Globaler Pakt gegen Plastikplage

Was haben Babynahrung und menschliches Blut gemeinsam? Die Antwort ist genauso abstoßend wie die Frage. In beidem haben Forscher:innen schon Plastik gefunden. Ein neues Abkommen soll unsere Welt von dieser wuchernden Plastikplage befreien. Wie die Chancen stehen, dass das tatsächlich gelingt, lest ihr hier.

Wir könnten zu Beginn dieses Artikels seitenlang Produkte aufzählen, in denen Plastik verarbeitet ist. Wir könnten siebenstellige Zahlen nennen, die festhalten, wie viel Tonnen Plastik im Jahr in unseren Meeren landen. Wir könnten Bilder von Ökosystemen zeigen, die in Plastik untergehen und Studien zitieren, die Plastik in Form von winzigen Partikeln in unsere Blutbahnen und in der Nahrung unserer Babys nachgewiesen haben. Aber all das müssen wir nicht tun, denn das haben schon tausende andere Artikel zuvor gemacht.

Die UNO ruft die Welt an den Verhandlungstisch

Dass Plastik ein ungeheuerliches Problem für die Umwelt und unsere Gesundheit ist, wissen wir schon lange. Die Gefahr ist bekannt und trotzdem ist auf globaler Ebene wenig geschehen. Bis jetzt. Denn die Vereinten Nationen trommeln derzeit Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zusammen, um ein Abkommen zu verhandeln. Das Ziel: Nichts weniger als die weltweite Verschmutzung durch Plastik zu beenden.

Neue Regeln von der Produktion bis zur Entsorgung

Dieses Treffen, das sich vom 29. Mai bis 2. Juni erstreckt, findet in Paris statt und ist die zweite von fünf Verhandlungsrunden für das neue Plastikabkommen. Daran nehmen UN-Mitgliedstaaten sowie Nichtregierungsorganisationen, Wissenschafter:innen und Gewerkschaften teil. Die Dimensionen sind beachtlich und mit den UNO-Klimakonferenzen vergleichbar: 1.500 bis 1.600 Delegierte werden erwartet. Bis 2024 soll sie gemeinsam ein Regelwerk erarbeiten, in dem verbindliche Obergrenzen und Maßnahmen festgelegt sind – und zwar für den gesamten Lebenszyklus von Plastik, von der Produktion bis zur Entsorgung. Bereits 2025 sollen die neuen Regeln dann weltweit in Kraft treten. Zumindest wünscht sich das die UNO so.

„Die Herausforderung ist riesig, aber sie ist nicht unüberwindbar.“

Ein Abkommen wäre ein epochaler Schritt

Erklären sich alle Länder zu echten politischen und marktwirtschaftlichen Veränderungen bereit, wäre das Plastikabkommen ein epochaler Schritt. Bis 2040 könnte so die Plastik-Neuproduktion mehr als halbiert und der in die Umwelt gelangende Plastikmüll um über 80 Prozent reduziert werden, rechnete in der vergangenen Woche ein Bericht des UNO-Umweltprogramms (UNEP) vor. Die Herausforderung sei “riesig, aber sie ist nicht unüberwindbar“, fasst es der Vorsitzende des Internationalen Verhandlungskomitees, Gustavo Meza-Cuadra Velásquez zusammen.

Die Zankäpfel am Verhandlungstisch

So weit, so gut. Allerdings dürfte es starke Meinungsverschiedenheiten zwischen den Teilnehmerstaaten geben. Eine ehrgeizige Gruppe aus 50 Ländern einschließlich der EU, Norwegen, Kanada und seit kurzem auch Japan will die Produktionsmengen von Plastik stark zurückfahren. Auf der anderen Seite stehen Staaten mit großer petrochemischer Industrie wie China, die USA und Saudi-Arabien. Sie wollen das Problem ausschließlich mit Recycling und Abfallmanagement angehen. Setzen sich diese Länder durch, wäre das Plastikabkommen kaum mehr als ein Lippenbekenntnis.

Die Chancen für ein starkes Abkommen stehen gut

Doch zwei Umstände geben Grund zur Hoffnung: Zum einen hat es die Gruppe der besonders ehrgeizigen Länder in der ersten Verhandlungsrunde geschafft, dass nicht nur Müllbeseitigung und -vermeidung, sondern auch die Neuproduktion von Plastik Gegenstand des Abkommens sein soll. Zum anderen gibt es auch in der Plastikindustrie, deren Jahresproduktion mittlerweile bei rund 400 Millionen Tonnen liegt, einflussreiche Stimmen, die für eine scharfe und eindeutige Regelung eintreten. Der Hintergrund ist klar: Um auch in der Zukunft hohe Umsätze lukrieren zu können, möchte man wissen, woran man ist.

Gegen die Plastikplage braucht es eine globale Lösung

Von Plastikabfällen geht eine Gefahr für die menschliche Gesundheit, die Artenvielfalt und die Klimaziele aus. Es ist also klar: Wir brauchen dieses Abkommen – und zwar nicht in verwässerter Form, sondern mit Obergrenzen und Regeln, die einen messbaren Unterschied machen. An diesem Punkt würden wir jetzt gerne etwas schreiben, dass jede:r zum Gelingen beitragen kann. Nur: Ob ein schlagkräftiges Abkommen oder ein verwässertes Lippenbekenntnis rauskommt, hängt vom Verhandlungsgeschick der Delegierten ab. Darauf hat keiner von uns Einfluss.

Natürlich könnten wir jetzt darauf verweisen, dass jede:r beim eigenen Plastikmüll einen Beitrag leisten kann. Und dass wir beim Wandern brav unseren Verpackungsmüll mit aus dem Wald nehmen sollten. Auch das haben aber schon tausende andere Artikel vor diesem hier gemacht. Um die Plastikplage in den Griff zu kommen, braucht es eine große Lösung, einen globalen Pakt. Und wir finden: Von diesem Umstand sollten Aufrufe zum achtsamen Umgang mit Plastik nicht ablenken. (RED/APA)

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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