Weniger Arbeit für mehr Gleichstellung

40 Stunden arbeiten und dann noch Kinder betreuen – das geht sich nicht aus. Würden wir alle kürzer arbeiten, hätten wir alle mehr Zeit, um uns um unsere Mitmenschen und uns selbst zu kümmern. Und davon profitiert die Geschlechtergerechtigkeit. 

„Acht Stunden Arbeit. Acht Stunden Schlaf. Acht Stunden Freizeit.“ Mit dieser Forderung ist die Arbeiter:innenbewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Straße gegangen. In Österreich kämpften ihre Anhänger:innen bis 1918, bis der Acht-Stunden-Tag gesetzlich verankert wurde. Für damals war das ein großer Erfolg. Heute, mehr als 100 Jahre später, wird er der Gesellschaft aber nicht mehr gerecht. Ebenso die 40-Stunden-Woche, die seit 1975 gilt. In manchen Branchen wurde die wöchentliche Arbeitszeit in weiterer Folge auf 38 beziehungsweise 37 Stunden reduziert. Doch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf 35 oder 30 Stunden ist seither nicht erfolgt.

Arbeitsmarktsituation hat sich verändert

Dabei ist eine Arbeitszeitverkürzung längst überfällig. Die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation von heute lässt sich mit jener der 1970er Jahre nicht mehr vergleichen. „Seither ist die Beschäftigungsquote von Frauen rasant angestiegen. Die 40-Stunden-Woche wurde vor dem Hintergrund eingeführt, dass es einen Haupternährer – das war meistens der Mann – und eine unterstützende Frau, die sich um die ganze Reproduktionsarbeit kümmert, gibt“, beschreibt Claudia Sorger die Situation der 1970er Jahre. Sie forscht am Institut L&R Sozialforschung unter anderem zu den Themen Arbeitsmarkt und Gender.

Zweite Schicht nach der Erwerbsarbeit

Heute sind Frauen nicht mehr den ganzen Tag zu Hause, um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern und dem Mann am Abend das warme Essen auf den Tisch zu stellen, wenn er erschöpft von einem achtstündigen Arbeitstag heimkommt. Heute kommen sie selbst erschöpft nach Hause. Haben vor der Arbeit das Kind in den Kindergarten gebracht, waren nach der Arbeit noch schnell im Supermarkt einkaufen und haben am Heimweg wieder das Kind vom Kindergarten abgeholt. Zu Hause wird gekocht, geputzt und das Kind unterhalten. Nach der Arbeit beginnt für viele die zweite, unbezahlte Schicht: die Reproduktionsarbeit. Damit sich Erwerbs- und Fürsorgearbeit ausgehen, arbeiten viele Frauen nur Teilzeit. Sechs Stunden am Tag, manche fünf. Der Acht-Stunden-Tag ist nicht für Menschen gemacht, die Kinder haben oder ältere Angehörige pflegen. Die Arbeiter:innenbewegung hat die Versorgungsarbeit in ihren Forderungen vor über 100 Jahren nicht mitgedacht.

Vor allem Frauen arbeiten Teilzeit

Das Erschreckende: Die Versorgungsarbeit wird auch heute nicht immer mitgedacht. Zum Beispiel, wenn Arbeitsminister Martin Kocher fordert, dass Menschen, die in Teilzeit arbeiten, weniger Sozialleistungen erhalten sollen. Damit der Sozialstaat auch weiterhin finanziert werden kann, müssten so viele Menschen wie möglich einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, so das Credo. Bundeskanzler Karl Nehammer ergänzte später, dass Kochers Forderung Menschen mit Betreuungspflichten nicht betreffen soll. „Wenn wir jetzt wirklich diejenigen mit Versorgungspflichten abziehen, dann noch diejenigen, die aus Ausbildungs- und Weiterbildungsgründen Teilzeit arbeiten, dann bleiben tatsächlich nicht mehr viele übrig, bei denen wir sagen können: Die arbeiten Teilzeit und könnten eigentlich Vollzeit arbeiten“, kritisiert Sorger und fragt sich, worum es in dieser Diskussion eigentlich geht.

Noch dazu werden in Branchen wie dem Einzelhandel sowie Gesundheits- und Sozialbereich, in denen überwiegend Frauen tätig sind, sehr oft nur Teilzeitjobs angeboten. Frauen, die mehr Stunden arbeiten möchten, haben diese Möglichkeit nicht. Hinzu kommt, dass die Arbeit im Gesundheits- und Sozialbereich körperlich und psychisch so anstrengend ist, dass viele gar nicht länger arbeiten können.

Sozialstaat finanziert sich nicht über Arbeitsstunden

„Das Ziel sollte eigentlich sein, dass die Menschen für die Arbeit, die sie machen, ausreichend bezahlt werden. Auch wenn sie nicht Vollzeit plus Überstunden leisten“, hält Sorger fest. Denn der österreichische Sozialstaat finanziert sich nicht über Arbeitsstunden. Das Geld kommt aus Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, die sich nach der Höhe des Gehalts richten. Je mehr die Arbeitnehmer:innen verdienen, desto mehr zahlen sie in die beiden Töpfe ein. Es würde sich also sogar ausgehen, dass Menschen, die 30 Stunden pro Woche arbeiten, mehr einzahlen als Personen, die 40 Stunden arbeiten. Es ist alles nur eine Frage der Bezahlung, nicht der Arbeitszeit.

In der Realität sind Teilzeitarbeitsplätze allerdings sehr oft schlecht bezahlt. Das liegt auch daran, dass diese Stellen oft – wie der Name andeutet – nur als halbe Jobs angesehen werden. Daher werden sie als weniger wichtig als Vollzeitstellen wahrgenommen, was sich in schlechterer Bezahlung und schlechteren Aufstiegschancen niederschlägt.

Arbeitszeitverkürzung als Voraussetzung für Geschlechtergerechtigkeit

Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich würde das Lohnniveau vieler Frauen anheben. Denn sie würden mit einem Mal Vollzeit arbeiten beziehungsweise dem, was als Vollzeit gilt, näherkommen. Damit würden sie auch entsprechend mehr verdienen. Erwerbs- und Fürsorgearbeit lassen sich aber weiterhin vereinbaren, weil sich an der Wochenarbeitszeit nichts ändert. Eine Arbeitszeitverkürzung kann sich zudem positiv auf die Geschlechtergerechtigkeit auswirken. Denn, wenn alle weniger Stunden am Tag arbeiten, schafft man erst die Voraussetzungen, dass sich alle an der Reproduktionsarbeit beteiligen können. „Kinderbetreuung geht sich mit einer 40-Stunden-Woche ganz schwer aus. Wenn beide Elternteile Vollzeit arbeiten, dann tun sie das mit großer Unterstützung von anderen Personen, entweder aus dem familiären Umfeld oder sie kaufen sich die Leistungen zu. Dass beide Vollzeit arbeiten, geben einerseits die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen nicht her und andererseits ist in Frage zu stellen, ob man einem Kind wirklich neun Stunden in einer solchen Einrichtung zumuten will“, sagt Sorger.

Eine Studie an Industriearbeiterinnen, von denen sehr viele vollzeitbeschäftigt waren, weil Teilzeit nicht möglich war, hat gezeigt, dass eine 40-Stunden-Woche neben der Kinderbetreuung eine enorme Belastung ist. „Sie haben gesagt, dass das sehr belastend ist. Sie haben ganz wenig Freizeit, alles ist ganz eng getaktet und sie haben wenig Schlaf“, erzählt Sorger.

An weiteren Schrauben drehen

Weniger Arbeitszeit heißt also mehr Zeit für Kinder, zu pflegende Angehörige und sich selbst. Heißt, dass man sich weniger stressen muss, um Erwerbs- und Fürsorgearbeit zu vereinbaren. Viele Eltern müssen Familienaufgaben in die Abende oder Wochenenden quetschen. Für viele bedeutet das Überforderung. „Für mich ist die Arbeitszeit ein Haupthebel“, betont Sorger. Sie sagt aber auch, dass zusätzlich noch an anderen Schrauben gedreht werden muss, damit wir als Gesellschaft zu mehr Geschlechtergerechtigkeit kommen. Zum Beispiel, indem man Vätern bessere Karenzzeiten ermöglicht. In Island beispielsweise sind drei Monate für die Mütter, drei für die Väter und drei zur freien Wahl vorgesehen. Das hat dazu geführt, dass 90 Prozent der Väter in Karenz sind. Eine weitere Schraube wäre die Kinderbetreuung. Diese müsste flächendeckend in guter Qualität verfügbar sein. „Man sieht, dass in Bundesländern, in denen Kinderbetreuung in einem höheren Ausmaß zur Verfügung gestellt wird, auch Frauen ihre Arbeitszeit erhöhen können“, lässt Sorger wissen.

Arbeitstage müssen kürzer werden

Wichtig ist, dass auch wirklich die Arbeitstage kürzer werden. Eine Vier-Tage-Woche, in der 38 Stunden auf vier Tage aufgeteilt werden, bringt für die Geschlechtergerechtigkeit nicht viel. „Kinderbetreuung findet ja nicht nur an einem Tag statt, sondern jeden Tag. Es braucht eine durchgängige Arbeitszeitverkürzung“, unterstreicht Sorger. Das ist wichtig für die Geschlechtergerechtigkeit. Und obendrein sind Menschen, die kürzer arbeiten, gesünder und produktiver. Auch das zeigen Studien. Eine Win-win-Situation.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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