Brasilien: Stichwahl für den Regenwald

Am 30. Oktober findet in Brasilien die Stichwahl zwischen dem amtierenden konservativen Präsidenten Jair Bolsonaro und dem linksgerichteten Ex-Staatschef Luiz Inácio Lula da Silva statt. Eine Wahl, die nicht nur über die Zukunft des Landes entscheidet, sondern für das gesamte Weltklima von Bedeutung ist.

Die Indigenen bekommen „kein Millimeter“ neues Land mehr! Mit diesem Wahlspruch hat der amtierende brasilianische Präsident Jair Bolsonaro 2018 die Wahl in Brasilien gewonnen. Sein verheerendes Wahlversprechen, Indigenen keine zusätzlichen Schutzgebiete zu gewähren, hielt der konservative Politiker auch ein. Und nicht nur das. Vielmehr hat er indigene Schutzgebiete sogar geöffnet, um Landwirtschaft zu betreiben und Rohstoffe abzubauen. Die Folge: Während seiner Amtszeit hat das brasilianische Amazonasgebiet eine Waldfläche in der Größe von ganz Belgien verloren. Die höchste Entwaldungsrate in den letzten 15 Jahre. Dennoch hat Bolsonaro auch im aktuellen Wahlkampf viele Befürworter:innen. So viele, dass es im Moment ein Kopf an Kopf Rennen um das brasilianische Präsidentenamt gibt. Am 30. Oktober muss bei einer Stichwahl zwischen ihm und seinem Herausforderer, dem linksorientiertem Luiz Inácio Lula da Silva (kurz Lula) entschieden werden. Lula gilt vor allem bei den indigenen Völkergruppen als Hoffnungsträger, da er sich zum Ziel gesetzt hat, die Amazonas-Entwaldung auf Null zu setzen. Im Gegensatz zu Jair Bolsonaro. Der sieht in dem für das Weltklima wichtigen Amazonasgebiet weiterhin vor allem wirtschaftliche Nutzfläche.

Zwei Kandidaten, die über die Zukunft des Regenwaldes nicht unterschiedlicherer Meinung sein könnten. Was das genau bedeutet, FREDA gibt einen Einblick:

Die Bolsonaro-Regierung: Wirtschaft geht vor Waldschutz

Der amtierende Präsident Jair Bolsonaro, der für die liberale Partei Partido Liberal antritt, ist für seine rechtsradikalen und konservativen Ansichten bekannt. Auch sein aktueller Regierungsplan baut auf die traditionellen Werte Familie, Gott, Vaterland und Freiheit. Unterstützt wird er dabei von streng konservativen Anhänger:innen der evangelikalen Pfingstkirchen, der Agrarindustrie und Bergbaufirmen.

Umwelt- und Klimaschutz nehmen in seinem Wahlprogramm hingegen kaum eine Rolle ein. Vielmehr setzt sich Bolsonaro für den Abbau von natürlichen Ressourcen und die Waldrodung ein. Selten wurde mehr Regenwald abgeholzt, als unter seiner Präsidentschaft. Brasilien gilt als einer der wichtigsten Exporteure von Soja und Rindfleisch: Auf einer Fläche, die fast so groß ist wie ganz Deutschland, rund 320.000 Quadratkilometer, wird Sojaanbau betrieben. Noch mehr Fläche braucht Brasilien für seine Weidetiere. 1,7 Millionen Quadratkilometer Weidefläche ernähren die größte Rinderzucht weltweit. Fleisch und Soja werden zum großen Teil nach China und Europa exportiert. Um den Bedarf zu decken, fördert Bolsonaro die Abholzung weitere Regenwaldflächen. So sind bereits 20 Prozent des Amazonaswaldes vollständig zerstört und eine ebenso große Fläche ist durch Brandrodungen und Ähnlichem geschädigt.

Laut Brasilien-Experte Andreas Novy ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich Bolsonaros Regenwald- Politik ändert. Er wurde genau deshalb von Landwirt:innen in der Amazonasregion gewählt – um Schutzreservate für die Landwirtschaft und den Bergbau nutzbar zu machen. Doch genau das könnte schwerwiegende Folgen nicht nur für Brasilien, sondern für die gesamte Welt haben. Geht es mit der Abholzung weiter, hat der Amazonas laut Expert:innen schon bald seinen Kipppunkt erreicht. Das Amazonasgebiet gilt als eines der Kippelemente, die das Klima auf der Welt aus dem Gleichgewicht bringen können. Was das genau bedeutet, erfährt ihr im Beitrag: Jedes Zehntelgrad weniger zählt.

Brasilien gilt als sechstgrößter Treibhausgasproduzent weltweit. © Adobe Stock
Die Lula-Regierung: Vielfalt des Amazonas soll geschützt werden

Ganz anders sieht das im linken Lager aus. Denn Klima- und Umweltpolitik spielen im Wahlprogramm von Lula eine wichtige Rolle. Der Politiker, der für die Arbeiterpartei Partido Trabalhador antritt, war bereits von 2003 bis 2011 Präsident. Umweltthemen hatten damals allerdings keinen Vorrang. Im Gegenteil, denn unter der Regierung von Lula hat sich Brasilien zum weltgrößten Fleischexporteur entwickelt. Sein Ziel war es, dass Fleisch kein Privileg für Reiche bleiben dürfe, weshalb er viel Geld in die Förderung von Rinderzucht steckte. Dazu gehörten auch Brandrodungen im Regenwald für neues Weideland.

Aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, legt der überzeugte Sozialdemokrat seinen Fokus in Zukunft auf den Schutz des Amazonasregenwaldes. Eines der wichtigsten Wahlversprechen, denn im August dieses Jahres hat es laut dem Institut für Weltraumforschung mit 33.116 Feuerausbrüchen im Amazonasgebiet die meisten Brände in einem August seit 2010 gegeben.

Beim Schutz des Regenwaldes wird er von Brasiliens ehemaliger Umweltministerin Marina Silva unterstützt. Die in der Amazonasregion geborene Politikerin ist von 2003 bis 2008 in der Lula-Regierung tätig gewesen. Sie schaffte es, die Abholzung des Regenwaldes um 80 Prozent zu reduzieren. Gemeinsam haben sie jetzt einen 26-Punkte-Plan für den Schutz der brasilianischen Umwelt und Indigene verfasst, die u.a. folgende Punkte beinhalten:

  • Bergbau und Landraub auf Indigenen Territorien soll verhindert werden
  • Bereits entwaldete Gebiete sollen wieder aufgeforstet werden
  • Umweltbehörden soll wieder gestärkt werden, um Umweltverbrechen aufhalten und aufdecken zu können
  • Null-Abholzung soll erreicht werden
  • Es wird eine Landwirtschaft mit geringeren Emissionen gefordert
  • Indigene und ökologische Schutzzonen sollen errichtet werden uvm.

Ein wichtiger Schritt, um Brasilien vor der Zerstörung Amazoniens und der indigenen Völker zu bewahren.

Die grüne Lunge der Welt steht vor dem Kipppunkt

Mit 5,5 Millionen Quadratkilometer ist der Amazonas der größte zusammenhängende Regenwald der Welt. Seine Gesamtfläche ist damit größer als ganz Europa. Mindestens die Hälfte aller auf der Welt vorkommenden Tier- und Pflanzenarten leben dort sowie über 20.000 verschiedene Baumarten. Durch diese hohe Biodiversität wird Unmengen an Kohlendioxid aus der Luft gebunden. Dabei entsteht Sauerstoff, genauer gesagt werden im Amazonasgebiet rund 20 Prozent des gesamten Sauerstoffs unseres Planeten produziert. Deshalb bezeichnet man den Amazonas auch als die grüne Lunge der Welt.

Werden innerhalb kürzester Zeit jedoch zu viele Bäume gerodet oder verbrannt, verliert der Wald seine Funktion als grüne Lunge. Das heißt, durch Brände und Rodungen wird das CO₂ nicht mehr gebunden, sondern entweicht in die Atmosphäre. Dadurch werden die Treibhausgasemissionen verstärkt. Ein Phänomen, das in Brasilien bereits begonnen hat: Laut einer Studie des Nature Climate Change hat das brasilianische Amazonasgebiet zwischen 2010 und 2019 rund 18 Prozent mehr CO₂ ausgestoßen als im selben Gebiet gespeichert wurde. Der Regenwald gab demnach rund 16,6 Milliarden Tonnen CO₂ in die Umwelt ab, nahm aber nur rund 13,9 Milliarden Tonnen auf. Ob sich diese Veränderung noch rückgängig machen lässt oder der Kipppunkt bereits erreicht wurde, weiß derzeit auch die Wissenschaft nicht genau. Ein Stopp der Abholzung, der Ausbeutung von Ressourcen und der mutwilligen Zerstörung des Regenwaldes würde aber definitiv dazu beitragen.

Die Wahl entscheidet

Deshalb liegt aktuell auch alle Hoffnung auf Lula, der das Land nicht nur einen und wieder in die Weltgemeinschaft führen könnte, sondern mit einer ernsthaften Umweltpolitik den Amazonasregenwald retten könnte. Würde Bolsonaro gewinnen, würde das für den Regenwald bedeuten, dass der Raubbau ungehindert weitergehen kann und indigene Völkergruppen bedroht und aus ihrer Heimat vertrieben werden. Auch wäre es laut Novy das Ende der liberalen Demokratie und freier Wissenschaft, denn der rechtsradikale Politiker hat Brasilien in den letzten vier Jahren nach und nach zu einer Militär-Diktatur umgebaut. Demnach bleibt zu hoffen, dass sich am 30. Oktober die Brasilianier:innen für Lula, für demokratische Werte und für den Schutz der grünen Lunge entscheiden.

Über die/den Autor:In

Linda Weidinger
Linda Weidinger
Linda hat Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie CREOLE an der Uni Wien studiert. Die letzten Jahre arbeitete sie als Journalistin und Social Media-Redakteurin. Ihr Ziel: Die Menschen aufzuklären. Ihr Traum: eine offene, tierliebe und tolerante Gesellschaft. Ihre Schwerpunkte: Gerechtigkeit, Klima- und Umweltschutz.

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