Die Macht der Straße

Seit 2019 ziehen zweimal jährlich junge Menschen durch die Straßen und fordern mehr Klimaschutz. Warum diese Demos auch dann noch wichtig sind, wenn andere Protestformen mehr mediale Aufmerksamkeit bekommen, erklärt uns Protest- und Bewegungsforscherin Antje Daniel.

Hört uns überhaupt noch irgendwer zu? Das fragen sich manche Aktivist:innen nach über fünf Jahren weltweiter Klimastreiks. Seit dem 3. März 2019 demonstrieren Millionen von jungen Menschen zweimal pro Jahr auf den Straßen ihrer Stadt. Auf ihren Pappschildern fordern sie nach wie vor mehr Klimaschutz, weniger Öl und den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen.

Corona statt Klima in den Medien

2019 hört die Welt der Fridays for Future-Bewegung noch zu. Zeitungen füllen ganze Seiten mit ihren Forderungen, Fernsehteams drängen sich auf ihren Demos und Greta Thunberg wird als Gesicht der Bewegung zu einer der meistzitierten Persönlichkeiten der Welt.

Und dann kommt die Pandemie – und mit ihr wird es still um Fridays for Future. Die Medien titeln mit Corona statt Klima und diskutieren Lockdowns statt Streiks. Aber nicht nur die Bewegung selbst verschwindet damals fast aus den Medien, auch die Klimakrise als Ganzes rückt in den Hintergrund.

Die letzte Generation taucht auf

Erst ein Aktivist:innen-Bündnis mit dem Namen Letzte Generation hievt 2022 das Klimathema wieder zurück auf die Titelseiten. Ihre bevorzugte Protestform: der zivile Ungehorsam. Die Medien berichten dankbar und bald diskutiert das ganze Land über die Klimaaktivist:innen. Und wo bleibt da Platz für die vergleichsweise moderaten Klimastreiks der Fridays for Future-Bewegung?

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Bewegungen stehen nicht im Wettstreit zueinander

Protest- und Bewegungsforscherin Antje Daniel sieht hier kein Entweder-oder. Sie forscht an der Universität Wien und beschäftigt sich unter anderem mit der Fridays vor Future-Bewegung. Sie hat mit uns darüber gesprochen, wieso der Klimaaktivismus beide Bewegungen braucht, um wirksam zu sein.

 Protestbewegungen müssen versuchen relevant zu bleiben

„Für Bewegungen ist es herausfordernd, ihre Themen für Medien lebendig und relevant zu halten“, sagt die Forscherin. Dass nach 5 Jahren nicht mehr so viel berichtet wird wie zu Beginn der Bewegung, ist daher nicht ungewöhnlich.

Um dem entgegenzuwirken, versuche Fridays for Future auch aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen. „Letztes Jahr hat der Ukraine-Konflikt eine große Rolle auf den Klimastreiks gespielt. Auch die Frage nach sozialer Gerechtigkeit steht immer wieder im Mittelpunkt“, erzählt Daniel. Man wolle zeigen, dass Klimagerechtigkeit ein Querschnittsthema sei und fast alle Bereiche des Lebens betrifft.

Die Strategie der letzten Generation

In Sachen Aufmerksamkeit hat es die letzte Generation leichter. „Mit zivilem Ungehorsam schafft die letzte Generation, das Thema Klima in den Medien erneut zu platzieren“, argumentiert die Protestforscherin. Die Aktivist:innen entscheiden sich bewusst für Aktionen, die provokant sind und  damit garantiert weit vorne in der Zeitung landen.

Maximale Aufmerksamkeit als Ziel

Es geht um maximale Aufmerksamkeit. Und die bekommt man nur, wenn man provoziert. Ihre Message richte sich dabei aber mehr an die Politik und an die Medien als Vermittler, nicht an einzelne Menschen. Dieser Strategie bediene sich ziviler Ungehorsam aber schon seit jeher, nicht erst seit der letzten Generation. Das Ziel von zivilem Ungehorsam sei es letztlich, Regeln zu brechen, was dadurch gerechtfertigt wird, dass die Klimaziele nicht eingehalten werden, so Daniel.

„Mit den Klimastreiks möchten die Bewegung die breite Mitte der Gesellschaft erreichen.“

Fridays for Future möchte nicht unterbrechen, sondern mobilisieren. „Mit den Klimastreiks möchten die Bewegung die breite Mitte der Gesellschaft erreichen“, erklärt Antje Daniel. In ihrer Kommunikation spreche Fridays for Future daher auch das Individuum an, und nicht Medien und Politik.

Zwar ziehen die Klimademos über Hauptstraßen und unterbrechen damit den Verkehr. Aber die Unterbrechung an sich ist nicht das Ziel. Vielmehr ist die Hauptstraße Ausdruck eines zentralen Ortes. „Die Bewegung will damit ausdrücken, dass sie den öffentlichen Raum einnimmt mit einem Anliegen, das die ganze Gesellschaft betrifft“, sagt Daniel. Auch der Heldenplatz in Wien und andere zentrale Plätze überall auf der Welt als Orte der Abschlusskundgebungen seien bewusst gewählt. Als Knotenpunkt zwischen Öffentlichkeit und Politik.

Die Schlagkraft einer globalen Bewegung

Die Wirkung der Klimastreiks liege auch in seiner globalen Dimension begründet, erzählt die Forscherin. Die Demos finden in tausenden Städten weltweit am selben Tag statt. So kann die Bewegung zeigen: Wir sind viele, also hört uns besser zu. Und nicht zuletzt die halbjährliche Wiederholung der Demos ruft ihre Anliegen immer und immer wieder in Erinnerung.

Erfolge der Klimastreiks sind schwer messbar, aber da

Und welche Form des Aktivismus ist nun mit seinen Forderungen erfolgreicher? Die Protest- und Bewegungsforschung habe es schwer, konkrete politische Veränderungen einer einzelnen Bewegung zuzuschreiben, weiß Antje Daniel aus ihrer täglichen Arbeit. „Ein neues Gesetz kann durch den Druck einer Bewegung erlassen worden sein oder aber einfach einen Wertewandel bei politischen Vertreter:innen widerspiegeln. Politische Veränderungen sind immer multikausal“, so Daniel. Es gibt also immer viele Gründe.

Fridays for Future hat Klimaschutz auf die Straße gebracht

Zwar sind konkrete Erfolge schwer zu benennen. Aber Antje Daniel hält dagegen: „Klimapolitik hat vor 2019 in Österreich institutionalisiert zwischen NGOs und der Politik stattgefunden. Fridays for Future hat Klima- und Umweltbelange wieder auf die Straße gebracht. Damit haben sie den Weg geebnet für andere Bewegungen.“

Geeint durch gemeine Forderung nach mehr Klimaschutz

Dass diese nun mehr Aufmerksamkeit in den Medien bekommen, ist für Fridays for Future kein Nachteil. Im Gegenteil. Man dürfe die beiden Bewegungen nicht gegeneinander ausspielen, sagt Antje Daniel. Außerdem seien sie ohnehin nicht scharf voneinander zu trennen. Viele Aktivist:innen der letzten Generation nehmen auch an den Protesten von Fridays for Future teil, und zum Teil auch umgekehrt. Beide Bewegungen ergänzen einander. Sie haben völlig unterschiedliche Strategien, um sich Gehör zu verschaffen. Aber die gemeinsame Forderung nach konsequentem Klimaschutz eint sie.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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