Vom viel Wissen und wenig Tun

Warum steuern wir sehenden Auges in die Klimakatastrophe? Psychotherapeutin Mareike Schulze erklärt, warum wir trotz der Fülle an Klimawissen immer noch so wenig für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen tun.

Alle Fakten liegen am Tisch. Die Wissenschaft sagt seit Jahrzehnten, dass wir mit unserer Art zu leben und zu wirtschaften unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstören. Die menschengemachte Klimakrise ist messbar und hält allen wissenschaftlichen Prüfungen stand. Der Großteil von uns weiß das, wir haben Zeitungsartikel dazu gelesen oder Nachrichtenbeiträge gehört. Warum also handeln wir nicht genügend? Noch drängender wird die Frage, wenn wir uns die höchste Ebene anschauen, auf der es entschlossenes Handeln bräuchte: die Weltgemeinschaft. Warum hat sie es auf der UN-Weltklimakonferenz in Ägypten wiedermal nicht geschafft, sich auf geeignete Klimaschutzmaßnahmen zu einigen?

Auf diese Fragen bietet Mareike Schulze Antworten an. Als Mitgründerin der deutschen „Psychologists for Future“ -Plattform setzt sie sich täglich mit der Psychologie hinter der Klimakrise auseinander. Viele Ihrer Erkenntnisse hat sie gemeinsam mit Therapeuten-Kollegin Lea Dohm in ihrem Buch „Klimagefühle“ verarbeitet.

„Abwehr ist eine sinnvolle Schutzreaktion.“

Im Interview mit dem FREDA Magazin spricht Mareike Schulze über Abwehrmechanismen, die uns darin hindern, klimafreundlicher zu handeln. Und wie wir darüber hinwegkommen. „Alle wenden Abwehrmechanismen an“, stellt sie dabei gleich zu Beginn klar. Abwehr sei etwas ganz Normales, sonst würden wir ständig von unseren eigenen Gefühlen überfluten lassen. „Es ist eine sinnvolle Schutzreaktion gegen die Klimakrise. Ohne sie wären wir ständig emotional überfordert.“

Kein Platz für Klimaschutz im turbulenten Alltag

Und das können wir in unserer schnelllebigen Welt so gar nicht gebrauchen. Die meisten von uns haben schon mit ihrem Alltag alle Hände voll zu tun. Im Beruf müssen wir hochgesteckte Ziele erreichen, wollen gute Eltern und Partner:innen sein und uns nebenbei noch selbst verwirklichen. Oft fehlt es uns einfach die Energie, um unser Leben mit all den täglichen Entscheidungen in klimafreundliche Bahnen zu lenken.

Diese Abwehrmechanismen gibt es

Damit wir dabei aber nicht durchgehend ein schlechtes Gewissen haben, hat unsere Psyche unterschiedliche Strategien auf Lager. „Wer sie kennt, der kann sie bei sich identifizieren und so bewusst dagegen steuern“, sagt Schulze.

  • Verrechnen von Klimaschäden
    Ich hab‘ heuer eine Sonnenstromanlage aufs Dach gegeben. Jetzt wird ja wohl im Winter ein Langenstreckenflug drin sein. Diese Denkweise bezeichnet Mareike Schulze als das Verrechnen von Klimaschäden. Weil wir in einem Lebensbereich auf Klimaschutz geachtet hätten, wäre in einem anderen noch Budget frei. Solche Gedanken sind menschlich. Wir haben eine Tendenz dazu, uns schon nach einer einzelnen Verhaltensänderung besser zu fühlen. Egal, ob ihre Wirkung groß ist oder nicht. Und genau deswegen ist das Verrechnen verhängnisvoll, wenn wir die Klimakrise bewältigen wollen. Denn die Beruhigung lässt uns glauben, wir hätten schon alles Nötige getan. Aber das Grundproblem, die Klimakrise, ist weiterhin da und verlangt nach Veränderungen in allen Lebensbereichen.
  • Verdrängung
    Verdrängung bedeutet, dass wir unangenehme Gedanken einfach wegschieben. Das funktioniert, wir alle tun es täglich. Sie ist ein bewährter Abwehrmechanismus gegen Klimasorgen. Bei Regenwetter ist der Entschluss, mit dem Rad in die Arbeit zu fahren, schnell weggeschoben, die ausgestoßenen Emissionen durch die Autofahrt verdrängt. Wer will schon mit schlechtem Gewissen durch den Tag gehen? Je öfter wir an ein Thema erinnert werden, desto schwerer wird die Verdrängung. Deswegen ist es wichtig, viel über die Klimakrise zu sprechen, betont Schulze. Dann können wir und alle Verantwortungsträger:innen uns nicht länger wegducken.
  • Verleugnung
    Verleugnung ist eine hartnäckigere Form der Verdrängung. Dabei leugnen wir die Tatsachen, die uns Angst machen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn wir abstreiten, dass die menschengemachte Klimakrise überhaupt echt ist. Im Vergleich zur Verdrängung ist dieser Abwehrmechanismus seltener zu beobachten. Echte Klimaleugner:innen machen nur noch einen kleinen Teil der Bevölkerung aus.
  • Kapitulation
    Der Zug ist abgefahren, wir können die Klimakrise nicht mehr aufhalten. Auch diese Gedanken sind eine innerliche Abwehr. Getreu nach dem Motto „eh scho wuascht“ können wir dann weiterleben wie bisher. Mehr noch: Wenn wir die Auswirkungen der Klimakrise ungebremst auf uns zukommen sehen, wollen wir das Leben noch in vollen Zügen genießen. Wir fliegen weg und kaufen uns alles, das uns glücklich macht. Aber noch ist es nicht zu spät. Darin ist sich die Wissenschaft einig. Selbst wenn die Pariser Klimaziele in die Ferne rücken, kann jedes Zehntel Grad Erderhitzung weniger viel zukünftiges Leid verhindern. Das müssen wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, wenn unsere Psyche uns mit Kapitulationsgedanken verführen möchte.
  • Verantwortung verschieben
    Bei diesem Abwehrmechanismus schieben wir die Verantwortung von uns. Die Wirtschaft redet sich beim Klimaschutz auf die Politik aus. Die Politik wiederum spricht von rettenden Technologien aus der Wirtschaft. Und das kleine Österreich bräuchte ohnehin nichts zu tun, wenn große Länder weiterhin so viel CO₂ ausstoßen würden. Wenn wir so denken, dann sagen wir indirekt: Die Bewältigung der Klimakrise liegt (großteils) nicht in unserer Hand. Damit drücken wir uns vor dringend notwendigen Veränderungen. Bei Familie, Freunde und Bekannten sollten solch ein Verhalten sollten wir aber nicht vorschnell verurteilen, betont Schulze. Denn nicht immer stecke Bequemlichkeit dahinter. Viele Menschen würden sich angesichts der Größe des Problems hilflos fühlen. Wer die Verantwortung für die Klimakrise von sich weist, der schützt sich vor Überforderung und Ohnmachtsgefühlen.

Wir leben in einer Zeit, in der große Verantwortung auf uns lastet. Wie entschlossen wir in den kommenden Jahren die Klimakrise bewältigen, hat enorme Auswirkungen auf die nächsten Generationen. Dass wir diese Last auch mal abwehren, ist gut und menschlich. „Aber hin und wieder müssen wir die Überforderung und die Angst auch zulassen. Wir müssen diese Gefühle spüren, um ins Handeln zu kommen“, sagt Mareike Schulze. Für sie ist es eine Frage der Balance. Ein Gleichgewicht zwischen Abwehr und Einlassen. „Um das zu finden, müssen wir uns selbst auf die Schliche kommen. Jeder hat seine eigene bevorzugte Abwehrstrategie“, erklärt die Psychotherapeutin. Wenn wir sie kennen, dann können wir uns mit unserem Verstand darüber hinwegsetzen und uns der Realität stellen.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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