Ziviler Ungehorsam: Unding oder unverzichtbar?

Eine Gruppe von Klimaktivist:innen hält Österreich mit Straßenblockaden und Kunstvandalismus  auf Trab. Sie rechtfertigen den Gesetzesbruch mit den drastischen Folgen der Klimakrise. Demokratieforscher Michael Hunklinger hat mit dem FREDA Magazin über die Rolle von zivilem Ungehorsam in einer Demokratie gesprochen.

2019 war die „Fridays for Future“-Bewegung in aller Munde. Greta Thunberg und hunderttausende Jugendliche auf der ganzen Welt versammelten sich auf den Straßen. Ihre Forderung: Mehr Klimaschutz und die Einhaltung der Pariser Klimaziele. Doch während der Corona-Pandemie ist es ruhig um die Bewegung geworden.

Seit Oktober 2022 gibt es neue Proteste, die diese Ruhe brechen. Auch dieses Mal sind es vorwiegend junge Menschen, die sich um die Zukunft der Erde sorgen. Sie nennen sich „Letzte Generation“. Doch statt auf den Straßen zu marschieren, kleben sie sich nun zur Hauptverkehrszeit an den Straßen fest. Oder beschütten das Schutzglas weltberühmter Gemälde mit Farbe, wie Anfang Oktober geschehen. Zwei junge Männer bewarfen Gustav Klimt’s „Tod und Leben“ im Wiener Leopold Museum mit schwarz eingefärbtem Öl. Das Credo: Die drastischen Folgen der Klimakrise erlauben auch drastische Aktionen.

Wie schon 2019 Greta Thunberg erfahren auch diese Aktivist:innen eine Wucht an Ablehnung. Selbst Menschen, die sich für dieselben Ziele starkmachen, finden Straßenblockaden und Kunstvandalismus überzogen und wenig hilfreich. So zum Beispiel auch Lena Schilling, Österreichs prominenteste Klimaaktivistin. In einem Kurier-Interview bezeichnet sie Straßenblockaden im Frühverkehr als kontraproduktiv. Zurecht?

Das FREDA Magazin hat mit Michael Hunklinger über zivilen Ungehorsam gesprochen. Er forscht an der Donau-Universität Krems unter anderem zu politischer Partizipation, also der Beteiligung am politischen Geschehen. Im Gespräch erklärt Hunklinger, welche Rolle ziviler Ungehorsam in einer Demokratie zukommt.

„Ziviler Ungehorsam muss immer gewaltfrei sein.“

Für Michael Hunklinger geht es bei zivilem Ungehorsam um den bewussten Verstoß von staatlichen Regeln. Das kann eine öffentliche Protestaktion sein oder aber im Stillen erfolgen. Etwa, wenn jemand bewusst keine Steuern zahlt. Die wichtigste Eigenschaft von zivilem Ungehorsam ist für Hunklinger aber, dass er gewaltfrei ist.

Wichtig sei außerdem, dass die Gesetze nur für ein größeres Gut gebrochen werden. Das heißt: Wer einfach vergisst, eine Steuererklärung abzugeben oder gar Steuern hinterzieht, praktiziert nicht automatisch zivilen Ungehorsam.

Ziviler Ungehorsam hält Demokratie lebendig

Ziviler Ungehorsam sei dabei kein Fehler in der Demokratie, den wir tolerieren müssen, sagt Hunklinger. Er sei vielmehr ein wichtiges Element der Demokratie und hält sie lebendig. Auch der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas sagt das in seinem 1983 erschienen Aufsatz „Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat“. Darin bezeichnet er diese Protestform sogar als notwendigen Bestandteil der politischen Kultur.

„Der Gesetzesbruch ist ein symbolischer Akt.“

Bei zivilem Ungehorsam werden Gesetze gebrochen. Wer Farbe auf ein Kunstwerk beziehungsweise auf die Glasplatte vor dem Kunstwerk schüttet, der beschädigt fremdes Eigentum. Wer sich mit Superkleber auf die Straße klebt, bricht ebenfalls Gesetze. Das wissen die Aktivist:innen. Sie nehmen es bewusst in Kauf. „Der Gesetzesbruch ist ein symbolischer Akt“, sagt Michael Hunklinger. Es gehe darum, Gesetze in einem bestimmten Rahmen zu brechen, nicht prinzipiell. Deswegen ist es auch wichtig, sich den rechtsstaatlichen Konsequenzen zu stellen. Das heißt: Ausweis nach Aufforderung herzeigen, Strafe zahlen und sich gegebenenfalls widerstandslos verhaften lassen. Das sei Ausdruck dafür, dass man den Rechtsstaat akzeptiert und nicht prinzipiell infrage stellt, sagt Michael Hunklinger. Etwas, das auch Habermas in seinem Aufsatz festhält.

Recht auf politische Teilnahme

In Österreich dürfen Menschen nur an Wahlen teilnehmen, wenn sie die Staatsbürgerschaft besitzen. In Wien zum Beispiel fehlt aber einem Drittel der Bewohner: innen eben diese. Das bedeutet, dass sie nicht am demokratischen Leben teilnehmen können. Besonders für sie ist Aktivismus eine der wenigen Möglichkeiten, wie sie bei Politik mitreden können.

Michael Hunklinger spricht vom asymmetrischen Machtzugang. „Manche Personengruppen haben mehr Macht, in der Öffentlichkeit politische Themen zu setzen, als andere.“ Konkret heißt das: Auch wenn alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. In der realen Welt gibt es Unterschiede. Ziviler Ungehorsam kann diese Schieflage zumindest ein wenig ausgleichen.

„Der öffentliche Aufschrei ist kein Nebenprodukt, sondern Sinn und Zweck der Aktionen.“

In den allermeisten Fällen möchten die Aktivist:innen Aufmerksamkeit erzeugen. Mit ihren Aktionen wollen auf die Titelseiten, Abendnachrichten und in unsere Social Media Feeds. Dabei soll es aber nicht um sie als Person gehen, sondern um das gesellschaftliche Thema, für das sie sich starkmachen. Im Fall der Aktionen der „Letzten Generation“ ist dieses Thema die Bewältigung der Klimakrise. „Der öffentliche Aufschrei ist kein Nebenprodukt des Ungehorsams, sondern Sinn und Zweck“, sagt Michael Hunklinger. Das erklärt auch, wieso die Aktivist:innen sich oft für provokante Aktionen entscheiden. Es gehe um maximale Aufmerksamkeit. Und die bekomme man nur, wenn man provoziert.

Ziviler Ungehorsam
Die Aktivist:innen schaffen es mit ihren provokanten Protestaktionen immer wieder in die Medien.

Ob Kunst wirklich das richtige Ziel von Klimaaktionen ist, sei eine andere Frage, sagt Hunklinger. Aber die Taktik gehe auf, denn die Medien würden in großen Stil über die Forderungen der „Letzten Generation“ berichten. Aktionen, bei denen beispielsweise die Konzernzentralen von Mineralölunternehmen mit Farbe beschüttet wurden, hätten deutlich weniger Aufmerksamkeit bekommen. „Je größer die Personengruppe, die sich durch die Aktion angegriffen fühlt, desto mehr berichten die Medien“, erklärt Hunklinger.

Ziviler Ungehorsam kann moderaten Bewegungen Vorschub leisten

Eine im Juli 2022 durchgeführte Studie gibt Hinweise darauf, dass radikalere Aktivist:innen moderaten Gruppierungen Vorschub leisten können. Konkret heißt das: Straßenblockaden mit radikalen Forderungen lassen die Protestformen und Forderungen von weniger radikalen Bewegungen, wie zum Beispiel „Fridays for Future“, in einem anderen Licht erscheinen. Sie wirken plötzlich vernünftig und gemäßigt. Zu einem ähnlichen Entschluss kam schon eine weitere Studie aus dem Jahr 2020. Und auch Michael Hunklinger sieht darin eine wichtige Rolle der radikaleren Kräften. Während sie pushen, können moderatere Kräfte ihr politisches Anliegen leichter durchsetzen.

Ziviler Ungehorsam führt nur selten direkt zu politischen Maßnahmen. Seine Wirkung ist indirekter. Es geht um die öffentliche Diskussion, die nach den Protestaktionen entsteht. In Zeitungen, im TV und in den sozialen Medien. Die Aktivist:innen wollen mit ihren Aktionen nichts weniger als die Mehrheitsmeinung ändern. Ob das wirklich funktioniere, sei schwer zu sagen, meint Demokratieforscher Michael Hunklinger. Aber eines gelinge zweifellos: Klimaschutz und Klimaziele sind in aller Munde.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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