Die Natur kehrt an ihren Platz zurück

Es ist das Zuhause von Wildpferden, Dungkäfern und seltenen Kleearten. Das Auenreservat Marchegg gehört der Natur – und ist damit ein Beispiel für gelungene Renaturierung. Von diesen Projekten braucht es mehr. 

Ein kurzes Aufstampfen hat sie verraten. Wahrscheinlich war eine Fliege lästig. Im Marchegger Auenreservat sind die wild lebenden Konik-Pferde aber eigentlich gut getarnt. Man muss schon genau hinschauen, wenn man die grau-braunen Pferde zwischen den Blättern der Bäume entdecken will. Und manchmal hilft nicht einmal das. WWF-Experte Michael Stelzhammer kennt die Pferde und das Reservat wie kein anderer. Und selbst er muss manchmal schummeln, um die Pferde zu finden. Mit einer App kann er die Leitstute peilen. So ist das eben, wenn sich Tiere auf 80 Hektar frei bewegen können.

Pferde als Naturschützer

Die Konik-Pferde mögen für so manche Besucher:innen eine Attraktion sein. Aber eigentlich leisten sie im Auenreservat einen wichtigen Naturschutzjob. Das Gebiet wurde zwischen 2011 und 2019 renaturiert. Das heißt, der March und ihren Auen wurde auf einer Länge von rund 20 Kilometern das zurückgeben, was wir Menschen ihr in den 100 Jahren davor genommen haben: die Natur. Ab den 1920er Jahren hat man damit begonnen, die March zu regulieren. Der Fluss konnte nicht mehr seinem natürlichen Lauf folgen, sondern wurde in eine Art Kanal umgebaut. Dafür wurden unter anderem die Ufer zubetoniert. Schiffe konnten so leichter durch die March fahren. Für die Artenvielfalt war das aber eine Katastrophe.

Fehler der Vergangenheit behoben

Im letzten Jahrzehnt hat man versucht, diese Fehler der Vergangenheit rückgängig zu machen. Unter anderem wurde der Beton am Flussufer entfernt. Dadurch konnten natürliche Flussbette entstehen. Nebenarme wurden wieder an die March angebunden und von Tieren und Pflanzen schnell zurückerobert. In der Au wurden über 20 Hektar Feuchtwiesen und Sutten, kleine Mulden im Boden gesichert. Zum Teil wurden Sutten auch wieder ausgebaggert. Diese füllen sich mit Wasser, wenn es stark geregnet hat oder der Grundwasserstand hoch ist. „Dadurch leben dort keine Fische drinnen, aber sie sind eine Kinderstube für Amphibien und die total spannenden Urzeitkrebse“, erzählt Stelzhammer.

„Dort, wo man der Natur die Freiheit oder den Freiraum gibt, sich wieder zu entfalten, dort nimmt sie ihn sich innerhalb kurzer Zeit.“

Dass im Zuge der Renaturierungsmaßnahmen die Konik-Pferde im Auenreservat angesiedelt wurden, ist kein Zufall. Ihre Lebensweise trägt entscheidend dazu bei, dass sich die Natur ihren Platz zurückholen kann. Sie sind keine Rasenmäher, die die Wiese innerhalb kürzester Zeit kurz schneiden. Sie fressen manche Stellen kahl, an anderen bleiben Gras und Pflanzen höher stehen. Genau davon profitieren Insekten und Vögel. Bodenbrütende Vögel zum Beispiel finden so immer wieder Nischen, wo sie ihre Nester verstecken können. Das kürzere Gras wiederum erleichtert es ihnen, Nahrung zu finden.

Seltener Klee ist in die Auen zurückgekehrt

Michael Stelzhammer kann aber auch ein ganz besonderes Erfolgserlebnis berichten: Auf der Weide im Auenreservat gab es zwei seltene Kleearten. Die Naturschützer:innen haben sich besondere Mühe gegeben, um diese zu erhalten. Dafür haben sie beispielsweise händisch gemäht. Trotzdem waren die beiden Kleearten irgendwann einmal weg. Zwei Jahre nachdem die Pferde in das Auenreservat gezogen sind, waren beide Kleearten wieder da. „Die Pferde schaffen dort, wo sie sich wälzen und mit den Hufen scharren, einen offenen Boden. Diese sandigen, offenen Flächen brauchen die Kleearten, um zu keimen“, erklärt Stelzhammer. Mittlerweile kommen beide Kleearten auf den gesamten 80 Hektar vor – verbreitet von den Konik-Pferden auf ihren Wanderungen.

Renaturierung Marchegg
Die Konik-Pferde leisten im Auenreservat in Marchegg einen wichtigen Naturschutzjob. © Markus Englisch
Nebenarme voller Leben

Es geht weiter zur March. Sie trennt Österreich und die Slowakei. Michael Stelzhammer zeigt von einem Steg aus auf das gemächlich fließende Wasser. Heute ist es ein Teil der March, früher war es vom Hauptfluss getrennt. Viele Nebenarme sind dadurch auch ausgetrocknet. In der March selbst sieht man noch Rückstände von den befestigten Ufern, wie sie steil ins Wasser abfallen. Auf mehreren hundert Metern wurden die Ufer aber bereits zurückgebaut. Die March hat so einen Teil ihres natürlichen Laufs zurückbekommen. Das Flusssystem ist wieder intakt, das spürt man, wenn man diesen Abschnitt der March besucht. Vögel singen am Ufer und im Wasser flitzen Fische hin und her.

Zahl der Jungfische steigt

„Mit unserer Renaturierung haben wir es geschafft, dass wir in den Bereichen, die wir renaturiert haben, innerhalb von einem oder eineinhalb Jahren die Jungfischmenge verdreifacht haben“, lässt Stelzhammer wissen. Bevor die March reguliert wurde, war sie das artenreichste Gewässer in Österreich. Pro Hektar Wasserfläche sind bis zu einer Tonne Fische herumgeschwommen. Indem der Mensch in die Natur eingegriffen hat, sind immer mehr Arten verschwunden. Aktuell leben fünf bis zehn Prozent der ursprünglichen Fischmasse in der March. Umso erfreulicher ist die Nachricht, dass die Zahl der Jungfische steigt.

Ohne die Renaturierungsmaßnahmen wäre das nicht möglich. Fische brauchen ruhige Stellen, flache Ufer und Sandbänke, um sich natürlich vermehren zu können. Und das finden auch die Vögel toll. Denn für manche von ihnen sind die kleinen Fische Nahrung. Nicht umsonst singen in den Bäumen neben der March so viele Vögel.

Unregulierte Flüsse schützen vor Hochwasser

Von unregulierten Flüssen haben aber auch wir Menschen etwas. Sie sind Hochwasserschutz. „Nur wenn ich Flüssen und dem Wasser, das im Hochwasserfall sehr hochsteigt, Platz gebe, bekomme ich eher ein Breitwasser und kein Hochwasser. Das heißt, die Hochwasserwellen bleiben viel niedriger und richten viel weniger Schäden an als in kanalisierten, regulierten Flüssen“, erklärt Stelzhammer. Gleichzeitig bringen unregulierte Flüsse mehr Wasser in die Au. Sie fließen langsamer und können so die Au besser mit Wasser versorgen. Das ist gerade in Trockenperioden von besonderer Bedeutung.

Renaturierung Marchegg
WWF-Experte Michael Stelzhammer kennt das Auenreservat wie kein anderer. © Markus Englisch
Es braucht mehr Projekte wie in Marchegg

Der Natur geht es in Österreich nicht gut. 80 Prozent der Lebensräume, die innerhalb der EU geschützt sind, sind in Österreich in keinem guten Zustand. Angesichts dessen sind Renaturierungsmaßnahmen ein Schritt in die richtige Richtung. „Dort, wo man der Natur die Freiheit oder den Freiraum gibt, sich wieder zu entfalten, dort nimmt sie ihn sich innerhalb kurzer Zeit“, betont Stelzhammer den Nutzen. Aber im Moment kommen solche Projekte wie in den March-Thaya-Auen nur tröpfchenweise. Es braucht mehr davon und es braucht sie vor allem in einem viel größeren Maßstab. Im EU-Renaturierungsgesetz sieht Stelzhammer eine große Chance. Dieses wird auf EU-Ebene noch verhandelt. Es zu beschließen, wird allerdings ein Kraftakt, denn es hat viele Gegner:innen, vor allem von konservativer Seite.

Was die March betrifft, gibt es jedenfalls gute Nachrichten: Österreich und die Slowakei haben sich darauf geeinigt, das gesamte Renaturierungspotenzial auszuschöpfen. Schifffahrtspläne, die in den vergangenen Jahren verfolgt wurden, werden damit ad acta gelegt. Stattdessen sollen die March und ihre Auen in den kommenden Jahren als Naturflusslandschaft wiederhergestellt werden.

Der Dungkäfer liebt die Pferdeäpfel

Bis dahin erholen sich die Arten im Auenreservat Marchegg. Wie zum Beispiel der Dungkäfer, der die Pferdeäpfel liebt, die auf den gesamten 80 Hektar verteilt liegen. „Die Weidefläche ist der Dungkäfer-Hotspot. Ein Drittel der Arten, die hier vorkommen, sind vom Aussterben bedroht oder gefährdet“, lässt Stelzhammer wissen. Sie leisten einen guten Naturschutzjob, die Konik-Pferde. Und das, obwohl sie den überwiegenden Teil des Tages fressen und vor sich hindösen.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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