Wie ich Frieden mit meinen Klimagefühlen geschlossen habe

Ich empfinde Klimaangst, Klimawut und Klimatrauer. Ein Buch hat mir dabei geholfen, diese Gefühle zu erkennen und sie für etwas Gutes zu nützen.

Seit zweieinhalb Jahren setze ich mich jeden einzelnen Tag mit der Klimakrise auseinander. Egal ob Waldbrand, Überschwemmung, Dürre oder Gletschersterben – wo die Klimakrise zuschlägt, schaue ich hin. Das ist meine Aufgabe als Klimajournalist. Um andere Menschen über die Klimakrise zu informieren, muss ich sie selbst in all ihren bedrohlichen Aspekten verstehen. Und das bedeutet nun mal auch, jede neue Schreckensmeldung zu lesen und einzuordnen.

Ein dumpfes Unbehagen als täglicher Begleiter

Die intensive Auseinandersetzung mit der Klimakrise haben mich verändert, auch wenn ich mir das anfangs nicht zugestanden habe. Da war plötzlich ein dumpfes Unbehagen in meinem Leben. Lange habe ich es weggeschoben, oft sogar erfolgreich, aber letztendlich hat es mich immer wieder eingeholt. Ein vages Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz passt. Erst habe ich Corona verantwortlich gemacht, dann wahlweise Stress, das Wetter oder die Jahreszeit.

Seit einem Monat kann ich dieses Unbehagen klar benennen. Es ist Klimaangst. Dem Gefühl einen Namen zu geben, fühlt sich gut an. Es ist zwar trotzdem noch da. Aber seitdem wirkt es sich weniger auf mein Leben aus. Um an diesem Punkt zu kommen, hat mir das Buch „Klimagefühle“ und ein Gespräch mit einer der beiden Autorinnen geholfen.

Die Krise im Kopf

Die beiden Psychotherapeutinnen Lea Dohm und Mareike Schulze beleuchten in „Klimagefühle“ die psychologischen Folgen der Klimakrise. Sie zeigen auf, welche Gefühle sie in uns auslösen kann und wie wir lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen. Die beiden wissen, wovon sie schreiben. Sie sind die Gründerinnen der deutschen „Psychologists for Future“ -Plattform. Mittlerweile haben sich den beiden mehr als 1.500 Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen angeschlossen. Zusammen wollen sie ihr Fachwissen nutzen, um die Klimakrise zu bekämpfen.

Kaugummi unterm Schuh

In einem Telefongespräch über Ihr Buch beschreibt Autorin Mareike Schulze genau jenes Gefühl, das mich schon so lange begleitet. Ein andauerndes Gefühl des Unwohlseins. Sie kennt es aus eigener Erfahrung und beschreibt es als „Kaugummi unterm Schuh“. Man spürt ihn bei jedem Schritt, er stört, aber man kann trotzdem damit durchs Leben gehen. Das war die perfekte Umschreibung für mein dumpfes Unbehagen. In ihrem Buch liefert Schulze auch gleich Anleitungen für mich, wie ich mit diesem Unbehagen umgehen soll. Mit Gleichgesinnten sprechen, zum Beispiel. Auch Achtsamkeitsübungen und Mediation können für viele Menschen eine Lösung sein. All das beschreiben die beiden Autor:innen praxisnah.

Gefühle sind hilfreich und wichtig

Das Wichtigste sei es jedoch, seine Gefühle zu akzeptieren und ihnen keinen Störwert zuzurechnen. „Gefühle sind hilfreich und wichtig“, erzählt mir Schulze. Sie würden uns die eigenen Bedürfnisse anzeigen und uns zum Handeln bringen. Und genau darum geht es bei der Klimakrise: Wir müssen handeln. Unsere Gefühle erinnern uns darin.

Das Problem sind also weniger die Gefühle selbst, als vielmehr der Umgang der Gesellschaft mit ihnen. „Wir leben in einer zunehmend entemotionalisierten Welt“, fasst Mareike Schulze das Problem zusammen. „Gefühle sind verpönt. Wir schieben sie zur Seite, weil sie im Alltag stören.“

Das habe ich auch selbst bemerkt. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, wollte ich Menschen finden, die bereit waren über ihre Klimaangst zu sprechen. Die gesamte Redaktion hat Freunde, Familie und Bekannte gefragt. Kaum jemand gab zu, überhaupt Angst vor der Klimakrise zu haben. Die wenigen, die zu den Gefühlen standen, wollten nicht damit vor den Vorhang treten.  Dabei sei Angst eine völlig natürliche Reaktion auf die Klimakrise, betont Schulze. Schließlich würden ihre Auswirkungen unser gesamtes Leben infrage stellen.

Jeder fühlt anders

Angst ist allerdings nur eines von vielen Gefühlen. In ihrem Buch beschreiben Schulze und Dohm viele verschiedene emotionale Reaktionen, die in Zusammenhang mit der Klimakrise auftauchen. Trauer, Frust, Wut, Scham, Neid und Schuldgefühle zum Beispiel. Besonders Wut und Trauer habe ich dann nach und nach in mir selbst entdeckt.

Wut ist ein kraftvolles Gefühl, eines, das uns aktiviert und uns nicht verletzlich aussehen lässt. Zu diesem Gefühl zu stehen, ist für viele Menschen vergleichsweise leicht. Auch für mich. Bei der Trauer war das anders. Dieses Gefühl habe ich mir anfangs nicht zugestanden. Trauer dürfte ich doch nur empfinden, wenn ich einen lieben Menschen verloren hätte. „Trauer hilft uns Abschied zu nehmen“ erklärt Mareike Schule mir dann allerdings am Telefon. Und die Klimakrise zwinge uns viele Dinge gehen zu lassen. Eine unbeschwerte Zukunft, die Vielfalt der Natur oder auch materielle Wünsche.

Klimagefühle können helfen, richtig zu handeln

Klimaangst ist immer noch Teil meines Lebens – und das ist in Ordnung so. Mein dumpfes Unbehagen ist zu meinem Knopf im Taschentuch geworden. Es erinnert mich bei jeder Alltagsentscheidung, dass ich meinen kleinen Teil beitragen muss. Was kaufe ich? Wo kaufe ich es? Wohin fahre ich auf Urlaub? Wie fahre ich in die Arbeit? Wir alle stehen jeden Tag vor solchen kleinen Entscheidungen. Meine Klimaangst erinnert mich daran, das Klima mitzudenken, wenn ich sie treffe.

Und auch als Klimajournalist brauche ich mein Unbehagen. So rufe ich mir in Erinnerung, wie wichtig es ist auch über Lösungen in der Klimakrise zu sprechen. Positive Geschichten und Vorbilder zu zeigen, die uns Mut machen. Denn Klimagefühle müssen nicht zwangsläufig negativ sein. Auch Freude, Hoffnung und Selbstwirksamkeit können wir empfinden, wenn wir uns mit der Klimakrise auseinandersetzen. Und diese Gefühle brauchen wir dringend, wenn wir die schlimmsten Folgen der Klimakrise noch aufhalten wollen. Sie geben uns Kraft, gemeinsam an einer besseren Welt zu arbeiten.

„Klimagefühle“ ist im August 2022 im Verlag Droemer Knau erschienen.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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