Schwebende Öffi-Zukunft

Ein Start-up aus München möchte unser öffentliches Verkehrssystem effizienter machen. Geht es nach ihnen, schweben wir bald in kleinen Kabinen durch die Stadt.

Es ist Sonntag und wir sitzen in der Straßenbahn am Heimweg vom Kino. Die Uhr zeigt 22:45. Zu dieser Tageszeit kommt nur mehr alle 15 Minuten ein Zug. Trotzdem knattert die Straßenbahn mit nur vier anderen Menschen durch die Stadt. In solchen Geisterzügen sind wir alle schon gesessen. Zu Tagesrandzeiten und am Wochenende fahren Öffis selbst in Großstädten halb leer. Den Takt also weiter ausdünnen? Das führt zu noch weniger Fahrgästen. Je seltener Öffis fahren, desto mehr Menschen steigen auf andere Verkehrsmittel um – meistens aufs eigene Auto. Nur ein dichter Takt stellt sicher, dass Menschen ihre Wege auch wirklich mit Tram, Bus&Co bestreiten. Das belegen auch aktuelle Zahlen als Kärnten.

Eines steht außer Frage: Öffentliche Verkehrsmittel sind effizienter und klimafreundlicher als das eigene Auto. Auch dann, wenn sie zu manchen Zeiten leer fahren. Trotzdem wäre für die Öffis in Sachen Effizienz noch deutlich mehr drin. Je günstiger ihr Betrieb, desto schneller bringen wir die Verkehrswende voran. Das sagt auch Marc Schindler, Mitbegründer des Start-ups Ottobahn. Gemeinsam mit seinem Team bastelt er an einem neuartigen Verkehrsmittel für Städte. „Die Ottobahn fährt nur dann, wenn sie gebraucht wird. Wir schippern keine ganze Straßenbahn durch die Stadt, wenn nur eine Person mitfährt“, erklärt Schindler. Wie er das schaffen will, verrät er im Interview.

Futuristische Idee für den Nahverkehr

Marc Schindler meldet sich per Videotelefonat bei uns – und zwar aus dem Prototyp seiner Ottobahn. Der bringt zwar noch niemanden von A nach B, sondern dreht nur seine Runden im Büro in München. So kann er uns aber live zeigen, woran er mit seinem Team bastelt. Der Prototyp, in dem er sitzt, hat wenig Gemeinsamkeiten mit einer normalen Bahn. Vielmehr erinnert die Ottobahn von ihrer Größe an eine Aufzugkabine. „Bis zu vier Menschen können hier drinnen Platz nehmen“, schildert Schindler und schwenkt seine Handykamera durch die Kabine. Er spricht mit zwar viel Leidenschaft über seine Idee. Aber man merkt: Er hat das schon oft gemacht. Die Medien interessieren sich für seine Ottobahn. Kein Wunder, ist die Idee lange nicht so bodenständig, wie sie klingt. Was er bauen möchte, könnten wir genauso gut gerade im Science-Fiction-Blockbuster im Kino gesehen haben.

Verkehrssystem ohne Haltestellen

Die einzelnen Kabinen der Ottobahn werden auf Schienen in fünf bis zehn Metern Höhe verkehren. Wobei: Eigentlich fahren sie nicht auf den Schienen, sondern unter ihnen. Der Antrieb ist elektrisch und damit emissionsfrei, betont Schindler. Ähnlich wie die Wuppertaler Schwebebahn könnten die Kabinen über den stockenden Morgenverkehr hinweggleiten und die Fahrgäste pünktlich ans Ziel bringen. Haltestellen gibt es keine. Mithilfe eines Aufzugsystems können sich die Kabinen überall auf der Strecke auf den Gehsteig absenken. Ob das gefährlich ist für Fußgänger:innen, wollen wir wissen. „Die Gondel erkennt, wenn Menschen oder Hindernisse unter ihr sind“, beruhigt Marc Schindler. Die Bilderkennungsprogramme, die das möglich machen, wären in Autos schon lange im Einsatz. Der größte Unterschied zu einer herkömmlichen Bahn ist aber der Fahrplan. Es gibt ihn nicht. Und darin liegt der Hauptgrund für die Effizienz der Ottobahn.

Diese Visualisierung zeigt, wie das Ein- und Aussteigen in der Ottobahn funktioniert. Die Kabinen können sich wie ein Aufzug auf den Gehsteig absenken. Das ermöglicht den Fahrgästen überall entlang der Strecke auszusteigen. © Ottobahn
Kabine per App bestellen

Möchte jemand mit der Ottobahn fahren, muss er sein Handy aus der Hosentasche holen. Denn sie ist ein sogenannter On-Demand-Dienst. Sie fährt also auf ausschließlich auf Anfrage – und die stellen wir per App. Wir wählen aus, wo wir abgeholt werden möchten und wo die Fahrt hingeht. Ist die Kabine da, steigen wir ein und kommen ohne Zwischenstopp ans Ziel. Das Prinzip ist gleich wie bei einer Taxifahrt – nur eine:n Fahrer:in gibt es nicht.

„Dank intelligenter Software ist das System sehr effizient“

Diesen Job übernimmt eine intelligente Software. Sie steuert einerseits jede einzelne Kabine, angefangen von der Geschwindigkeit bis hin zum Abstand zu anderen Kabinen. Gleichzeitig denkt die Software aber auch alle anderen Kabinen mit. „Mit der intelligenten Flottensteuerung kann das ganze Ottobahn-System sehr effizient sein“, zeigt sich Schindler überzeugt. Die Software leistet die Arbeit eines Orchester-Dirigenten. Sie schaut, dass aus den einzelnen Elementen ein harmonisches Ganzes entsteht. Glaubt man Marc Schindler, kommt es also zu keinem Kabinenstau auf den Schienen.

Die Ottobahn lässt sich schwer in eine Kategorie einordnen. Sie weckt Assoziationen einer Seilbahn, hat aber Räder und fährt auf Schienen. Für Fahrgäste funktioniert sie jedoch am ehesten wie ein Taxi. © Ottobahn
Ottobahn setzt auf ausgereifte Technologie

So futuristisch die Ottobahn auch anmuten mag; Marc Schindler betont, dass die Technik dahinter nicht neu ist. Vielmehr habe sich das Team aus verschiedenen Branchen bewährtes zusammengeklaubt. Effizienz heißt auch zu nutzen, was da ist. „Die Ottobahn fährt auf Spurkranzrädern, wie sie schon Eisenbahnen vor 200 Jahren hatten“ erläutert Schindler. Die Träger für die Fahrbahn wolle das Team aus Stahlfachwerk bauen – ähnlich wie eine Achterbahn oder ein Kranausleger. Und sogar die Ständer der Streckentrassen sind alte Bekannte. Hier setzt Marc Schindler auf Schleuderbetonmasten und damit auf die Bauweise von Handymasten. Und auch das Absenken der Kabinen funktioniert mithilfe von altbekannter Aufzugtechnik.

Sieht täuschend echt aus, ist aber nur eine Visualisierung. So könnte eine Ottobahn-Trasse am Berliner Potsdamer Platz aussehen. © Ottobahn

Bewährte Fertigungsmethoden sparen dem Team Zeit. Statt lange herumtüfteln, können sie schnell mit dem eigentlichen Bau beginnen, legt Schindler dar. Das ist ein nicht zu verachtender Vorteil. Je schneller die Verkehrswende gelingt, desto höher stehen die Chancen, die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden. Die Strategie der bewährten Technik hat aber noch einen zweiten Vorteil. Sie ist günstiger. Das liegt nicht zuletzt an der Preiskonkurrenz unter potenziellen Zulieferern. „Wer einen Kran bauen kann, kann auch eine Ottobahnträger bauen.“ In Summe hätte die Ottobahn nur ein Drittel der Kosten pro Kilometer einer Straßenbahn. Durch das Aufständern spare man sich aufwendige Vorarbeiten am Boden. Und auch im Betrieb sei die Ottobahn deutlich günstiger, versichert Schindler. Immerhin braucht es durch den autonomen Fahrbetrieb kein Zugpersonal. Damit könnte das System auch für Gemeinden erschwinglich sein, die ein kleineres Budget haben. Das ist wichtig. Jedes zusätzliche Öffi-Angebot verringert die Abhängigkeit vom eigenen Auto weiter.

„An geschichtsträchtigen Orten wie der Wiener Innenstadt wollen wir nicht bauen.“

Wenn alles nach Plan läuft, möchte das Ottobahn-Team Ende dieses Jahres die erste Teststrecke in Taufkirchen nahe München eröffnen. 5 Millionen Euro lassen sie sich das kosten. Marc Schindler glaubt an seine Idee, zeigt sich aber bescheiden: „Wir haben nicht den Anspruch, die Welt alleine zu revolutionieren. Die Ottobahn ist nur eine Facette der Verkehrswende.“ Man sehe sich als Ergänzung und will zusätzliche Kapazitäten in den öffentlichen Verkehr bringen. Und er betont: „An geschichtsträchtigen Orten wie der Wiener Innenstadt wollen wir nicht bauen.“ Viel mehr fasse man weitläufige Straßen ins Auge, wo man abseits von Fassaden die Hochtrasse errichten kann.

Es ist wieder Sonntagabend. Auch diesmal sind wir am Heimweg vom Kino. Doch statt zur Straßenbahn zu gehen, warten wir vor dem Ausgang des Kinosaals. Aus der Ferne nähert sich eine lautlos eine Kabine und seilt sich direkt vor unserer Nase auf den Boden ab. Wir steigen ein und lassen uns bis vor unsere Haustüre chauffieren. Noch ist das natürlich Zukunftsmusik. Glaubt man dem Ottobahn-Team, ist das schon bald Teil unserer alltäglichen Mobilität.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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