Was das Lieferkettengesetz bringt

Wir können uns bemühen, so viel wir wollen. Ausschließlich Produkte zu kaufen, für die weder Umwelt zerstört noch Menschen ausgebeutet wurden, ist nahezu unmöglich. Mit dem Lieferkettengesetz will die Europäische Union das ändern.

Das T-Shirt in einer Auslage auf der Mariahilfer Straße. Die Orangen im Supermarktregal. Das neue Smartphone aus der Fernsehwerbung. Wurden dafür Menschen ausgebeutet und Umwelt zerstört? In vielen Fällen können wir als Konsument:innen es erahnen, aber mit Sicherheit sagen, können wir es nicht. Und wenn wir es wissen, können wir uns eine fairer produzierte Alternative nicht immer leisten. Manchmal gibt es auch einfach keine. Das herauszufinden, sollte aber nicht Aufgabe der Konsument:innen sein. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass für die Jeans, die sie gerade gekauft haben, kein Mensch ausgebeutet wurde. Und wenn nicht, dann muss klar ersichtlich sein, welchen Schaden dieses Produkt angerichtet hat. Dafür braucht es wirksame gesetzliche Regelungen.

EU-Lieferkettengesetz als Ausweg

Zum Beispiel die Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CSDDD). Besser bekannt unter dem weniger sperrigen Namen: EU-Lieferkettengesetz. Diese Richtlinie würde den Produktionsprozess transparenter machen. Zudem würde es bewirken, dass große Unternehmen nicht mehr länger Menschen ausbeuten, Kinder zur Arbeit zwingen und Umwelt zerstören. Der aktuelle Entwurf sieht nämlich vor, dass Unternehmen dies künftig verhindern, beenden oder zumindest abmildern müssen. Und das nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Das heißt: Sie müssen unter anderem auch Lieferanten, Verkauf, Vertrieb und Transport im Auge behalten und danach bewerten, wie sie mit Menschenrechten und Umwelt umgehen.

Große Unternehmen werden in die Pflicht genommen

Gelten soll das EU-Lieferkettengesetz für in der EU ansässige Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von 40 Millionen Euro pro Jahr. Bei Unternehmen, die ihren Sitz außerhalb der EU haben, wird ein weltweiter Umsatz von 150 Millionen Euro herangezogen; davon müssen mindestens 40 Millionen Euro innerhalb der EU erwirtschaftet werden.

Im weltweiten Handel läuft vieles falsch

Auf die betroffenen Unternehmen würde diese Richtlinie Druck ausüben, nicht gegen Menschenrechte und Umweltstandards zu verstoßen. Damit könnten viele Missstände behoben werden, denn im weltweiten Handel läuft sehr vieles falsch. Um ihre Gewinne zu steigern, halten viele Unternehmen arbeitsrechtliche Standards nicht ein und nehmen Zwangs- und Kinderarbeit in Kauf. Von moderner Sklaverei sind laut Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) fast 50 Millionen Menschen weltweit betroffen. 80 Prozent davon sind Frauen, die neben den schlechten Arbeitsbedingungen zusätzlich noch mit sexueller Gewalt konfrontiert sind. Fast jeder achte von Zwangsarbeit betroffene Mensch ist zudem ein Kind.

Die industrielle Landwirtschaft wiederum zerstört die Böden, indem sie auf Monokulturen setzt. Jedes Jahr aufs Neue werden dieselben Kulturen angebaut und dem Boden dadurch einseitig Nährstoffe entzogen. Das hat auch negative Auswirkungen auf Tiere, die auf diesen Böden keine Nahrung mehr finden. Auch für die Verschmutzung von Wasser zeichnen sich große Konzerne verantwortlich. Vor allem die Textilindustrie und die Landwirtschaft vergiften durch den Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden große Wassermengen.

Probleme auch innerhalb der EU

Wenn man an menschenunwürdige Arbeitsbedingungen denkt, kommen einem wahrscheinlich Näher:innen in einem südostasiatischen Land in den Sinn. Vielleicht denkt man auch an den Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza vor zehn Jahren in Bangladesch. 1.135 Menschen wurden dabei getötet. Aber wir müssen gar nicht so weit gehen. Auch innerhalb der Europäischen Union gehört Ausbeutung zur Tagesordnung. In Italien zum Beispiel. Migrant:innen ernten dort Obst und Gemüse, das dann in österreichischen Supermärkten verkauft wird. Dasselbe gilt für Umweltzerstörung. In Rumänien beispielsweise könnte laut Expert:innen jeder zweite Baum illegal geschlagen werden.

Strafen bei Verstößen gegen Richtlinie

Dass es hier eine Regulierung braucht, liegt auf der Hand. Denn freiwillig werden solche Unternehmen ihre Geschäftspraktiken nicht ändern. Müssen sie aber offenlegen, wie sie ihre Waren produzieren, dann würde das etwas ändern. Denn wer schreibt schon freiwillig auf die Verpackung oder die eigene Homepage, dass man Migrant:innen die Pässe abgenommen hat, um sie so zur Erdbeerernte zu zwingen? Richtig, das wäre schlechtes Marketing. Damit sich nachhaltig etwas ändert, braucht es auch Kontrollen und wirksame Strafen, wenn Unternehmen gegen die Richtlinie verstoßen. Im Entwurf sind Geldstrafen in Höhe von fünf Prozent des weltweiten Netto-Umsatzes vorgesehen. Unternehmen, die ihren Sitz außerhalb der EU haben, könnten sogar von der öffentlichen Vertragsvergabe ausgeschlossen werden.

Kommission, Parlament und Rat verhandeln

Das EU-Parlament hat Anfang Juni seine Position zu der Richtlinie festgelegt. Nun liegt es an Kommission, Parlament und Rat im sogenannten Trilog die endgültige Richtlinie zu verhandeln. Einfach wird das nicht. Denn vor allem von konservativer Seite wird immer wieder versucht, den Gesetzesentwurf zu verwässern und Schlupflöcher für Konzerne zu finden. Ein starkes Lieferkettengesetz lohnt sich aber. Es würde dafür sorgen, dass der weltweite Handel fairer für Mensch und Umwelt wird. Und davon profitieren am Ende wieder alle.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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