Warum eine Millionärssteuer gerecht ist

Erben macht reicher – und das sogar steuerfrei. Die arbeitenden Menschen hingegen zahlen im Laufe ihres Lebens hunderttausende Euro Steuern, um den Sozialstaat am Laufen zu halten. Gerecht ist das nicht. Im Gegensatz zu einer Millionärssteuer. 

Es ist keine einfache Beziehung, jene zwischen Österreich und der Erbschaftssteuer. 2008 wurde sie abgeschafft, weil der Verfassungsgerichtshof sie für verfassungswidrig erklärt hat. Wieder eingeführt wurde sie seither nicht. Nun hat Vizekanzler Werner Kogler eine Millionärssteuer für Millionenerb:innen auf die Tagesordnung gebracht und will mit Betroffenen und Expert:innen diskutieren. Nur: Der Koalitionspartner ÖVP verfolgt andere Interessen. Dabei hätten wir als Gesellschaft durch eine Steuer auf Millionenerbschaften Vieles zu gewinnen.

Kluft zwischen Arm und Reich wächst

Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auf. Die arbeitenden Menschen zahlen im Laufe ihres Lebens mehrere hunderttausend Euro Steuern. Sie unterrichten Kinder, putzen Bahnhofstoiletten, operieren kaputte Hüften – und sie halten Großteils den Sozialstaat am Laufen. Denn Arbeitseinkommen werden in Österreich sehr hoch besteuert, Vermögen – mit Ausnahme der Grunderwerbssteuer – gar nicht. Allerdings sinken die Löhne, wodurch es schwieriger wird, sozialstaatliche Leistungen wie öffentliche Schulen, Familienbeihilfe und Pensionen zu finanzieren. Gleichzeitig steigen die Vermögen.

Vermögen ist ungleich verteilt

Vermögen und damit auch Erbschaften sind in Österreich ungleich verteilt. Das reichste Prozent besitzt fast die Hälfte des gesamten Vermögens. Damit gehört hierzulande das Vermögen einer sehr kleinen Gruppe. Diese bezieht ihr Vermögenseinkommen zum Beispiel aus Zinsen, der Vermietung von Immobilien und Gewinnausschüttungen von Unternehmen. Viele müssen für ihr Vermögen sogar nichts tun, außer Warten: Sie erben mehrere Millionen oder gar Milliarden Euro.

Nur jede:r Dritte der unteren 90 Prozent erbt überhaupt

Und das ist ein Problem. Indem Vermögen immer weitervererbt wird, steigt die Ungleichheit in der Gesellschaft. Schauen wir uns das von zwei Seiten an. Zuerst die reichsten zehn Prozent. Stirbt in dieser Gruppe jemand, besteht die Chance von 71,1 Prozent, dass Hinterbliebene etwas erben. Im Vergleich dazu: Bei den restlichen 90 Prozent erbt gerade einmal jede:r Dritte überhaupt etwas. Und Erben ist nicht gleich Erben. Während die oberen zehn Prozent durchschnittlich 830.000 Euro erben, erben die unteren 90 Prozent im Durchschnitt gerade einmal 120.000 Euro.

Millionärssteuer
Während die reichsten zehn Prozent durchschnittlich 830.000 Euro erben, werden den übrigen 90 Prozent im Durchschnitt 120.000 Euro hinterlassen.
Wer mehr Geld hat, hat bessere Chancen im Leben

Der Glaube, wenn man nur genug leistet, erreicht man auch etwas im Leben, ist in vielen Köpfen immer noch tief verankert. Doch diese Erzählung verkommt immer mehr zu einer Illusion. Man ist sehr viel leichter erfolgreich, wenn man eine wohlhabende Familie hinter sich hat. Denn das bedeutet, dass man bessere Chancen auf Bildung, Gesundheit und soziale Absicherung hat und über ein gutes Netzwerk an Kontakten verfügt. Dadurch steigen auch die Chancen auf ein höheres Einkommen im Berufsleben. Doch davon profitieren nur die wenigsten Kinder. In Österreich ist sogar jedes fünfte Kind armutsgefährdet.

Ungleichheit ist schlecht für die Demokratie

Große Ungleichheiten belasten den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie. Der 2017 verstorbene Ökonom und Ungleichheitsforscher Tony Atkinson hat darauf hingewiesen, dass soziale Ungleichheit zu Ungleichheit bei der politischen Mitsprache führt. Denn, je höher der soziale Status, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst in die Politik geht oder zumindest Einfluss auf politische Entscheidungen nimmt. Wer mehr Geld hat, hat auch eine lautere Stimme. Langfristig untergräbt das unser demokratisches System.

Politik muss für alle gleiche Chancen schaffen

In die richtige Familie geboren zu werden, ist aber keine Leistung. Das ist Glück. Doch es gibt eine gute Nachricht: Es muss nicht sein, dass die, die mehr Geld haben, auch die besseren Chancen im Leben haben. Das ist kein Naturgesetz. Die Politik kann Chancengerechtigkeit schaffen. Zum Beispiel, indem sie eben Steuern für sehr hohe Erbschaften einführt. Jene, die einmal das Einfamilienhaus ihrer Eltern oder den kleinen Familienbetrieb erben, wären davon nicht betroffen. Die Erb:innen großer, international agierender Unternehmen hingegen schon.

Das sind Einnahmen, die der Allgemeinheit zugutekommen. Man könnte damit zum Beispiel die Kranken- und Altenpflege verbessern und für bessere Arbeitsbedingungen für die Pfleger:innen sorgen. Man könnte auch mehr Geld in das Bildungssystem investieren, damit alle einmal die gleichen Chancen haben.

Von einer Erbschaftssteuer haben alle was

Auf den ersten Blick wirkt das so, als würden nur jene, die eine solche Steuer nicht betrifft, davon profitieren. Aber zu gewinnen haben auch jene etwas, die die Steuer entrichten müssen. Ja, sie geben einen Teil ihres Erbes an die Staatskasse ab. Aber sie erhalten dafür eine gerechte und stabile Gesellschaft mit hohem Lebensstandard. Keine Erbschaftssteuer einzuführen, sieht mittlerweile auch eine Reihe von Millionenerb:innen kritisch. Sie haben erkannt, wie gefährlich soziale Ungleichheit für Demokratie und Zusammenleben ist.

Die wohl bekannteste Vertreterin in Österreich ist zurzeit Marlene Engelhorn. Sie fordert: „Besteuert mich endlich.“ Sie soll von ihrer Großmutter Traudl Engelhorn-Vechiatto einen zweistelligen Millionenbetrag erben. 90 Prozent davon will sie spenden.

Eine gerechte Gesellschaft ist eine glückliche Gesellschaft

Wollen Parteien Chancengerechtigkeit ernst nehmen, können sie sich nicht länger vor einer Millionärssteuer auf Millionenerbschaften verschließen. Je gerechter eine Gesellschaft, desto glücklicher sind ihre Angehörigen. Und davon profitiert letztlich alles – der soziale Zusammenhalt, die wirtschaftliche Produktivität, die politische Beteiligung und natürlich jede:r Einzelne.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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