Renaturierung: Österreich hat Schlüsselrolle

Wenn Österreich eines kann, dann ist es, von seinen beeindruckenden Naturlandschaften zu schwärmen. Nur leider sind eben diese Landschaften in Gefahr. Schwärmerei allein wird sie nicht retten, sondern nur gute Gesetze. Das wichtigste Naturschutzgesetz in der Geschichte Europas droht nun aber zu scheitern. Und zwar ausgerechnet an den Wächter:innen von Österreichs Naturlandschaften, den Landeshauptleuten. 

Österreich. Natur pur. Das Land der unberührten Berge und Seen. Wir haben Naturwunder zum Anfassen, Gipfeljuwele zum Besteigen, sind der Ort, wo man die Seele in der freien Natur baumeln lassen kann. Wir alle kennen den Hochgesang auf Österreichs Naturlandschaften. Aus Tourismusprospekten und aus den Mündern der Politiker:innen. Trotzdem kann sich Österreich nicht dazu entschließen, dem EU-Renaturierungsgesetz zuzustimmen. Erfahre im Q&A, warum das europäische Gesetz so wichtig wäre und wer den Beschluss blockiert.

Was ist das EU-Renaturierungsgesetz?

Das EU-Renaturierungsgesetz, offiziell Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, ist eines der wichtigsten Elemente des EU Green Deals. Es soll vom Menschen zerstörte Ökosysteme in der Europäischen Union wieder in einen stabilen Zustand bringen.

Bis zum Jahr 2030 möchte die EU 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU wieder in einen naturnahen Zustand versetzen. Das beinhaltet unter anderem:

  • abgeholzten Flächen wieder aufforsten
  • zerstörten Moore wiedervernässen
  • Flussverläufe wieder frei fließen lassen
Warum brauchen wir das Gesetz?

Die Naturlandschaften der EU sind stark geschädigt. Mehr als 80 Prozent der europäischen Ökosysteme sind in einem schlechten Zustand. Das hat zur Folge, dass zahlreiche Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Intakte Natur spielt aber auch für den Menschen eine wichtige Rolle. Sie liefert uns saubere Luft, sauberes Wasser und fruchtbare Böden. Sie trägt außerdem zur Regulierung des Klimas bei und mildert Hochwasser und Dürren.

Naturlandschaften sind auch für die Landwirtschaft und den Tourismus unverzichtbar. Viele Nutzpflanzen brauchen Bestäuber wie Bienen, damit sie Landwirt:innen anbauen können. Und gesunde Böden sind die Grundlage für eine ertragreiche Landwirtschaft.

Renaturierung kostet natürlich Geld. Die Europäische Kommission schätzt die Kosten für die Umsetzung der Maßnahmen auf bis zu 200 Milliarden Euro pro Jahr. Die wirtschaftlichen Vorteile der Renaturierung werden jedoch auf bis zu 400 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Das EU-Renaturierungsgesetz spielt also auch für unseren zukünftigen Wohlstand eine große Rolle.

War das EU-Renaturierungsgesetz nicht schon beschlossen?

Nein. Diesen Februar wurde dem Gesetz zwar nach vielen Kompromissen im EU-Parlament zugestimmt. Das Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union ist aber ein komplexer Prozess, der aus mehreren Schritten besteht. Damit das Renaturierungsgesetz in Kraft treten kann, braucht es noch die Zustimmung des EU-Umweltminister:innenrates. Er setzt sich aus den Umweltminister:innen aller 27 Mitgliedsstaaten zusammen. Österreich ist durch Umweltministerin Leonore Gewessler vertreten.

Müssen im EU-Umweltminister:innenrat alle Mitgliedsstaaten zustimmen?

Nein. Entscheidungen im Umweltminister:innenrat werden mit sogenannter qualifizierter Mehrheit getroffen. Das bedeutet, dass mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten einem Beschluss zustimmen müssen, die aber gleichzeitig mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren müssen.

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Wenn nicht alle zustimmen müssen, warum spielt Österreich dann eine Schlüsselrolle?

Aktuell sind 19 der 27 EU-Staaten für das Gesetz, sie repräsentieren aber nur 63 Prozent der EU-Bevölkerung. Es fehlt also nur mehr wenig auf die notwendigen 65 Prozent, um das EU-Renaturierungsgesetz beschließen zu können. In dieser knappen Abstimmung ist Österreich das Zünglein an der Waage.

Mitte Mai richten die zustimmenden Staaten mahnende Worte an Österreich und die anderen Blockierer. In einem gemeinsamen Brief fordern Deutschland, Frankreich, Spanien, Tschechien, Dänemark, Estland, Zypern, Luxemburg, Litauen und Slowenien, Naturschutz ernst zu nehmen und dem Gesetz zuzustimmen.

Ist Umweltministerin Leonore Gewessler gegen das EU-Renaturierungsgesetz?

Nein. Leonore Gewessler würde dem Gesetz gerne zustimmen, darf sie aber nicht. Sie braucht die Zustimmung der Landeshauptleute. Sie haben eine geschlossene Blockadehaltung gegen das Gesetz eingenommen.

Was haben die Landeshauptleute mit einem EU-Gesetz zu tun?

In Österreich ist die Umweltpolitik Ländersache. Dadurch haben die Landeshauptleute ein Instrument zur Hand, die sogenannte einheitliche Länderstellungnahme (ELSt). Können sie sich untereinander auf eine gemeinsame Position einigen, muss sich die Ministerin an diese halten. Diese gemeinsame Position ist derzeit die Ablehnung des Gesetzes.

Gefährdet das EU-Renaturierungsgesetz die Ernährungssicherheit?

Nein. Das behauptet zwar ein Teil der Landeshauptleute, aber das hält keiner wissenschaftlichen Prüfung stand. Das Gesetz ist so entworfen, dass es sowohl Naturschutz als auch die Versorgungssicherheit berücksichtigt. Die in der Vergangenheit geäußerte Kritik der Bundesländer zu diesem Thema ist im finalen Kompromiss mehrfach berücksichtigt.

Renaturierungsmaßnahmen wie die Wiedervernässung von Mooren oder die Aufforstung von Wäldern führen sogar zu einer Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Dies wiederum kann zu höheren Erträgen in der Landwirtschaft führen.

Und auch die voranschreitende Klimakrise darf man hier nicht außer Acht lassen. Intakte Ökosysteme sind widerstandsfähiger gegen ihre zerstörerischen Auswirkungen. Durch Renaturierungsmaßnahmen können Landschaften besser auf extreme Wetterereignisse wie Dürren oder Hochwasser reagieren. So können zum Beispiel gesunde Böden mehr Regenwasser aufnehmen und natürliche Flussläufe besser mit Hochwasser umgehen. In beiden Fällen profitiert die Landwirtschaft, weil weniger Schäden auf ihren Äckern entstehen.

Wie geht’s weiter?

Der nächste EU-Umweltministerrat findet am 17. Juni 2024 statt. Sollten die Landeshauptleute ihre Meinung bis dahin ändern, könnte Leonore Gewessler im Namen Österreichs dem Gesetz zustimmen. Damit würde man europäische Naturschutzgeschichte schreiben.

Noch Fragen? In diesen Artikeln findest du noch mehr zum Thema Renaturierung:

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

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