden.

Mit diesem Förderprogramm will die Bundesregierung den Umstieg auf erneuerbare Energien beschleunigen. Zudem können energieautarke Bauernhöfe die öffentliche Infrastruktur entlasten und zum Kern lokaler Energieversorgung werden.

Schwebende Öffi-Zukunft

Ein Start-up aus München möchte unser öffentliches Verkehrssystem effizienter machen. Geht es nach ihnen, schweben wir bald in kleinen Kabinen durch die Stadt.

Es ist Sonntag und wir sitzen in der Straßenbahn am Heimweg vom Kino. Die Uhr zeigt 22:45. Zu dieser Tageszeit kommt nur mehr alle 15 Minuten ein Zug. Trotzdem knattert die Straßenbahn mit nur vier anderen Menschen durch die Stadt. In solchen Geisterzügen sind wir alle schon gesessen. Zu Tagesrandzeiten und am Wochenende fahren Öffis selbst in Großstädten halb leer. Den Takt also weiter ausdünnen? Das führt zu noch weniger Fahrgästen. Je seltener Öffis fahren, desto mehr Menschen steigen auf andere Verkehrsmittel um – meistens aufs eigene Auto. Nur ein dichter Takt stellt sicher, dass Menschen ihre Wege auch wirklich mit Tram, Bus&Co bestreiten. Das belegen auch aktuelle Zahlen als Kärnten.

Eines steht außer Frage: Öffentliche Verkehrsmittel sind effizienter und klimafreundlicher als das eigene Auto. Auch dann, wenn sie zu manchen Zeiten leer fahren. Trotzdem wäre für die Öffis in Sachen Effizienz noch deutlich mehr drin. Je günstiger ihr Betrieb, desto schneller bringen wir die Verkehrswende voran. Das sagt auch Marc Schindler, Mitbegründer des Start-ups Ottobahn. Gemeinsam mit seinem Team bastelt er an einem neuartigen Verkehrsmittel für Städte. „Die Ottobahn fährt nur dann, wenn sie gebraucht wird. Wir schippern keine ganze Straßenbahn durch die Stadt, wenn nur eine Person mitfährt“, erklärt Schindler. Wie er das schaffen will, verrät er im Interview.

Futuristische Idee für den Nahverkehr

Marc Schindler meldet sich per Videotelefonat bei uns – und zwar aus dem Prototyp seiner Ottobahn. Der bringt zwar noch niemanden von A nach B, sondern dreht nur seine Runden im Büro in München. So kann er uns aber live zeigen, woran er mit seinem Team bastelt. Der Prototyp, in dem er sitzt, hat wenig Gemeinsamkeiten mit einer normalen Bahn. Vielmehr erinnert die Ottobahn von ihrer Größe an eine Aufzugkabine. „Bis zu vier Menschen können hier drinnen Platz nehmen“, schildert Schindler und schwenkt seine Handykamera durch die Kabine. Er spricht mit zwar viel Leidenschaft über seine Idee. Aber man merkt: Er hat das schon oft gemacht. Die Medien interessieren sich für seine Ottobahn. Kein Wunder, ist die Idee lange nicht so bodenständig, wie sie klingt. Was er bauen möchte, könnten wir genauso gut gerade im Science-Fiction-Blockbuster im Kino gesehen haben.

Verkehrssystem ohne Haltestellen

Die einzelnen Kabinen der Ottobahn werden auf Schienen in fünf bis zehn Metern Höhe verkehren. Wobei: Eigentlich fahren sie nicht auf den Schienen, sondern unter ihnen. Der Antrieb ist elektrisch und damit emissionsfrei, betont Schindler. Ähnlich wie die Wuppertaler Schwebebahn könnten die Kabinen über den stockenden Morgenverkehr hinweggleiten und die Fahrgäste pünktlich ans Ziel bringen. Haltestellen gibt es keine. Mithilfe eines Aufzugsystems können sich die Kabinen überall auf der Strecke auf den Gehsteig absenken. Ob das gefährlich ist für Fußgänger:innen, wollen wir wissen. „Die Gondel erkennt, wenn Menschen oder Hindernisse unter ihr sind“, beruhigt Marc Schindler. Die Bilderkennungsprogramme, die das möglich machen, wären in Autos schon lange im Einsatz. Der größte Unterschied zu einer herkömmlichen Bahn ist aber der Fahrplan. Es gibt ihn nicht. Und darin liegt der Hauptgrund für die Effizienz der Ottobahn.

Diese Visualisierung zeigt, wie das Ein- und Aussteigen in der Ottobahn funktioniert. Die Kabinen können sich wie ein Aufzug auf den Gehsteig absenken. Das ermöglicht den Fahrgästen überall entlang der Strecke auszusteigen. © Ottobahn
Kabine per App bestellen

Möchte jemand mit der Ottobahn fahren, muss er sein Handy aus der Hosentasche holen. Denn sie ist ein sogenannter On-Demand-Dienst. Sie fährt also auf ausschließlich auf Anfrage – und die stellen wir per App. Wir wählen aus, wo wir abgeholt werden möchten und wo die Fahrt hingeht. Ist die Kabine da, steigen wir ein und kommen ohne Zwischenstopp ans Ziel. Das Prinzip ist gleich wie bei einer Taxifahrt – nur eine:n Fahrer:in gibt es nicht.

„Dank intelligenter Software ist das System sehr effizient“

Diesen Job übernimmt eine intelligente Software. Sie steuert einerseits jede einzelne Kabine, angefangen von der Geschwindigkeit bis hin zum Abstand zu anderen Kabinen. Gleichzeitig denkt die Software aber auch alle anderen Kabinen mit. „Mit der intelligenten Flottensteuerung kann das ganze Ottobahn-System sehr effizient sein“, zeigt sich Schindler überzeugt. Die Software leistet die Arbeit eines Orchester-Dirigenten. Sie schaut, dass aus den einzelnen Elementen ein harmonisches Ganzes entsteht. Glaubt man Marc Schindler, kommt es also zu keinem Kabinenstau auf den Schienen.

Die Ottobahn lässt sich schwer in eine Kategorie einordnen. Sie weckt Assoziationen einer Seilbahn, hat aber Räder und fährt auf Schienen. Für Fahrgäste funktioniert sie jedoch am ehesten wie ein Taxi. © Ottobahn
Ottobahn setzt auf ausgereifte Technologie

So futuristisch die Ottobahn auch anmuten mag; Marc Schindler betont, dass die Technik dahinter nicht neu ist. Vielmehr habe sich das Team aus verschiedenen Branchen bewährtes zusammengeklaubt. Effizienz heißt auch zu nutzen, was da ist. „Die Ottobahn fährt auf Spurkranzrädern, wie sie schon Eisenbahnen vor 200 Jahren hatten“ erläutert Schindler. Die Träger für die Fahrbahn wolle das Team aus Stahlfachwerk bauen – ähnlich wie eine Achterbahn oder ein Kranausleger. Und sogar die Ständer der Streckentrassen sind alte Bekannte. Hier setzt Marc Schindler auf Schleuderbetonmasten und damit auf die Bauweise von Handymasten. Und auch das Absenken der Kabinen funktioniert mithilfe von altbekannter Aufzugtechnik.

Sieht täuschend echt aus, ist aber nur eine Visualisierung. So könnte eine Ottobahn-Trasse am Berliner Potsdamer Platz aussehen. © Ottobahn

Bewährte Fertigungsmethoden sparen dem Team Zeit. Statt lange herumtüfteln, können sie schnell mit dem eigentlichen Bau beginnen, legt Schindler dar. Das ist ein nicht zu verachtender Vorteil. Je schneller die Verkehrswende gelingt, desto höher stehen die Chancen, die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden. Die Strategie der bewährten Technik hat aber noch einen zweiten Vorteil. Sie ist günstiger. Das liegt nicht zuletzt an der Preiskonkurrenz unter potenziellen Zulieferern. „Wer einen Kran bauen kann, kann auch eine Ottobahnträger bauen.“ In Summe hätte die Ottobahn nur ein Drittel der Kosten pro Kilometer einer Straßenbahn. Durch das Aufständern spare man sich aufwendige Vorarbeiten am Boden. Und auch im Betrieb sei die Ottobahn deutlich günstiger, versichert Schindler. Immerhin braucht es durch den autonomen Fahrbetrieb kein Zugpersonal. Damit könnte das System auch für Gemeinden erschwinglich sein, die ein kleineres Budget haben. Das ist wichtig. Jedes zusätzliche Öffi-Angebot verringert die Abhängigkeit vom eigenen Auto weiter.

„An geschichtsträchtigen Orten wie der Wiener Innenstadt wollen wir nicht bauen.“

Wenn alles nach Plan läuft, möchte das Ottobahn-Team Ende dieses Jahres die erste Teststrecke in Taufkirchen nahe München eröffnen. 5 Millionen Euro lassen sie sich das kosten. Marc Schindler glaubt an seine Idee, zeigt sich aber bescheiden: „Wir haben nicht den Anspruch, die Welt alleine zu revolutionieren. Die Ottobahn ist nur eine Facette der Verkehrswende.“ Man sehe sich als Ergänzung und will zusätzliche Kapazitäten in den öffentlichen Verkehr bringen. Und er betont: „An geschichtsträchtigen Orten wie der Wiener Innenstadt wollen wir nicht bauen.“ Viel mehr fasse man weitläufige Straßen ins Auge, wo man abseits von Fassaden die Hochtrasse errichten kann.

Es ist wieder Sonntagabend. Auch diesmal sind wir am Heimweg vom Kino. Doch statt zur Straßenbahn zu gehen, warten wir vor dem Ausgang des Kinosaals. Aus der Ferne nähert sich eine lautlos eine Kabine und seilt sich direkt vor unserer Nase auf den Boden ab. Wir steigen ein und lassen uns bis vor unsere Haustüre chauffieren. Noch ist das natürlich Zukunftsmusik. Glaubt man dem Ottobahn-Team, ist das schon bald Teil unserer alltäglichen Mobilität.

Klimakrise gefährdet Heilpflanzen

0

Unsere Apotheke der Natur ist in Gefahr. In natürlichen Heilpflanzen steckt viel unerforschtes Potenzial für die Entwicklung von Medizin. Forschende warnen, dass ein Teil dieses Potenzials für immer verlorengehen könnte. 

Die Hälfte der in den vergangenen vier Jahrzehnten weltweit zugelassenen Medikamente basiert auf den Inhaltsstoffen medizinischer Pflanzen oder sei nach ihrem Vorbild entwickelt worden. Auch das traditionelle Schmerzmittel Morphium stammt aus einer Pflanze, dem Schlafmohn. Salicylsäure wurde früher aus der Rinde von Weiden gewonnen und steckt heute technisch hergestellt und leicht verändert unter anderem in Aspirin.

Viel unerforschtes Potenzial

Die Wissenschaft will die Erforschung von Heilpflanzen systematisch vorantreiben. Damit könne die medizinische Versorgung der Menschheit gesichert werden, schreibt die Gruppe um Spyros Theodoridis vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt im Fachjournal „The Lancet Planetary Health“.

„Von 374.000 bekannten Pflanzenarten sind bisher gerade einmal sechs Prozent untersucht.“

„Heilpflanzen und ihre bioaktiven Stoffe bieten enorme Möglichkeiten für die zukünftige medizinische Versorgung der Menschheit. Als eine naturbasierte, kostengünstige und effiziente Gesundheitsressource. Aber unser Wissen über sie ist immer noch ausschnitthaft“, erläutert Theodoridis. „Von etwa 374.000 bekannten Pflanzenarten sind bisher nur 15 Prozent chemisch analysiert. Und gerade einmal sechs Prozent wurden unter pharmakologischen Gesichtspunkten untersucht.“

Schnelle Fortschritte in der Forschung

In den letzten Jahren habe das Interesse an Heilpflanzen durch neue Analyseverfahren erneut zugenommen. Die schnellen Entwicklungen auf den Gebieten der Erforschung von Stoffwechselprodukten und der Genanalyse eröffneten neue Möglichkeiten. So konnten zum Beispiel im Erbgut der Eibe jene Gene identifiziert werden, die für die Synthese des Stoffs Paclitaxel verantwortlich sind, einem wichtigen Krebsmedikament.

Pflanzenarten vor dem Aussterben

Gleichzeitig seien aber traditionelle, ebenso wie noch unbekannte Heilpflanzen durch den Einfluss des Menschen bedroht. Bewährte Gewächse wie die Sideritis-Arten, die als griechischer Bergtee unter anderem bei Erkältungen angewendet werden, stünden durch übermäßiges Sammeln vor dem Aussterben. Zudem bedroht die Klima- und Biodiversitätskrise ganze Ökosysteme. „Die bioaktiven Pflanzenstoffe, die wir als Heilmittel einsetzen, erfüllen in der Natur spezifische Aufgaben in der Interaktion von Pflanze und Ökosystem – von der Bestäubung bis zur Bodenqualität“, erklärt Co-Autor David Nogués Bravo vom Center for Macroecology, Evolution and Climate der Universität Kopenhagen. „Extreme Temperaturen, Dürreperioden und eine erhöhte CO2-Konzentration in der Atmosphäre können dieses komplexe Zusammenspiel stören.“ Klima-und Biodiversitätsforschung müssten zusammenarbeiten, um geeignete Schutzkonzepte zu schaffen.

Am Beispiel von Europa haben die Forschenden eine Reihe von Indikatoren entwickelt, um das Potenzial für Heilpflanzen sowie deren Gefährdung zu erfassen. Besonders stachen hier die Mittelmeerregion und polarnahe Gebiete hervor. „Unser Ziel ist es, Anstöße für die transdisziplinäre globale Erforschung von medizinischen Pflanzen zu geben. So können wir in der Zukunft nichts weniger als eine nachhaltige Transformation der weltweiten Gesundheitsversorgung erreichen und die „medizinische Biodiversität“ für kommende Generationen sichern“, fasste Theodoridis zusammen. (Red/APA)

Das Recht auf Mobilität

Kommt wirklich jede:r jederzeit und überall sicher und bequem an sein Ziel, dann ist ein Verkehrssystem gerecht. Wie das gelingen kann, darüber haben wir mit VCÖ-Verkehrsexperte Michael Schwendinger gesprochen. 

In den ländlichen Teilen Österreichs ist es um den öffentlichen Verkehr nicht gut bestellt. Ein Fünftel der Österreicher:innen lebt in Regionen, wo es an schulfreien Tagen keine Öffi-Verbindungen gibt. Das sind Regionen wie das Waldviertel, das Mühlviertel, die Südoststeiermark und das Südburgenland. Dort ist das Verkehrssystem zu großen Teilen auf das Auto ausgerichtet. Es gibt Schnellstraßen, Autobahnen und Bundesstraßen, aber vielerorts keinen Bahnhof und kaum Busverbindungen. Das heißt: Wer nicht Autofahren kann oder will, ist vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Das betrifft ganze Bevölkerungsgruppen. Denken wir nur an Kinder oder Senior:innen. Sie können noch nicht, beziehungsweise nicht mehr Auto fahren. Wollen sie zum Supermarkt am Stadtrand, sind sie auf Hilfe angewiesen. Manche Menschen können sich ein eigenes Auto außerdem gar nicht leisten.

Österreich ist nicht nur ein Land der Berge, sondern auch ein Land der Straßen. In vielen Regionen ist das Auto daher die einzige Möglichkeit, um mobil zu sein. © AdobeStock

Ein gerechtes Verkehrssystem sieht anders aus. Alle Menschen haben ein Recht darauf, mobil zu sein. Und zwar unabhängig von Fitness, Alter und Einkommen. „Wir brauchen ein öffentlich zugängliches Verkehrssystem mit einem bunten Angebot für alle“, fasst es Verkehrsexperte Michael Schwendinger vom VCÖ zusammen. Er tritt für die Mobilitätsgarantie ein. Dieses Konzept aus der Verkehrsplanung stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Das Versprechen: Jede:r kommt jederzeit und überall sicher, bequem und zuverlässig mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder zu Fuß an sein Ziel.

Auch die österreichische Bundesregierung verfolgt diesen Ansatz. Etwas sperrig steht da im Regierungsprogramm von 2020: „Es soll zu einer Sicherstellung eines weitgehend stündlichen, ganztägigen Angebots von öffentlichem Verkehr im urbanen Raum und ländlichen Gebiet durch sämtliche Mobilitätsservices (…) kommen.“ Dass ein gutes Mobilitätsangebot auch den Bürger:innen wichtig ist, zeigt nicht zuletzt der Klimarat. „Es muss eine klimaneutrale Mobilitätsgarantie geben“, ist ihre erste Forderung im Bereich der Mobilität. Der Klimarat besteht aus zufällig ausgewählten Bürger:innen aus allen Regionen und Teilen der Gesellschaft.

Schritt für Schritt zur Garantie

Wie also kommen wir zu dieser Garantie und damit zu einem gerechten Verkehrssystem? Michael Schwendinger ist fest davon überzeugt, dass wir auf nichts mehr warten müssen. „Man muss nichts mehr Neues erfinden. Wir brauchen keine fliegenden Busse, keine selbstfahrenden Shuttles oder einen Hyperloop. Es gibt alle Konzepte für die Mobilitätsgarantie.“ Stattdessen bräuchte es nur mehr österreichweite Spielregeln, meint der Verkehrsexperte. Etwa Ziele und Mindeststandards. Ab wann sieht man die Mobilitätsgarantie als erfüllt? Und wichtiger noch: Wer finanziert die Maßnahmen und braucht es noch Gesetzesänderungen? Wenn diese Fragen beantwortet sind, geht es an die Umsetzung. Das heißt konkret:

  • Infrastruktur bauen
  • Mobilitätsdienstleistungen schaffen
  • Mobilitätsplattformen einrichten

Infrastruktur meint den Bau von Straßen, Schienen, Rad- und Gehwegen. Die alleine nützen uns aber wenig, wenn wir sie nicht mit Buslinien und Zugverbindungen bespielen. Das sind dann die Mobilitätsdienstleitungen. Zuletzt brauchen wir aber auch Mobilitätsplattformen. Zum Beispiel, um zu wissen, wann und wo eine Linie abfährt. Über Mobilitätsplattformen lassen sich etwa auch Tickets kaufen oder größere Reisen buchen.

Öffis sind mehr als Bus und Bahn

Wenn wir an den öffentlichen Verkehr denken, kommen uns Bus und Bahn in den Sinn. Um die Mobilitätsgarantie aber wirklich halten zu können, müsse man den öffentlichen Verkehr weiterdenken, meint Schwendinger. In dünn besiedelten Regionen sind Busse und Bahnen mit dichten Takten selten wirtschaftlich. Ein gerechtes Verkehrssystem muss aber auch hier Lösungen für alle bieten. Im Regierungsprogramm der Verweis auf „flexible, nachfrageorientierte Mobilitätsangebote.“ Oft werden solche Verkehrsmittel auch als Mikro-ÖV bezeichnet. Das sind zum Beispiel Dorfbusse und Anrufsammeltaxis. Mikro-ÖVs sind kleiner, flexibler und an die Bedürfnisse der lokalen Gemeinschaft angepasst. Sie sind günstiger zu betreiben und lohnen sich auch in Dörfern. Damit spielen sie eine Schlüsselfunktion bei der Mobilitätsgarantie. Mit dem Postbus-Shuttle gibt es ein solches Angebot schon in acht Regionen in ganz Österreich, etwa in Mödling, Leogang und am Ossiacher See. Das Shuttle ist im Prinzip ein normaler Kleinbus, der in das lokale Tarifsystem eingebunden ist. Die Fahrten werden per App bestellt.

Es müssen nicht immer hochrangige Verkehrsmittel sein. Kleine Dorfbusse und Ruftaxis spielen am Weg zur österreichweiten Mobilitätsgarantie eine Schlüsselrolle. © ÖBB/Marek Knopp
Die letzten Meter sind die wichtigsten

Mikro-ÖV spielt auch eine wichtige Rolle auf der letzten Meile. Der Begriff letzte Meile meint den letzten Abschnitt einer Reise, den wir zurücklegen müssen, um unser Ziel zu erreichen. Zum Beispiel der Weg vom Bahnhof zu unserem Haus. Fehlen attraktive Mobilitätsangebote auf dieser letzten Meile, kann das dazu führen, dass wir nicht auf Öffis umsteigen. Und das, obwohl es in der Nähe gute Verbindungen gäbe. Auch Car-Sharing-Dienste spielen hier eine wichtige Rolle. Das sind Online-Plattformen, die es ermöglichen, Autos auf Zeit zu mieten. Wir buchen ein Auto online, holen es ab und geben es nach der Nutzung wieder zurück. Je nach Art des Carsharings entweder am selben Ort oder innerhalb des Stadtgebiets. Michael Schwendinger sieht in diesen Mobilitätsdienstleitungen einen wichtigen Baustein für die Erreichung der Mobilitätsgarantie. Insbesondere in ländlichen Regionen, die stark auf das Auto ausgerichtet sind. „Man muss es ein, zweimal ausprobieren. Aber wenn sich Carsharing etabliert hat, dann hat es viel Potenzial.“ Dass das auch abseits von Großstädten gut funktioniert, zeigt Kufstein. Als erste Stadt Österreichs bietet sie ein flächendeckendes E-Carsharing an. Nicht länger als fünf Minuten geht jede:r Kufsteiner:in, um vor der nächsten E-Auto-Station zu stehen.

Aktive Mobilität muss sicher sein

Für die letzte Meile spielt aber auch aktive Mobilität eine große Rolle. Hier bedeutet die Mobilitätsgarantie, dass Gemeinden sichere und attraktive Fuß- und Radwege bauen. Wie ein Netz sollten sie sich durch die Ortschaften und Überland ziehen und alle wichtigen Orte des täglichen Lebens erschließen. Damit Menschen dann auch tatsächlich mit dem Rad fahren und zu Fuß gehen, müssen Rad- und Fußwege sicher sein. Das heißt: Sie sind breit, getrennt vom Autoverkehr und bieten sichere Querungsmöglichkeiten. Geschwindigkeitsbeschränkungen für Autos in Wohngebieten können zu noch mehr Sicherheit beitragen.

Es geht nicht nur um Verkehr

Warum müssen wir an den Ortsrand ins Fachmarktzentrum, um Seife und Zahnpasta zu kaufen? Warum ist die nächste Turnklasse drei Ortschaften entfernt und die Bücherei müssen wir in die Bezirkshauptstadt? „Mobilität ist kein Selbstzweck“, sagt Michael Schwendinger. Niemand braucht Verkehrsmittel per se, sie sind Mittel zum Zweck, um unseren Alltag zu bewältigen. Wäre die Drogerie, die Turnklasse und die Bücherei im Dorfzentrum, dann würden die meisten von uns zu Fuß gehen. Deswegen sind Stadtplanung und Verkehrsplanung untrennbar miteinander verbunden. In ganz Österreich gibt es in den Ortskernen leerstehende Geschäftsflächen. Wo früher Fleischereien, Greissler und Süßwarengeschäfte waren, sind heute zugeklebte Schaufenster. Um die Mobilitätsgarantie umzusetzen, gilt es, diese Ortskerne wieder mit Leben zu bespielen.

Die Vorarlberger Gemeinde Göfis hat ihren Dorfplatz zu einem attraktiven Ort der Begegnung umgebaut. Wenn Menschen ihre täglichen Erledigungen und sozialen Aktivitäten innerhalb des Ortes erledigen, erzeugt das deutlich weniger Verkehr. © Gemeindeamt Göfis
Vom Parkplatz zum belebten Ortszentrum

Wie das funktionieren kann, zeigt uns Göfis. Die Vorarlberger Gemeinde hat bereits 2014 ihren mit Autos zugestellten Dorfplatz in ein belebtes Ortszentrum verwandelt. Heute gibt es Geschäfte, eine Bücherei und sogar ein Reparatur-Café. Statt mit dem Auto in die Nachbarorte zu fahren, kommen die Menschen zu Fuß oder mit dem Rad auf den Dorfplatz, um einzukaufen oder Bekannte zu treffen. Regelmäßig finden am Dorfplatz Kulturveranstaltungen und Märkte statt. Ist diese soziale Infrastruktur im Ortszentrum, gibt es weniger Bedarf mobil zu sein.

Ein Verkehrssystem muss alle mitdenken

Wenn wir zukünftig über Mobilität reden, soll nicht mehr ein Fahrzeug im Mittelpunkt stehen, sondern die Menschen selbst. Das gewährleistet die Mobilitätsgarantie. Sie muss dabei natürlich für alle Menschen gleichermaßen gelten. Wird das konsequent verfolgt, dann bekommen wir am Ende ein gerechtes und klimafreundliches Verkehrssystem. Das ist eine Herausforderung. Senior:innen haben andere Bedürfnisse wie Kinder. Auch Menschen mit Behinderungen und Menschen mit geringem Einkommen müssen bei der Umsetzung mitbedacht werden. Aber ein buntes, öffentlich zugängliches Verkehrssystem kann gerecht sein, wenn es gut geplant ist. Ein System, das voraussetzt, dass wir Auto fahren, nicht.

Kostenlose HPV Impfung

Ab dem 1. Februar können alle Neun- bis 20-Jährigen die Impfung gegen Humane Papilloma-Viren gratis erhalten. Die HPV Impfung wird bei Jugendlichen vor dem ersten Geschlechtsverkehr empfohlen und schützt vor Krebsarten, die durch HPV ausgelöst werden können, wie Gebärmutterhals-, Scheiden- und Vulvakrebs, Anal- und Rachenkrebs sowie das Peniskarzinom. Bisher wurden die Kosten nur zwischen 9 und 12 Jahren übernommen. Die Ausweitung der Gratisimpfung kommt vor allem Menschen aus Familien mit geringerem Einkommen zugute. Die Impfung für Erwachsene kostet über 600 Euro.

Die HPV-Impfung war 2014 ins kostenlose Kinderimpfprogramm aufgenommen worden, jetzt erfolgt die Ausweitung der Altersgrenze. „Wir haben in Österreich eines der besten HPV-Impfprogramme der Welt, bei dem Kinder und Jugendliche – Mädchen und Buben – und auch Grundwehrdiener nun bis zum vollendeten 21. Lebensjahr die kostenlose HPV-Impfung erhalten können,“ sagte Krebshilfe-Präsident Paul Sevelda. Gesundheitsminister Johannes Rauch rief auf, das Angebot zu nutzen. Er fordert wie auch die Krebshilfe die verpflichtende Dokumentation im e-Impfpass, nur so könne der Erfolg bemessen werden.

Um die angestrebte Durchimpfungsrate von 90 Prozent zu erreichen, seien laut der Krebshilfe mehrere Maßnahmen nötig. Gefordert werden der Zugang zum elektronischen Impfpass für alle Ärztinnen und Ärzte, eine lückenlose Dokumentation der HPV-Impfung im elektronischen Impfpass, intensive Aufklärung der Bevölkerung sowie die Aufnahme der HPV-Impfung in das ab Herbst 2023 vorgesehene Nationale Impfprogramm.

Die HPV-Impfungen werden in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich organisiert. Hier der Überblick: 

Impfung in Wien

In Wien wird ab 1. Februar in ausgewählten städtischen Impfzentren sowie im niedergelassenen Bereich gestartet. Ein Impftermin kann online auf impfservice.wien oder telefonisch beim Gesundheitstelefon 1450 gebucht werden.

Impfung in Niederösterreich

In Niederösterreich wird grundsätzlich bei Ärztinnen und Ärzten aus den Bereichen Allgemeinmedizin, Gynäkologie und Kinderheilkunde geimpft. Ab dem vollendeten 21. Lebensjahr bis zum vollendeten 26. Lebensjahr wird die HPV-Impfung in den Kliniken im Bundesland zum vergünstigten Preis von 100 Euro angeboten.

Impfung in der Steiermark

Geimpft wird bei Gynäkologen, Hausärzten und bei den Impfstellen des Landes, der Stadt Graz bzw. den Bezirkshauptmannschaften. Erforderlich ist eine Terminvereinbarung, dazu kann man auch bei den entsprechenden Stellen der BH anrufen. Für Info und Anmeldungen ist eine eigene Seite online unter verwaltung.steiermark.at eingerichtet.

Impfung in Salzburg

Im Bundesland Salzburg wird in den öffentlichen Impfstellen gegen HPV geimpft. Auf der Homepage des Landes, salzburg.gv.at, ist eine Liste zu finden. Die Impfstellen befinden sich im Gesundheitsamt in der Stadt Salzburg und in den Bezirkshauptmannschaften Salzburg-Umgebung, Hallein, St. Johann, Tamsweg und Zell am See. Die Gratis-Impfungen werden vor Ort in den jeweiligen Gesundheitsämtern und nach Terminvereinbarung kostenlos durchgeführt.

Wer sich im Gesundheitsamt in der Stadt Salzburg impfen lassen will, muss sich nicht voranmelden. Die Impfungen finden jeweils am Montag von 13.00 bis 16.00 Uhr und Dienstag bis Freitag von 9.00 bis 11.00 Uhr statt.

Kinder und Jugendliche aus dem Flachgau können ab 1. Februar die HPV- und ihre versäumten Schulimpfungen in der Impfstraße des Landes im Airport-Center in Wals-Siezenheim nach vorheriger Anmeldung nachholen. Jeweils am Mittwoch zwischen 14.00 und 18.00 Uhr werden kostenlos Impfungen angeboten. Anmeldung jeweils freitags von 8.00 bis 12.00 Uhr beim Gesundheitsamt der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung unter der Telefonnummer 0662/8180-5817. Das Land Salzburg verwies zudem auf die Impfaktionen bei den niedergelassenen Ärzten.

Impfung in Oberösterreich

In Oberösterreich werden die HPV-Impfungen in allen Bezirksverwaltungsbehörden und Magistraten angeboten. Die Terminvereinbarung wird je nach Behörde unterschiedlich gehandhabt. Informationen gibt es auf den jeweiligen Hompages.

Impfung in Tirol

In Tirol werden die gratis HPV-Impfungen im Rahmen des Programms „Impfaktion Tirol“ angeboten. Die Impfung wird in der fünften Schulstufe im Zuge der Schulimpfungen offeriert, hieß es vom Land Tirol. Zudem ist eine Immunisierung nach Voranmeldung bei den Amtsärzten in den Gesundheitsreferaten der Bezirkshauptmannschaften, dem Stadtmagistrat Innsbruck sowie bei niedergelassenen Allgemeinmedizinern, Fachärzten für Kinder- und Jugendheilkunde sowie bei Frauenärzten möglich. Die Behörde verwies außerdem darauf, dass für Frauen bis zum 45. Lebensjahr die Kosten von den Sozialversicherungsträgern (ÖGK, BVAEB und SVS) übernommen werden, sofern bereits ein operativer Eingriff am Gebärmutterhals aufgrund verdächtiger Gewebeveränderungen erforderlich war.

Impfung in Kärnten

In Kärnten erfolgt die HPV-Impfung ab 1. Februar nach selbstständiger Terminvereinbarung bei allen Ärzten, die sich beim Land Kärnten für das Gratis-HPV-Impfkonzept angemeldet haben. Das seien vorrangig Hausärztinnen und -ärzte, Kinderfachärzte sowie Gynäkologinnen und Gynäkologen. Auch in den Kärntner Gesundheitsämtern werde die HPV-Impfung verabreicht, ebenso beim Bundesheer in Kärnten. Konkret wird hier im Rahmen der Aufnahme in die Bataillone der Impfstatus der neu eingerückten Rekruten kontrolliert und dabei auch die HPV-Impfung angeboten.

Impfung im Burgenland und Vorarlberg

Auch für das Burgenland und Vorarlberg gilt die Aufnahme der HPV-Impfung in das kostenfreie Impfprogramm für die genannten Altersgruppen, die Impfschemata sehen jeweils zwei Dosen im Abstand von sechs bis zwölf Monaten vor. In Vorarlberg werden die HPV-Impfungen einerseits durch Schulimpfärzte in der 4. Klasse Volksschule bzw. in der fünften Schulstufe angeboten bzw. vorgenommen. Ältere Heranwachsende, die nicht in der Schule immunisiert wurden bzw. nicht mehr zur Schule gehen, können sich in den Ordinationen von Allgemeinmedizinern oder Fachärzten impfen lassen.

Im Burgenland erfolgt die Immunisierung bei allen Ärztinnen und Ärzten, die Impfungen im Rahmen des kostenfreien HPV-Impfprogramms durchführen. Eine Übersicht über die jeweiligen Impfangebote der Bundesländer findet sich auf dem Online-Portal des Gesundheitsministeriums. (Red/APA)

Mobilität muss neu gedacht werden

Es muss sich etwas ändern auf den Straßen. Es sind zu viele Pkw und Lkw unterwegs. Der Verkehrssektor ist damit einer der Hauptverursacher klimaschädlicher Emissionen. Das FREDA Magazin hat mit Stadt- und Mobilitätsforscherin Katja Schechtner darüber gesprochen, wie die Mobilitätswende gelingt.

Wir haben ein Problem mit dem Verkehr. Es sind zu viele Fahrzeuge auf den Straßen Österreichs unterwegs. Der Verkehrssektor ist einer der Hauptverursacher klimaschädlicher Treibhausgase. Er verursacht mehr als 30 Prozent der Emissionen. Dass sich etwas ändern muss, ist klar. Die Frage ist, wie die Mobilitätswende gelingen kann.

Die eine Lösung, die von heute auf morgen alle Probleme löst, gibt es nicht, sagt Katja Schechtner, internationale Stadt- und Mobilitätsforscherin, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Es braucht viele Maßnahmen, die Schritt für Schritt umgesetzt werden und auf das jeweilige Problem zugeschnitten sind. Die Reduktion des Individualverkehrs spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn der Pkw-Verkehr verursacht mit 62 Prozent den Großteil der klimaschädlichen Emissionen im Verkehrssektor. Fragt man Schechtner, wie das gelingen kann, gibt sie drei Wörter als Antwort: vermeiden, verlagern, verbessern.

Gute Siedlungspolitik für weniger Verkehr

Fahrten lassen sich auf vielerlei Art und Weise vermeiden. Damit das aber auch wirklich passiert, braucht es eine gute Raumordnungs- und Siedlungspolitik. Noch mehr neue Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand gehen sich nicht mehr aus. „Sie können keine Straßenbahn oder keinen Bus durch eine Einfamilienhaussiedlung schicken, die dann alle 200 Meter stehen bleiben, damit einer einsteigt. Wenn da aber ein sechsstöckiges Haus steht, in dem 40 Leute wohnen und daneben steht wieder ein sechsstöckiges Haus, dann kriegen Sie die Straßenbahn oder den Bus voll“, erklärt Schechtner. Busse oder Straßenbahnen müssen gut ausgelastet sein, damit es sich lohnt, sie anzubieten. Ansonsten ist die Finanzierung schwierig – und CO2 spart man dann auch nicht ein.

Weniger Autos, mehr öffentlicher Raum

Die Siedlungsgebiete müssen also verdichtet werden. Wie das zum Beispiel in Wien oder Salzburg der Fall ist. Wenn man neuen Wohnraum schafft, sollte man nicht auf Neubauten setzen, sondern bereits vorhandene Infrastruktur nutzen. Zum Beispiel, indem man aufstockt. Das lohnt sich auch finanziell. Denn wenn man ein vierstöckiges Haus um einen fünften Stock erweitert, dann muss man keine neue Infrastruktur schaffen. Energie- und Wasserleitungen sind bereits vorhanden. Und darüber hinaus geht keine weitere Grünfläche verloren.

Indem man nachverdichtet und vorhandene Ressourcen nutzt, bleibt für die Menschen auch mehr öffentlicher Raum. Lassen sich Wohnbau und öffentlicher Verkehr kombinieren, braucht man weniger Platz für Parkplätze. „Wenn wir weniger Individualautos haben, haben wir auch mehr öffentlichen Raum. Wir können die Gehsteige breiter machen, mehr Bäume pflanzen. Wir können es auch einfach unbespielt lassen“, so Schechtner.

Mobilitätswende
Katja Schechtner ist internationale Stadt- und Mobiltätsforscherin. © Wojciech Czaja
Sanfte Mobilität tut Mensch und Umwelt gut

Die gute Nachricht ist, dass in Österreich bereits knapp 60 Prozent der Menschen in Städten leben und die Siedlungsstruktur schon recht dicht ist. In einer Großstadt wie Wien lässt sich der Individualverkehr sehr leicht vermeiden. Das öffentliche Verkehrsnetz ist gut ausgebaut. Zum Einkaufen und Arztbesuch muss man nicht in eine andere Ortschaft fahren, was wiederum begünstigt, dass die Menschen zu Fuß gehen oder mit ihrem Fahrrad fahren. „Das tut den Leuten gut. Sie können über etwas anderes nachdenken, sie müssen sich nicht auf den gefährlichen, schnellen Verkehr konzentrieren und das ist – vor allem in Städten – eine gute Fortbewegungsmethode. Und der Nebeneffekt ist, sie stoßen weniger CO2 aus“, so Schechtner.

Fahrgemeinschaften bilden und Öffis ausbauen

Jener Verkehr, der sich nicht vermeiden lässt, sollte so gut wie möglich verlagert werden. Zum Beispiel, indem man Fahrgemeinschaften mit Nachbar:innen bildet. Wenn sich zwei Personen zusammentun, kann bereits ein Auto eingespart werden. Derjenige, der gerade nicht fahren muss, kommt ausgeruhter am Ziel an, beide können Geld sparen – und es ist nur halb so klimaschädlich. „Das sind win-win-win-Situationen, die wir unbedingt ermöglichen müssen“, betont Schechtner. Eine andere Möglichkeit ist der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Zug. Dafür muss auch das Angebot weiter verbessert werden. Nicht nur in Wien, sondern auch in kleineren Städten in den Bundesländern.

Schechtner hält es aber nicht für sinnvoll, jedes Dorf umfassend an das Öffi-Netz anzubinden. „Das ist gesellschaftlich, nachhaltig und technisch nicht sinnvoll“, sagt die Mobilitätsforscherin. In zersiedelten Gebieten werden die Menschen daher auch in Zukunft auf den Individualverkehr angewiesen sein. „Wir werden niemandem, der auf einem Bauernhof 30 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt lebt, das Auto wegnehmen“, hält Schechtner fest. Trotzdem muss man sich fragen, ob wirklich jeder Haushalt mehrere Pkw benötigt. Denn viele Privat-Pkw stehen die meiste Zeit ungenutzt herum. Zudem plädiert sie für kleinere Autos statt große SUV. Anders verhält es sich in den Großstädten ab 500.000 Einwohnern. Dort könnte man den Individualverkehr komplett durch ein gutes Öffi-Netz in Verbindung mit anderen Systemen wie Taxis ersetzen.

Autonome Dreiräder werden erforscht

Fortbewegung könnte in Zukunft auch durch autonome Dreiräder möglich sein. Getestet wird das derzeit in Taiwan. In diese kann man sich hineinsetzen. Entweder man tritt selbst in die Pedale oder lässt den Elektroantrieb arbeiten. Wenn diese Gefährte gerade keine Menschen transportieren, dann stellen sie zum Beispiel automatisiert Pakete zu. Vorbilder dafür sind Rikschas und Tuctucs, allerdings ohne die Problematik, dass dafür Menschen ausgebeutet werden. Diese Dreiräder eignen sich optimal für Städte, können aber auch in Dörfern den Individualverkehr ersetzen. Ältere Personen, die sich beim Autofahren bereits schwertun, aber ansonsten noch agil sind, können damit den Weg zum Supermarkt zurücklegen. Dadurch steigt auch die Sicherheit im Straßenverkehr. Denn diese Dreiräder sind langsamer, leichter als Pkw und ausbalancierter als Fahrräder.

„Es ist auf keinen Fall die einzige Lösung, die Autos mit anderen Antrieben auszustatten.“

Lässt sich der Verkehr weder vermeiden noch verlagern, dann braucht es Verbesserungen. Dieser Punkt dominiert die öffentliche Diskussion. Oft wird der Eindruck erweckt, dass es reiche, einfach den Antrieb des Fahrzeuges zu wechseln. Pkw mit Elektroantrieb sind ohne Zweifel besser als solche mit Verbrennungsmotoren. Noch dazu, wenn der Strom nachhaltiger produziert wird. „Aber es ist auf keinen Fall die einzige Lösung, die Autos mit anderen Antrieben auszustatten“, unterstreicht Schechtner.

Verbesserungspotential auch bei Gütertransport

Verbesserungen sind auch beim Gütertransport möglich – und notwendig. Die durch den Lkw-Verkehr produzierten Emissionen haben sich seit 1990 auf über acht Millionen Tonnen fast verdoppelt. Organisiert ist der Gütertransport sehr ineffizient. Die Lenker:innen sind wochenlang unterwegs. In der Nacht, wenn sie schlafen, stehen die Lkw acht bis neun Stunden auf Parkplätzen herum. Blickt man nach Indien, sieht man, dass das auch anders geht. Ein:e Fahrer:in fährt einen Lkw vier Stunden in eine Richtung und tauscht dann das Fahrzeug mit einem:r Fahrer:in, der:die aus der anderen Richtung kommt. Beide fahren wieder in ihre Richtung zurück. Die Lkw kommen so ohne Pause an ihr Ziel und die Fahrer:innen schaffen es immer wieder nach Hause. Sie müssen nicht in engen Fahrerkabinen schlafen, sondern haben ihr eigenes Bett.

Das macht den Job lukrativer und den Gütertransport effizienter. „Ein Lkw muss nicht schlafen. Das heißt, die Ladung kommt um 30 Prozent oder sogar um die Hälfte früher an, sie wird dadurch günstiger und die Lkw sind ständig in Bewegung. Es zahlt sich daher für die Firmen aus, in Lkw zu investieren, die eine bessere Schadstoffklasse haben“, so Schechtner. Und: „Sie haben auf diese Art und Weise im Güterverkehr einen Vorteil für die Fahrer, einen Vorteil für die Umwelt und einen Vorteil für die Kunden in den Preisen. Das ist sensationell und davon brauchen wir mehr.“

Mit richtigen Entscheidungen viel verändern

Die Mobilitätswende wird nicht einfach. Dennoch wird Schechtner oft nach einfachen Lösungen gefragt. „Wenn du mir sagst, ich soll dir drei Dinge geben, weil du einen Kuchen backen willst, gebe ich dir Mehl, Eier und Zucker. Aber dir fehlen dann Herd, Rührschüssel, Feuerholz und so weiter. Man braucht einfach viele unterschiedliche Dinge, damit das funktioniert“, zieht die Mobilitätsforscherin einen Vergleich. Sie will damit sagen: Es braucht nicht Einzelteile, es muss am ganzen System geschraubt werden, damit sich etwas verändert. Die Mobilitätswende wird Schritt für Schritt erfolgen. Und sie wird nicht sofort erfolgen, sondern noch zehn oder zwanzig Jahre dauern.

Dafür müssen die Menschen aber beispielsweise motiviert werden, mit ihren Nachbar:innen Fahrgemeinschaften zu bilden. Es muss mehr in den öffentlichen Verkehr investiert werden. Das Schulbussystem muss so gestaltet werden, dass dieses nicht nur Schüler:innen nutzt, sondern auch andere Bürger:innen von A nach B bringt. Gemeinden könnten E-Fahrräder zur Verfügung stellen, damit die Bürger:innen Strecken von wenigen Kilometern damit zurücklegen können. Züge sollen durch künstliche Intelligenzsteuerung in engeren Takten sicher fahren. Und wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Menschen, deren Jobs das erlauben, ein bis zwei Tage pro Woche zu Hause oder im Café ums Eck arbeiten und sich den Weg ins Büro sparen werden. Die Ideen gehen Schechtner nicht aus.  „Wenn man jedes Mal die richtige Entscheidung trifft, dann verändert man in kleinen Schritten das große Ganze“, ist sie sich sicher.