Hinter der Fassade von Spekulation

Stell dir vor, du fliehst aus deinem vom Krieg zerstörten Heimatland, um dann im sicheren Österreich für viel Geld in einem Haus ohne Dach zu wohnen. Das ist die Realität für Bewohner:innen der Spengergasse 1 in Wien. Was hinter der Fassade von Spekulationsobjekten vorgeht, möchten Immobilienfirmen lieber geheim halten. Genau deswegen waren wir vor Ort.

„An den Postkästen sieht man meistens schon, ob eine Hausverwaltung sich noch um ein Haus und seine Mieter:innen kümmert.“ Georg Prack zeigt auf desolate Postfächer im Eingang des Hauses in der Spengergasse 1 im fünften Wiener Gemeindebezirk Margareten. Manche Posttürchen fehlen komplett, andere sind verbogen und hängen schief in den Scharnieren. Prack ist Wohnbausprecher der Wiener Grünen. Gemeinsam mit dem Margaretner Bezirksrat Michael Luxenberger will er uns zeigen, was Immobilienspekulation für Menschen bedeutet, die trotz grober Missstände in einem Spekulationsobjekt leben müssen.

„Die Hausverwaltung verabsäumt ihre Pflichten hier massiv.“

Wir gehen das Stiegenhaus nach oben. Was zuerst auffällt: Die Fenster sind in schlechtem Zustand und an vielen Stellen mit Holzplatten verdeckt. Es ist dunkel, zugig und kalt. Im Winter kühle das Stiegenhaus stark ab. Die Kälte krieche dann bis in die zum Gang hin unisolierten Wohnungen, erzählen uns die beiden. Im zweiten Stock zeigt Georg Prack dann auf feuchte Flecken an der Wand. An den vielen nassen Wänden des Hauses wuchert der Schwarzschimmel. „Die Hausverwaltung verabsäumt ihre Erhaltungs- und Verbesserungspflichten hier massiv“, so Prack.

Dem Haus ist der Spengergasse 1 sieht man die Missstände von außen nicht an.
Gefährlicher Schimmel

Wenn es in einem Wohnhaus zu Schimmelbildung kommt, ist die Hausverwaltung in der Pflicht, die Ursache zu ermitteln und Schäden schnellstmöglich zu beheben. Das ist geltendes Mietrecht. Schimmel in Innenräumen gefährdet die Gesundheit der Bewohner:innen. Schimmelsporen können eine Vielzahl an Atemwegsbeschwerden auslösen. In einigen Fällen führen giftige Stoffwechselprodukte der Pilze auch zu neurologischen Beeinträchtigungen und ernsthaften Organschäden.

Wir folgen der Stiege bis ganz nach oben und betreten durch eine offenstehende Baustellentür das Dachgeschoss. Nur: Ein echtes Dach gibt es nicht mehr. Laut Anrainer:innen fehlt es seit rund vier Jahren. Stattdessen ist der Dachstuhl mit Plastikplanen abgedeckt, die aber an vielen Stellen schon vom Wind abgelöst wurden. Damit sind Boden und Gemäuer permanent der Witterung ausgesetzt. Dieser Umstand lässt sich auch an den vielen Wasserlacken am Boden erkennen. Hier wird uns klar, woher die Wasserschäden im ganzen Haus kommen.

Haus gehört Immobilien-Entwickler Sveta

Von den Missständen innerhalb des Hauses ahnt man als Vorbeigehender nichts. Das Haus in der Spengergasse 1 ist ein typischer Gründerzeitbau, der prächtige Stuck der Fassade von Baugerüsten verdeckt. Seit einigen Jahren ist das Haus im Besitz des Immobilien-Entwicklers Sveta. Ein verzweigtes Konglomerat von Subfirmen, die alte Zinshäuser kaufen, damit spekulieren und versuchen die Wohnungen mit möglichst hohem Gewinn zu verwerten.

Das hätte wohl auch in der Spengergasse passieren sollen. Warum man vor mittlerweile vier Jahren mit der Sanierung des Hauses begonnen, dann aber die Arbeiten plötzlich eingestellt hat, darüber lässt sich nur mutmaßen. Georg Prack und Michael Luxenberger vermuten, dass die bestehende Widmung nicht zum geplanten Umbau gepasst hat. Seitdem ist das Haus eine Baustelle – und wird von der Sveta grob vernachlässigt.

Am Boden des Dachgeschosses sammelt sich Regenwasser. Seit vier Jahren fehlt dem Haus das Dach.
Trotz Missstände bewohnt

Das Haus ist zwar eine Baustelle, aber keineswegs leer. Hier wohnen Menschen. Ob jede der rund zwanzig Wohneinheiten belegt ist, lässt sich bei unserem Besuch nicht feststellen. Schuhe und Matten vor den allermeisten Türen deuten aber darauf hin. Viele Hausbewohner:innen seien anerkannte Flüchtlinge, sagt uns Georg Prack. Sie seien für die Eigentümer:innen Lückenfüller und sollen so lange bleiben und Miete zahlen, bis die gewünschte Widmung da ist. Dann könne die geplante Sanierung weitergehen, vermutet Prack.

Menschen mit Fluchthintergrund sind Spekulationsfirmen schutzlos ausgeliefert. Oft wissen sie um ihre Rechte nicht Bescheid und nehmen überhöhte Mieten und grobe Mängel aus Not in Kauf. Ein Team des ORF hat Ende März für die Sendung Report aufgedeckt, wie systematisch Spekulationsfirmen diese Ausbeutung betreiben. In manchen Häusern gibt es seit über zwei Jahren keinen Strom, keine Heizung und monatelang kein Wasser. Die Wohnungen gleichen einem Rohbau, vielerorts schlafen die Menschen auf Matratzen am Boden.

Heizung funktioniert nicht

Mit solchen Elendsquartieren ist die Spengergasse zwar nicht vergleichbar. Trotzdem haben die Menschen im Haus mit massiven Missständen zu kämpfen. Georg Prack hat vor unserem Besuch mit Mieter:innen gesprochen. Ein Bewohner erzählt ihm, dass die Gasheizung nicht funktionieren würde und er gezwungen sei, mit Strom zu heizen. Ein teures Unterfangen. Zudem seien die Mieten deutlich überhöht. Dagegen hätte zumindest ein Mieter auch schon erfolgreich geklagt, weiß Prack.

Massiver Schwarzschimmelbefall in der Wohnung eines Mieters. © Georg Prack
Sveta sieht sich nicht in der Schuld

Während wir uns im Stiegenhaus aufhalten, begegnet uns ein Mitarbeiter von Sveta. Er sei auf seinem wöchentlichen Rundgang, erzählt er uns. Interview will er uns keines geben, willigt aber ein, schriftlich zu der Situation im Haus Stellung zu nehmen.

Bezugnehmend auf das fehlende Dach verweist die Sveta in ihrer E-Mail auf die Aufstockung des Gebäudes, für die das Entfernen des Daches zwingend notwendig sei. Man befinde sich in der Bauphase, in der naturgemäß zu Unterbrechungen käme. Zur Erinnerung: Bei dieser Unterbrechung handelt es sich laut Anrainer:innen um eine Zeitspanne von vier Jahren.

Auf unsere Nachfrage zu den mit Brettern verschlossenen Fenstern räumt Sveta zwar ein, dass diese Maßnahme „nicht auf Dauer geeignet“ sei. Man sah sich zu diesem Schritt aber veranlasst, um Bewohner:innen am Füttern von Tauben zu hindern.

Auch beim Thema Schimmel sieht die Sveta die Schuld nicht bei sich, sondern bei den Bewohner:innen. Man stelle immer wieder fest, dass in feuchten Räumen nicht ausreichend gelüftet werden würde, so Sveta. Die starke Schimmelbildung im Stiegenhaus, also außerhalb der Wohnungen, passt zu dieser Aussage allerdings nicht.

Ob die Sveta die Bauarbeiten zeitnah wieder aufnimmt, ist fraglich. Die Immobiliengesellschaft Saba, ein Zweig des Sveta-Konglomerats, hat 70 Millionen Euro Schulden und ist insolvent. Ende April meldet man am Handelsgericht Wien ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung an.

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Wohnungen als Finanzprodukt

Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Aber zugleich sind Wohnungen ein Finanzprodukt geworden, mit dem sich viel Geld machen lässt. Prack und Luxenberger sehen bei der Lösung dieses Konfliktes die Stadt klar in der Verantwortung. Immobilienspekulation dürfe nicht auf Kosten von Menschen passieren.

„Stadt müsste nur Möglichkeiten wahrnehmen, die das Mietrecht bietet.“

Stadt Wien müsste einschreiten

Möglichkeiten einzugreifen, gebe es viele. „Die Stadt müsste nur die Möglichkeiten wahrnehmen, die das Mietrecht bietet“, sagt Georg Prack. So könne die Stadt etwa Erhaltungsmaßnahmen wie die Herstellung eines Daches oder die Entfernung von Schimmel selbst vornehmen und der Immobilienfirma in Rechnung stellen. Zahlt sie nicht, kann die Stadt das Haus sogar in Zwangsverwaltung nehmen. Die Notwendigkeit für ein solches Vorgehen sei in der Spengergasse bereits gegeben, meint Prack. „Würde die Stadt diese Möglichkeiten konsequent ausschöpfen, kommt es gar nicht erst zu Spekulation mit Wohnraum. Aber kommen die Spekulant:innen damit davon, werden sie es immer wieder machen.“

Margareten ist der am dichtesten besiedelte Bezirk in ganz Wien. Wohnraum sei entsprechend knapp, erzählt uns der grüne Bezirksrat Michael Luxenberger vor dem Haus. Er kenne noch andere Häuser in seinem Bezirk, in dem ähnliche Zustände herrschen. „Wir brauchen diese Häuser, um anständigen Wohnraum zu schaffen“, so Luxenberger. „Diese ganzen Spekulationen müssen ein Ende finden.“ Je mehr Menschen hinter die Fassade von Häusern wie das in der Spengergasse 1 blicken können, desto größer wird der Druck auf die Stadtregierung. Es bleibt zu hoffen, dass sie dann solchen Missständen einen Riegel vorschiebt.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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