Die Suche nach einer bewohnbaren Welt

Je weniger wir gegen die Klimakrise unternehmen, desto mehr Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Bereits jetzt sind Folgen der Klimakrise spürbar und machen Gebiete unbewohnbar. Nicht nur in ärmeren Ländern Afrikas und Asiens, auch bei uns in Europa. 

Wir befinden uns in einer Phase der Menschheitsgeschichte, die sich mit keiner früheren vergleichen lässt. Unser Klima verändert sich schnell. Der Meeresspiegel steigt an, es wird immer heißer und Arten sterben aus. Die Folgen sind dramatisch: In Kanada brennen seit März die Wälder. In Pakistan hat die neue Monsunsaison begonnen, während die Schäden der letzten Überschwemmungen noch nicht einmal beseitigt sind. Und in Tirol kam es Mitte Juni zu einem Felssturz, weil der Permafrost, der Gesteinsmassen wie ein Klebstoff zusammenhält, aufgetaut ist. Extremwetterereignisse wie diese nehmen zu. Das verursacht die Klimakrise. Für uns Menschen hat das Folgen – und kann uns in letzter Konsequenz unser Zuhause kosten.

Menschen verlieren bereits ihre Heimat

Für viele Menschen ist Vertreibung als Folge der Klimakrise bereits Realität. Zum Beispiel im Süden von Bangladesch. Ein Gebiet, in dem tropische Wirbelstürme wüten, der Meeresspiegel ansteigt und Gebiete überflutet werden. Oder kleine Inselstaaten, auf denen Böden versalzen und Dürren vorherrschen. Doch das Ganze spielt sich nicht nur weit weg ab. Vertreibung findet auch vor unserer Haustür statt. Im Juli 2021 stieg der Wasserpegel des deutschen Flusses Ahr derart an, dass es zu großflächigen Überschwemmungen gekommen ist. 180 Menschen sind bei diesem Jahrhunderthochwasser ums Leben gekommen. Die Lebensgrundlage vieler Menschen wurde komplett zerstört.

Arme und marginalisierte Gruppen am stärksten betroffen

Am härtesten treffen die Folgen der Klimakrise arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen. „Es sind vor allem Menschen, die wenig Möglichkeiten haben, sich an die Veränderungen anzupassen“, sagt Klimafolgenforscherin Kira Vinke im Gespräch mit dem FREDA Magazin. Das hat man auch bei der Katastrophe im Ahrtal gesehen. Zwölf Bewohner:innen eines Behindertenheims sind in den Fluten ertrunken.

Besonders betroffen sind auch jene Menschen, die von einer intakten Natur abhängig sind. Zum Beispiel Kleinbäuer:innen oder Fischer:innen. Wenn es nicht regnet und künstliche Bewässerungsanlagen fehlen, vertrocknet beispielsweise das Getreide auf den Feldern. Solche Ernteausfälle wiederum gefährden die Lebensgrundlage der Bäuer:innen. „Wenn das Ökosystem gestört ist, dann stehen viele Menschen vor Existenznöten und migrieren“, lässt Vinke wissen.

Naturkatastrophen vertreiben mehr Menschen als Konflikte

Die meisten Menschen migrieren innerhalb ihres Heimatlandes und sind damit Binnenvertriebene. Zahlen des International Displacement Monitoring Centre (IDMC) zeigen, dass 2022 mehr Menschen aufgrund von Naturkatastrophen als von Gewalt und Konflikten vertrieben wurden. 32,6 Millionen Binnenvertrieben aufgrund von Naturkatastrophen stehen 28,3 Millionen Binnenvertrieben aufgrund von Gewalt und Konflikt gegenüber. Allein ein Viertel der Vertreibungen hat in Pakistan stattgefunden. Menschen sind dort vor den Überschwemmungen durch den starken Monsunregen geflohen.

Unbewohnbarkeit hängt von finanziellen und technologischen Kapazitäten ab

Extremwetterereignisse wie Überschwemmungen, Hitzewellen und Dürren lassen sich nicht eindeutig auf die Klimakrise zurückführen. Aber sie führt dazu, dass solche Ereignisse häufiger auftreten und einige besiedelte Gebiete in Zukunft unbewohnbar sein werden. „Die Unbewohnbarkeit hängt immer von der Stärke der Klimafolge und den technologischen und finanziellen Kapazitäten ab, mit denen dieser Klimafolge begegnet werden kann“, hält Vinke fest. Der globale Norden hat hier gegenüber dem globalen Süden einen klaren Vorteil. Schwer betroffene Gebiete können in Europa einfacher geschützt werden, zum Beispiel durch Deichbau in Küstenregionen. Das Geld und das technische Wissen sind vorhanden.

Anpassung hat Grenzen

Doch nicht immer kann mit Geld und Technik die Heimat von Menschen gerettet werden. In den Alpen beispielsweise mussten Dörfer evakuiert werden, weil Gebirgshänge nicht mehr sicher sind. Indem sich Gletscher aufgrund der steigenden Temperaturen zurückziehen, drohen, einst stabile Hänge abzurutschen. Wann ein großer Steinschlag passiert, lässt sich schwer vorhersagen. Deswegen ist es möglich, dass Betroffene ihr Zuhause für immer verlassen müssen. „Das ist natürlich ein viel geringeres Ausmaß, als wenn wir uns jetzt Länder wie Bangladesch anschauen. Aber man sieht, dass es auch bei uns Grenzen der Anpassung gibt und dann tatsächlich evakuiert werden muss, um Menschenleben zu schützen. Man kann die Gefahren eben nicht komplett minimieren“, so Vinke.

Schutz von Gebieten ist Abwägungssache

Wie viel investiert man, um Gebiete bewohnbar zu halten und wie viele Risiken nimmt man dafür in Kauf? „Das ist eine ganz individuelle Abwägung. Es kann eben auch sein, dass man in bestimmten Fällen sagt, das ist ein Hochrisikogebiet, aber da stehen irgendwelche kulturellen oder religiösen Güter, die man schützen will“, sagt Vinke. Grundsätzlich rät sie aber davon ab, in Hochrisikogebieten zu bauen. Zudem sollte man bei der Planung von Infrastrukturprojekten künftig viel stärker mitbedenken, dass Extremwettereignisse durch die Klimakrise wahrscheinlicher werden. „Man darf da nicht vom Status Quo ausgehen und hoffen, dass so eine Flut erst wieder in 100 Jahren kommt. Diese Kalkulationen stimmen in einem sich stark verändernden Klima einfach nicht mehr“, betont die Klimafolgenforscherin. Was früher noch ein Jahrhunderthochwasser war, könnte mittlerweile wesentlich häufiger auftreten.

Naturkatastrophen zerstören Gemeinschaften

Das Zuhause aufzugeben und sich an einem anderen, sichereren Ort eine neue Existenz aufzubauen, ist für Betroffene hart. Im Ahrtal bauen Menschen ihre Häuser direkt an die Grenzen zu Gefährdungsbereichen oder sanieren im Überschwemmungsgebiet beschädigte Gebäude. Viele Menschen haben einfach eine emotionale Bindung an ihre Heimat. Sie haben dort ihren Arbeitsplatz, ihre Familie und Freunde. Und: „Es wird ja ein ganzes Dorf auseinandergerissen. Wenn erst einmal alle wegziehen müssen, meistens sind es alte Leute, dann wird da eine Gemeinschaft belastet. So etwas lässt sich nach so einem Ereignis gar nicht so schnell wiederherstellen“, merkt Vinke an.

Emissionen reduzieren

In Zukunft werden Extremwettereignisse mehr Menschen vertreiben. Was dagegen hilft? Kira Vinke fasst es so zusammen: „Zum einen Emissionsminderungen. Das ist ganz wichtig. Nur durch Emissionsminderungen können wir viele Gebiete schützen. Zum anderen Klimaanpassung. Wir müssen mehr in Infrastruktur investieren und auch im globalen Süden mehr finanzielle Mittel bereitstellen für Klimaanpassung, aber auch Klimaschutz.“

In ihrem Buch „Sturmnomaden“ beschreibt sie zwei mögliche Zukunftsszenarien, eine optimistische und eine pessimistische. Erreichen wir die Pariser Klimaziele nicht, steht die Lebensgrundlage sehr vieler Menschen auf dem Spiel. Hitzeextreme, tropische Wirbelstürme und der steigende Meeresspiegel würden viele Gebiete unbewohnbar machen. Anpassungsmaßnahmen können Schäden nur noch eindämmen, aber nicht mehr abwenden. Migration wird zur Überlebensstrategie. Die Weltbank rechnet im schlimmsten Fall mit über 200 Millionen Klimavertriebenen bis 2050. Im optimistischen Szenario überschreiten wir die 2-Grad-Grenze nicht. Dann haben wir noch Möglichkeiten, die Klimafolgen zu bewältigen. Manche Gebiete würden zwar dennoch unbewohnbar werden, aber wesentlich weniger Menschen müssten ihre Heimat verlassen.

Klima schützen und Migration ermöglichen

Die gute Nachricht ist: Wir können das optimistische Szenario erreichen, wenn wir Klimaschutz endlich ernstnehmen und Maßnahmen setzen, die die Emissionen nachhaltig senken. Aber Klimaschutz allein reicht nicht. Selbst wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten, wird es Menschen geben, die ihre Heimat verlieren werden. Sie werden migrieren müssen, um zu überleben. Vinke spricht sich dafür aus, diese Menschen dann nicht zu Bittsteller:innen zu machen. „Man sollte diesen Menschen wieder ein wenig zurückgeben an Entscheidungsfreiheit und auch an Möglichkeiten, woanders zu leben. Damit sie nicht zu Bittstellern werden, nachdem wir ihnen die Lebensgrundlage entzogen haben, und mit einer gewissen Freizügigkeit entscheiden können, wo sie in Zukunft leben und arbeiten können“, unterstreicht sie. Wir brauchen daher nicht nur konsequenten Klimaschutz, wir brauchen auch einen menschlichen Umgang mit Menschen auf der Flucht. Wir müssen Migration ermöglichen.

Über die/den Autor:In

Nicole Frisch
Nicole Frisch
Nicole studiert Politikwissenschaft und Internationale Entwicklung an der Universität Wien. Das Ziel: Die Weltpolitik verstehen – und das Verstandene mit möglichst vielen Menschen teilen. Ihren Weg in den Journalismus hat sie über die NÖN gefunden. Ihre Schwerpunkte sind soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte, Migration und Vergangenheitspolitik.

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