Weltweit einzigartig: Im neuen Wasserbaulabor der BOKU Wien gehen Forschende den Geheimnissen der Flussdynamik auf den Grund. Das Besondere daran, es wird im originalgetreuen Maßstab 1:1 geforscht.
„Wasser marsch“: Das neue Wasserlabor der BOKU Wien hat nach dreijährigem Bau Anfang Juni offiziell seinen Betrieb aufgenommen. Es befindet sich zwischen der Donau und dem Donaukanal am Brigittenauer Sporn. Ein idealer Standort, der Forschenden weltweit erstmals die Möglichkeit bietet, Gewässer- und Strömungsexperimente im originalgetreuen Maßstab durchzuführen. Auf einer Fläche von 12.300 Quadratmetern können Prozesse in Flüssen, wie Strömungsgeschwindigkeiten oder Sedimenttransporte, künftig noch viel genauer untersucht werden. Dadurch kann man beispielsweise präzisere Vorhersagen über Hochwassergefahren treffen und Verbesserungen im Bereich der Schifffahrt, Wasserkraftwerke, Hochwasserschutz und Umweltschutz erzielen. Ein weiterer bedeutender Forschungsbereich beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf Gewässer. Anhand der Eins-zu-Eins-Modellversuche will man die unterschiedlichen Einflüsse untersuchen, um effektive Lösungsansätze zu entwickeln.
Das Herzstück des Wasserbaulabors: Main Channel
Das Gebäude ist auf drei Stockwerke und zwei Untergeschosse aufgeteilt. Herzstück des Labors ist laut Helmut Habersack, wissenschaftlicher Leiter des neuen Wasserbaulabors, im Untergeschoss. Hier befindet sich nämlich eines der zwei Großraumlaboratorien, der Main Channel mit dem Big Flume. Der Big Flume ist ein großer Kanal, der quer durch die Halle verläuft. Mittels flexibler Module und Wände kann man den Kanal auf eine Gesamtlänge von 90 Metern und 25 Metern Breite erweitern. Seine maximale Wassertiefe beträgt 3,50 Meter. Durch den Kanal können bis zu 10.000 Liter Wasser pro Sekunde geleitet werden. Und das Ganze ohne die Hilfe von Pumpen. Denn durch die Wasserspiegeldifferenz zwischen der Donau und dem Donaukanal von drei Metern fließt das Wasser auf natürliche Art abwärts. Das heißt, das Wasser wird durch das Öffnen der Schleuse direkt aus der Donau abgezweigt und fließt weiter in das Labor, genauer gesagt in den Big Flume. Wie ein kleiner Fluss durchströmt es die riesige Halle und wird am anderen Ende in den Donaukanal ausgeleitet.
Die Drau mitten in Wien
Der Big Flume bietet zahlreiche Ansätze für Experimente. So können Forschende beispielsweise die unterschiedlichsten Flüsse und ihre ablaufenden Prozesse untersuchen. Derzeit wird im Big Flume die Flussdynamik der Drau erforscht, einem Nebenfluss der Donau, der durch Osttirol, Kärnten und die Untersteiermark fließt. Eigens dafür ist der Boden des Kanals mit Steinen und Geröll, also Substrat, wie es in der Drau vorkommt, ausgekleidet worden. Anschließend wird der Kanal der Kraft des Wassers ausgesetzt. Mithilfe modernster Technologien wie Lasern analysieren die Forschenden beispielsweise, wie sich das Flussbett verändert oder wie Sedimente sich bei hoher Fließgeschwindigkeit verhalten.
Sedimente bestehen aus einer Mischung von festen Materialien wie Sand, Schlamm, Kies, Gesteinsfragmenten und organischen Substanzen. Sie spielen eine wichtige Rolle in Ökosystemen, da sie Lebensräume für viele aquatische Organismen bieten. Allerdings können abgetragene Sedimente auch negative Auswirkungen haben, da sie die Wasserqualität beeinträchtigen, die Erosion von Ufern verstärken und auch die Funktionalität von Stauseen und Schifffahrt beeinflussen. Daher ist die Erforschung von Sedimenten ein zentrales Thema im Wasserlabor. Insbesondere der Transport von Sedimenten in der Drau sowie in anderen Flüssen wie der Donau stellt ein wachsendes Problem dar, das sich in den letzten Jahren aufgrund der Klimakrise verstärkt hat. Das Wasserlabor spielt daher eine wichtige Rolle, da es den Forschenden ermöglicht, künstlich hohe Wasserführungen zu erzeugen und die damit verbundenen Auswirkungen im Labor zu untersuchen.
Viel Platz für viele Experimente
Auf insgesamt fünf Stockwerken werden neben der Sedimentforschung noch viele weitere Experimente durchgeführt. Beispielsweise wird das Abdriften von Menschen im Falle einer Hochwasserkatastrophe untersucht – mit dem Ziel, das Risiko und erfolgreiche Bergungsmaßnahmen besser abschätzen zu können.
Im Stockwerk über dem Main Channel befindet sich das zweite Großraumlabor. Im River Lab werden hydraulische Modellversuche durchgeführt. Ein Forschungsprojekt beschäftigt sich beispielsweise mit der Ökohydraulik. Das heißt, es werden die Auswirkungen von Fließgewässern auf die Lebensgemeinschaften im Wasser untersucht. Unter anderem untersuchen Forschende an im Labor gezüchteten und gehaltenen Fischen, wie hoch die Konzentration von Schwebstoffen sein kann, bis sie die Fische beeinträchtigt. Schwebstoffe sind organische oder anorganische Partikel, die in Flüssigkeiten oder Gasen schweben. Sie entstehen durch Erosion, menschliche Aktivitäten wie Baustellen an Gewässern sowie Zersetzung von Gestein, insbesondere nach Starkregen und Hochwasser. Eine hohe Konzentration in Gewässern trübt das Wasser, senkt den Sauerstoffgehalt und verändert den pH-Wert. Ein Beispiel dafür sind die trüben Gewässer des Amazonas. Das kann sich allerdings auch auf das Wachstum und die Gesundheit von Pflanzen und Tieren auswirken.
Ein weiteres interessantes Untersuchungsobjekt bietet die große Wasserturbine. Sie kann in den Big Flume eingesetzt werden, um beispielsweise das Strömungsverhalten und Turbulenzen in Flüssen und Kanälen zu analysieren. Außerhalb des Gebäudes gibt es auch ein Outdoor Lab, das es ermöglicht, Flüsse im Freigelände nachzubilden.
Gemeinsames Forschen
Das neue Wasserbaulabor ist dank seiner Größe und Lage ideal, um weltweit einzigartige Untersuchungen durchzuführen. Zum Beispiel kann erforscht werden, wie sich die Klimakrise mit Trockenperioden und nachfolgenden Hochwassern auf Flüsse auswirkt. Zusätzlich verfügt das Gebäude über einen Hörsaal, Seminar- und Büroräume und eine Bibliothek. Eine weitere Besonderheit ist das Public Lab. Das öffentliche Labor bietet in Zukunft spezielle Führungen für Schulklassen und alle Interessierten an, um in die faszinierende Welt der Wasserforschung einzutauchen.
Die Errichtungskosten in Höhe von etwa 49 Millionen Euro sind zwischen der EU, dem Klimaministerium, dem Wissenschaftsministerium, dem Wirtschaftsministerium, dem Landwirtschaftsministerium sowie den Ländern Niederösterreich und Wien aufgeteilt worden.