Mobilität muss neu gedacht werden

Es muss sich etwas ändern auf den Straßen. Es sind zu viele Pkw und Lkw unterwegs. Der Verkehrssektor ist damit einer der Hauptverursacher klimaschädlicher Emissionen. Das FREDA Magazin hat mit Stadt- und Mobilitätsforscherin Katja Schechtner darüber gesprochen, wie die Mobilitätswende gelingt.

Wir haben ein Problem mit dem Verkehr. Es sind zu viele Fahrzeuge auf den Straßen Österreichs unterwegs. Der Verkehrssektor ist einer der Hauptverursacher klimaschädlicher Treibhausgase. Er verursacht mehr als 30 Prozent der Emissionen. Dass sich etwas ändern muss, ist klar. Die Frage ist, wie die Mobilitätswende gelingen kann.

Die eine Lösung, die von heute auf morgen alle Probleme löst, gibt es nicht, sagt Katja Schechtner, internationale Stadt- und Mobilitätsforscherin, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Es braucht viele Maßnahmen, die Schritt für Schritt umgesetzt werden und auf das jeweilige Problem zugeschnitten sind. Die Reduktion des Individualverkehrs spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn der Pkw-Verkehr verursacht mit 62 Prozent den Großteil der klimaschädlichen Emissionen im Verkehrssektor. Fragt man Schechtner, wie das gelingen kann, gibt sie drei Wörter als Antwort: vermeiden, verlagern, verbessern.

Gute Siedlungspolitik für weniger Verkehr

Fahrten lassen sich auf vielerlei Art und Weise vermeiden. Damit das aber auch wirklich passiert, braucht es eine gute Raumordnungs- und Siedlungspolitik. Noch mehr neue Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand gehen sich nicht mehr aus. „Sie können keine Straßenbahn oder keinen Bus durch eine Einfamilienhaussiedlung schicken, die dann alle 200 Meter stehen bleiben, damit einer einsteigt. Wenn da aber ein sechsstöckiges Haus steht, in dem 40 Leute wohnen und daneben steht wieder ein sechsstöckiges Haus, dann kriegen Sie die Straßenbahn oder den Bus voll“, erklärt Schechtner. Busse oder Straßenbahnen müssen gut ausgelastet sein, damit es sich lohnt, sie anzubieten. Ansonsten ist die Finanzierung schwierig – und CO2 spart man dann auch nicht ein.

Weniger Autos, mehr öffentlicher Raum

Die Siedlungsgebiete müssen also verdichtet werden. Wie das zum Beispiel in Wien oder Salzburg der Fall ist. Wenn man neuen Wohnraum schafft, sollte man nicht auf Neubauten setzen, sondern bereits vorhandene Infrastruktur nutzen. Zum Beispiel, indem man aufstockt. Das lohnt sich auch finanziell. Denn wenn man ein vierstöckiges Haus um einen fünften Stock erweitert, dann muss man keine neue Infrastruktur schaffen. Energie- und Wasserleitungen sind bereits vorhanden. Und darüber hinaus geht keine weitere Grünfläche verloren.

Indem man nachverdichtet und vorhandene Ressourcen nutzt, bleibt für die Menschen auch mehr öffentlicher Raum. Lassen sich Wohnbau und öffentlicher Verkehr kombinieren, braucht man weniger Platz für Parkplätze. „Wenn wir weniger Individualautos haben, haben wir auch mehr öffentlichen Raum. Wir können die Gehsteige breiter machen, mehr Bäume pflanzen. Wir können es auch einfach unbespielt lassen“, so Schechtner.

Mobilitätswende
Katja Schechtner ist internationale Stadt- und Mobiltätsforscherin. © Wojciech Czaja
Sanfte Mobilität tut Mensch und Umwelt gut

Die gute Nachricht ist, dass in Österreich bereits knapp 60 Prozent der Menschen in Städten leben und die Siedlungsstruktur schon recht dicht ist. In einer Großstadt wie Wien lässt sich der Individualverkehr sehr leicht vermeiden. Das öffentliche Verkehrsnetz ist gut ausgebaut. Zum Einkaufen und Arztbesuch muss man nicht in eine andere Ortschaft fahren, was wiederum begünstigt, dass die Menschen zu Fuß gehen oder mit ihrem Fahrrad fahren. „Das tut den Leuten gut. Sie können über etwas anderes nachdenken, sie müssen sich nicht auf den gefährlichen, schnellen Verkehr konzentrieren und das ist – vor allem in Städten – eine gute Fortbewegungsmethode. Und der Nebeneffekt ist, sie stoßen weniger CO2 aus“, so Schechtner.

Fahrgemeinschaften bilden und Öffis ausbauen

Jener Verkehr, der sich nicht vermeiden lässt, sollte so gut wie möglich verlagert werden. Zum Beispiel, indem man Fahrgemeinschaften mit Nachbar:innen bildet. Wenn sich zwei Personen zusammentun, kann bereits ein Auto eingespart werden. Derjenige, der gerade nicht fahren muss, kommt ausgeruhter am Ziel an, beide können Geld sparen – und es ist nur halb so klimaschädlich. „Das sind win-win-win-Situationen, die wir unbedingt ermöglichen müssen“, betont Schechtner. Eine andere Möglichkeit ist der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Zug. Dafür muss auch das Angebot weiter verbessert werden. Nicht nur in Wien, sondern auch in kleineren Städten in den Bundesländern.

Schechtner hält es aber nicht für sinnvoll, jedes Dorf umfassend an das Öffi-Netz anzubinden. „Das ist gesellschaftlich, nachhaltig und technisch nicht sinnvoll“, sagt die Mobilitätsforscherin. In zersiedelten Gebieten werden die Menschen daher auch in Zukunft auf den Individualverkehr angewiesen sein. „Wir werden niemandem, der auf einem Bauernhof 30 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt lebt, das Auto wegnehmen“, hält Schechtner fest. Trotzdem muss man sich fragen, ob wirklich jeder Haushalt mehrere Pkw benötigt. Denn viele Privat-Pkw stehen die meiste Zeit ungenutzt herum. Zudem plädiert sie für kleinere Autos statt große SUV. Anders verhält es sich in den Großstädten ab 500.000 Einwohnern. Dort könnte man den Individualverkehr komplett durch ein gutes Öffi-Netz in Verbindung mit anderen Systemen wie Taxis ersetzen.

Autonome Dreiräder werden erforscht

Fortbewegung könnte in Zukunft auch durch autonome Dreiräder möglich sein. Getestet wird das derzeit in Taiwan. In diese kann man sich hineinsetzen. Entweder man tritt selbst in die Pedale oder lässt den Elektroantrieb arbeiten. Wenn diese Gefährte gerade keine Menschen transportieren, dann stellen sie zum Beispiel automatisiert Pakete zu. Vorbilder dafür sind Rikschas und Tuctucs, allerdings ohne die Problematik, dass dafür Menschen ausgebeutet werden. Diese Dreiräder eignen sich optimal für Städte, können aber auch in Dörfern den Individualverkehr ersetzen. Ältere Personen, die sich beim Autofahren bereits schwertun, aber ansonsten noch agil sind, können damit den Weg zum Supermarkt zurücklegen. Dadurch steigt auch die Sicherheit im Straßenverkehr. Denn diese Dreiräder sind langsamer, leichter als Pkw und ausbalancierter als Fahrräder.

„Es ist auf keinen Fall die einzige Lösung, die Autos mit anderen Antrieben auszustatten.“

Lässt sich der Verkehr weder vermeiden noch verlagern, dann braucht es Verbesserungen. Dieser Punkt dominiert die öffentliche Diskussion. Oft wird der Eindruck erweckt, dass es reiche, einfach den Antrieb des Fahrzeuges zu wechseln. Pkw mit Elektroantrieb sind ohne Zweifel besser als solche mit Verbrennungsmotoren. Noch dazu, wenn der Strom nachhaltiger produziert wird. „Aber es ist auf keinen Fall die einzige Lösung, die Autos mit anderen Antrieben auszustatten“, unterstreicht Schechtner.

Verbesserungspotential auch bei Gütertransport

Verbesserungen sind auch beim Gütertransport möglich – und notwendig. Die durch den Lkw-Verkehr produzierten Emissionen haben sich seit 1990 auf über acht Millionen Tonnen fast verdoppelt. Organisiert ist der Gütertransport sehr ineffizient. Die Lenker:innen sind wochenlang unterwegs. In der Nacht, wenn sie schlafen, stehen die Lkw acht bis neun Stunden auf Parkplätzen herum. Blickt man nach Indien, sieht man, dass das auch anders geht. Ein:e Fahrer:in fährt einen Lkw vier Stunden in eine Richtung und tauscht dann das Fahrzeug mit einem:r Fahrer:in, der:die aus der anderen Richtung kommt. Beide fahren wieder in ihre Richtung zurück. Die Lkw kommen so ohne Pause an ihr Ziel und die Fahrer:innen schaffen es immer wieder nach Hause. Sie müssen nicht in engen Fahrerkabinen schlafen, sondern haben ihr eigenes Bett.

Das macht den Job lukrativer und den Gütertransport effizienter. „Ein Lkw muss nicht schlafen. Das heißt, die Ladung kommt um 30 Prozent oder sogar um die Hälfte früher an, sie wird dadurch günstiger und die Lkw sind ständig in Bewegung. Es zahlt sich daher für die Firmen aus, in Lkw zu investieren, die eine bessere Schadstoffklasse haben“, so Schechtner. Und: „Sie haben auf diese Art und Weise im Güterverkehr einen Vorteil für die Fahrer, einen Vorteil für die Umwelt und einen Vorteil für die Kunden in den Preisen. Das ist sensationell und davon brauchen wir mehr.“

Mit richtigen Entscheidungen viel verändern

Die Mobilitätswende wird nicht einfach. Dennoch wird Schechtner oft nach einfachen Lösungen gefragt. „Wenn du mir sagst, ich soll dir drei Dinge geben, weil du einen Kuchen backen willst, gebe ich dir Mehl, Eier und Zucker. Aber dir fehlen dann Herd, Rührschüssel, Feuerholz und so weiter. Man braucht einfach viele unterschiedliche Dinge, damit das funktioniert“, zieht die Mobilitätsforscherin einen Vergleich. Sie will damit sagen: Es braucht nicht Einzelteile, es muss am ganzen System geschraubt werden, damit sich etwas verändert. Die Mobilitätswende wird Schritt für Schritt erfolgen. Und sie wird nicht sofort erfolgen, sondern noch zehn oder zwanzig Jahre dauern.

Dafür müssen die Menschen aber beispielsweise motiviert werden, mit ihren Nachbar:innen Fahrgemeinschaften zu bilden. Es muss mehr in den öffentlichen Verkehr investiert werden. Das Schulbussystem muss so gestaltet werden, dass dieses nicht nur Schüler:innen nutzt, sondern auch andere Bürger:innen von A nach B bringt. Gemeinden könnten E-Fahrräder zur Verfügung stellen, damit die Bürger:innen Strecken von wenigen Kilometern damit zurücklegen können. Züge sollen durch künstliche Intelligenzsteuerung in engeren Takten sicher fahren. Und wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Menschen, deren Jobs das erlauben, ein bis zwei Tage pro Woche zu Hause oder im Café ums Eck arbeiten und sich den Weg ins Büro sparen werden. Die Ideen gehen Schechtner nicht aus.  „Wenn man jedes Mal die richtige Entscheidung trifft, dann verändert man in kleinen Schritten das große Ganze“, ist sie sich sicher.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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