Klimaschutz muss sozial gerecht sein

Haben Menschen mehr Geld, stoßen sie auch mehr Treibhausgase aus. Trotzdem können wir das Klima schützen und Armut bekämpfen. Das eine schließt das andere nicht aus. Im Gegenteil. In der Klimakrise liegt viel mehr die Chance, die Welt sozial gerechter zu machen.

Wie würden sich die weltweiten Emissionen verändern, wenn das ärmste Drittel der Welt zumindest seine Grundbedürfnisse decken könnte? Dieser Frage ist eine viel beachtete Studie nachgegangen, die Ende 2022 im Fachjournal „Nature Sustainability“ veröffentlicht wurde. Das Ergebnis: Der Ausstoß von Treibhausgasen würde zwischen 15 und 26 Prozent höher sein als bisher. Menschen aus der Armut zu holen, würde also die Erderhitzung weiter anheizen. Was also tun?

Armut auch in Zukunft einfach hinzunehmen, kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Wichtige Klimaabkommen wie das 1,5 Grad-Ziel aufzugeben aber auch nicht. Wir haben die Wissenschafterin Ilona M. Otto zu diesem Widerspruch befragt. Sie ist Professorin für gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels und war maßgeblich an der Studie beteiligt. Im Gespräch erklärt sie, wieso Klimaschutz und Armutsbekämpfung keine Gegenspieler sind. Wir müssen sie gemeinsam denken, um eine sozial gerechte Welt zu schaffen.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von FREDA (@freda_magazin)

Emissionen machen soziale Ungleichheit sichtbar

Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir darüber sprechen, wie Treibhausgasemissionen verteilt sind. Nämlich sehr ungleich. Wohlhabende Menschen stoßen sehr viel klimaschädliche Gase aus, Menschen in Armut sehr wenige. Das ist durch Zahlen klar belegt – zuletzt etwa 2022 durch eine großangelegte Studie mit Daten der Weltbank. Und selbst jene Emissionen, die in Ländern mit viel Armut entstehen, werden oft nicht durch den Konsum der dort lebenden Menschen verursacht.

„Wir sind für viele Emissionen im globalen Süden verantwortlich.“

„Viel von dem, was China und Indien produzieren, wird in Europa verkauft“, erklärt Ilona M. Otto. „Wir sind indirekt auch für viele Emissionen im globalen Süden verantwortlich“. Damit ist für die Wissenschafterin auch klar, wer hauptsächlich Emissionen einsparen muss. Die reichen Länder. Und dort insbesondere die wirklich wohlhabenden Menschen, die zum reichsten Prozent der Welt gehören. Sie haben nicht nur hohe Salden am Konto, sondern auch einen hohen CO₂-Ausstoß.

Superreiche haben Superemissionen

Eine Untersuchung vom Oxfam kommt zu dem Ergebnis, dass der durchschnittliche CO₂-Fußabdruck einer Person im reichsten Prozent der Welt bis zu 175 Mal so groß sein kann wie der einer Person in den ärmsten zehn Prozent. „Und es gibt Studien, die vermuten lassen, dass diese Zahl noch immer viel zu klein ist“, betont die Wissenschafterin. Die Datenlage zum Lebensstil der Wohlhabenden sei nämlich sehr dünn. Reiche und Superreiche lassen sich nicht in die Karten schauen. Aber eines steht fest: Bei den wirklich Wohlhabenden lassen sich enorme Mengen an Treibhausgasen einsparen.

“Nur wer Geld hat, kann sein Leben umkrempeln.”

Wer viel konsumiert, kann auch viel ändern

Jede Kaufentscheidung hilft oder schadet dem Klima. Und Geld zu haben, heiße auch immer viele Optionen zu haben, erklärt Otto. „Nur wer die finanziellen Mittel hat, kann sein Leben auch umkrempeln.“ Wohlhabende Menschen können zum Beispiel Solarpaneele auf ihren Dächern legen, sie können Elektroautos fahren und vom Flugzeug auf den Zug umsteigen. Wer kein eigenes Haus hat, sich kein Auto leisten kann und nie verreist, hat all diese Möglichkeiten nicht. Und es gibt kein Erspartes, das sich investieren lässt. Dann auch hier liegt ein wichtiger Hebel, den nur die Wohlhabenden umlegen können. Neben der Wahl, wofür sie ihr Geld ausgeben, können Reiche sich auch entscheiden, in welche Branchen sie investieren – oder nicht investieren.

Wohlhabende Menschen haben Einfluss

Und Ilona M. Otto hat noch ein weiteres Argument parat, warum vor allem Wohlhabende in der Pflicht sind, ihre Emissionen zu verringern. „Solche Menschen sind oft in der Politik, stehen in der Öffentlichkeit oder sind bei Unternehmen in der Führungsebene.“ Sie haben Einfluss auf Gesetze, Verordnungen, Investitionen und Entscheidungen über große Infrastrukturprojekte. Diese Menschen haben aber auch eine Vorbildfunktion. Wohlhabende beeinflussen indirekt, was sich andere Gesellschaftsschichten als erfolgreiches Leben vorstellen. Ändern sie ihren Lebensstil, ändern ihn viele andere auch.

Yachten, riesige Häuser und viele Flüge – Superreiche verursachen enormen Emissionen mit ihrem Lebensstil. Menschen in Armut stoßen hingegen kaum klimaschädliche Gase aus. © Adobe Stock
Die Welt braucht einen sozialen Pakt

Wir halten fest: Es sind die Reichen und Superreichen, die riesige Mengen an Ressourcen unserer Erde beanspruchen. Nicht die Armen. Um also Armut zu bekämpfen, ohne der Klimakrise Vorschub zu leisten, müssen wir diese Ressourcen gerechter verteilen. Die Wohlhabenden müssen weniger am Buffet der Ressourcen zugreifen, damit der Rest seinen fairen Anteil bekommt und nicht in Armut leben muss. Aber wie kann das gelingen?

Die internationale Gemeinschaft müsse sich dafür eine Frage stellen, meint Ilona M. Otto. „Was brauchen wir, um alle gemeinsam auf dem Planeten gut leben zu können?“ Und auch die Studie, an der Wissenschafterin mitgewirkt hat, kommt zum Entschluss: Die Menschheit braucht einen globalen Sozialpakt, in dem das Wohlergehen aller auf dem Planeten Erde neu verhandelt wird. In welchem Rahmen dieser Pakt zustande kommen könnte, müssen Politiker:innen und internationale Organisationen entscheiden, das können die Studienautor:innen nicht vorwegnehmen. Aber in jedem Fall brauche es internationale Kooperation.

Wohlbefinden statt Wohlstand

Dass viele Menschen in reichen Ländern wie Österreich Angst haben, ihren Wohlstand hergeben zu müssen, ist bei so großen gesellschaftlichen Umbrüchen verständlich. Ilona M. Otto meint aber, man müsse als Gesellschaft auch darüber nachdenken, was Wohlstand wirklich bedeutet.  Wenn wir den Begriff hören, denken wir an materielle Güter – also etwa an schnelle Autos, große Häuser und Markenkleidung. Aber diese Dinge sind nur ein Mittel zum Zweck, betont die Wissenschafterin. Sie erfüllen ein Bedürfnis, zum Beispiel nach Anerkennung.

Sie spricht lieber von Wohlbefinden. „Bei diesem Begriff stehen unsere Bedürfnisse im Vordergrund. Wir müssen nicht Eigentümer von Autos oder Geräten sein, wenn wir sie benützen wollen“. Wir brauchen also nicht unbedingt ein großes Einkommen, um unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Ein weniger von etwa kann sogar unsere Lebensqualität erhöhen. Menschen nehmen große Kredite auf, um sich große Häuser und exotische Urlaube zu finanzieren, sagt Otto. Und müssen sich dann jahrelang abstrampeln, um sie wieder abzubezahlen.

„Erfolgreiche Klimapolitik muss alle mitnehmen.“

Klimaschutz funktioniert nur sozial gerecht

Es gehe nicht darum, dass niemand mehr fliegen dürfe oder alle in kleine Häuser ziehen müssten, stellt die Wissenschafterin klar. Aber man müsse schon auf Gerechtigkeit achten beim Klimaschutz. „Wenn ich reiche Leute sehe, die immer noch riesige Autos fahren, dann verursacht das Frust. Weil ich mit den Öffis fahren muss, andere aber nicht. Oder Menschen im globalen Süden sehen, dass wir in Europa diesen hohen Wohlstand haben, aber sie Emissionen sparen sollen“. Denke man Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit nicht zusammen, laufe man Gefahr, dass Menschen Klimaschutzmaßnahmen nicht akzeptieren. „Erfolgreiche Klimapolitik muss alle Menschen mitnehmen“, sagt Ilona M. Otto.

Was passiert, wenn man das nicht tut, sieht man der Gelbwestenbewegung in Frankreich. Ein zentraler Auslöser der Demonstrationen war die Erhöhung der Steuern auf fossile Brennstoffe, die im Rahmen der Energiewende eingeführt wurde. Die Proteste führten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Ausschreitungen und letztendlich zu politischen Zugeständnissen zulasten des Klimaschutzes.

„Jede Krise ist eine Chance, die Gesellschaft gerechter zu machen.“

Ja, ein Drittel der Weltbevölkerung aus der Armut zu holen, verursacht weitere Emissionen – zwischen 15 und 26 Prozent mehr, als wir derzeit ausstoßen. Und ja, jede zusätzliche Tonne CO₂ treibt die Erderhitzung weiter an. Aber hier müssen wir uns eines vor Augen führen. Diese zusätzlichen Emissionen, die entstehen würden, entsprechen derselben Menge, die von ein bis vier Prozent der Reichsten ausstoßen. Sollen also 2,7 Milliarden Menschen weiter in Armut leben, damit Wohlhabende weiter so CO₂-intensiv leben können wie bisher?

Die Antwort darauf ist klar. Wir müssen unsere Gesellschaft nicht nur nachhaltiger, sondern auch sozial gerechter machen. Und ein Umbau ist angesichts der Klimakrise sowieso unausweichlich. Diese Gelegenheit müsse man nutzen, meint auch Ilona M. Otto. „Jede Krise ist auch eine Chance, die Gesellschaft gerechter zu machen. Krisen sind Windows of Opportunity.“ Deswegen ist es wichtig, Klimaschutz und Armutsbekämpfung als gemeinsame Ziele zu betrachten und sie gemeinsam umzusetzen. Beides soll möglichst vielen Menschen ein gutes Leben ermöglichen. Und darauf kommt es an.

Über die/den Autor:In

Markus Englisch
Markus Englisch
Markus studierte TV- und Medienproduktion in Wien. Sein größter Antrieb als Journalist ist es, die Klimakrise für alle Menschen begreifbar zu machen. Zuletzt war er als Redakteur bei PULS 4 tätig und leitete das Nachhaltigkeitsmagazin KLIMAHELDiNNEN.

Ähnliche Artikel

Up-to-date bleiben

38FollowerFolgen
155FollowerFolgen
182AbonnentenAbonnieren

Neueste Beiträge